In 80 Kapiteln um die Welt

Wolfgang Asen startet mit dem ersten Teil seiner Trilogie "DAS DRITTE WISSEN" durch

Von Alexander Martin PflegerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Martin Pfleger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der geübte Leser dürfte es als Symptom subtiler Ironie erachten, wenn sich ein Rezensent weitgehend kommentarlos beim Klappentext eines Buches und bei weiterführenden Informationen von der Website des Verlages als Zitatvorlage bedient, um das zu besprechende Werk zu charakterisieren. Ganz so einfach ist der Fall hier aber nicht. Im Gegenteil. Offenbar hat es sich der Autor zum Ziel gesetzt, den Eindruck absoluter Einfachheit, vielleicht auch noch Oberflächlichkeit und Klischeehaftigkeit zu erwecken, um diese dann dezent zu unterlaufen.

Aber immer brav der Reihe nach. Wir haben es hier mit einem Taschenbuch zu tun, die Seiten sind nicht nummeriert, laut Verlagsangaben handelt es sich aber um derer 128, was zweifaches Nachzählen des Rezensenten - von hinten nach vorne und von vorne nach hinten - nur bestätigen kann. Am Anfang, wie das bei Büchern bisweilen so üblich ist, finden wir ein Verlagsimpressum und Informationen über Autor und Werk, auf der Schlussseite bietet dem Leser Verlagswerbung sich dar. Dazwischen jagt ein erzählerischer Text dahin, welcher laut Vorsatzblatttext als "ein rasanter Trip durch das globale Dorf" verstanden werden soll. Da kommen wir der Sache schon etwas näher. Eine Gattungsbezeichnung trägt dieser erzählerische Text leider nicht, man könnte sich aber auf den Begriff "Roman" einigen - von der Länge her. Über die gegenwärtige schriftstellerische Tätigkeit des Verfassers ist zu erfahren, dass er gerade am zweiten Teil der Trilogie "DAS DRITTE WISSEN" schreibe - da vom "dritten Wissen" im Roman (na also, es geht doch!) einige Male an überaus profiliert anmutender Stelle die Rede ist, liegt der Schluss nahe, es hier mit dem ersten Teil zu tun zu haben.

Frank Weinstein ist für den Chipbroker Emerson rund um den Erdball im Einsatz. Genaueres über seine beruflichen Vorgehensweisen erfährt man nicht - entscheidend ist lediglich der Hinweis, dass er potentielle Kunden bevorzugt mit schlechten Nachrichten ködert. Hilfreich ist ihm dabei eine rätselhafte paranormale Begabung, die er selbst "DAS DRITTE WISSEN" nennt - einerseits eine Abart der Telepathie, andererseits ein plötzliches Aufschießen von visionären Bildern, die zumeist die Zukunft der sich in seiner unmittelbaren Umgebung befindlichen Menschen zeigt.

Diese sonderbare Fähigkeit nimmt Weinstein seit seiner Kindheit an sich wahr, an welcher einiges im Dunkeln bleibt. Irgendwann fand man ihn als etwa zwölfjährigen Jungen mit einer Stirnwunde durch die Straßen Londons umherirrend, ohne Erinnerung an seine Herkunft, aber offenbar fließend mehrere Sprachen beherrschend, weshalb man bei ihm auf Abstammung aus einer Diplomatenfamilie schloss und ihn in einem Waisenhaus für hochbegabte Kinder unterbrachte.

Weinstein reist durch alle Welt, speist exklusiv, lässt sich in exotischen Kampfsportarten unterweisen, bestellt sich Prostituierte auf seine Hotelzimmer und liest interessante Bücher über die Ermordung Martin Luther Kings und der Kennedy-Brüder, die Geschichte des Flamencos oder die politischen Entwicklungen in Afghanistan. Seine Welt ist das frühe 21. Jahrhundert - vielleicht nur wenige Jahre von unserer Gegenwart entfernt. Die Konfliktlage im Nahen Osten und in einigen lateinamerikanischen Ländern hat sich verschärft, ansonsten scheint sich nicht allzu viel geändert zu haben.

In Barcelona lernt er die Ecuadorianerin Mercedes kennen und zieht mit ihr eine Zeitlang hin und her. Seit kurzem hat er den Eindruck, beschattet zu werden. Gleichwohl fasst er immer tieferes Vertrauen zu ihr und erzählt ihr vom "DRITTEN WISSEN". In einem Restaurant in Miami Beach (und nicht in Mexiko, wie man im Vorsatzblatttext fälschlicherweise liest) wird Weinstein betäubt und entführt. Man foltert ihn, ohne ihm genaue Fragen zu stellen, er hat seltsame Visionen, und sechzehn Tage nach seiner Entführung findet er sich wieder in Miami - auf einem Zettel die handschriftliche Nachricht "Wir kommen wieder, Weinstein!"

Man hat ihn offensichtlich nicht bestohlen, allerdings ist Mercedes verschwunden, und sonderbarerweise gelingt es ihm nicht, in Kontakt zu Emerson zu treten. Auch sind einige seiner Bankkonten gesperrt, die Passwörter für einige seiner Mailadressen geknackt, in seiner Wohnung in Barcelona wurde eingebrochen, und einige Dokumente sind verschwunden.

Weinstein, der über mehrere Pässe und geheime Geldreserven verfügt, reist erneut durch die Welt, betreibt Spurensuche in seinem Londoner Waisenhaus und zieht sich in ein buddhistisches Kloster zurück, dass er jedoch bald wieder verlassen muss, als ihn erneut Schreckensvisionen bedrängen. In Bangkok hört er eines Tages hinter sich eine Stimme rufen: "Weinstein! Bleib stehen!". Das Klicken beim Entsichern einer Pistole ist das letzte, was er vernimmt.

Diese rudimentäre Inhaltsangabe kann kaum dem Rhythmus und der eigentümlichen Atmosphäre des Ganzen gerecht werden. In kurzen, stakkatoartigen Sätzen schnellt der Text vom Anfang bis zum Ende ohne Verschnaufpausen durch. Zahllose Momentaufnahmen und belanglos wirkende Details (Hinweise auf Getränke, Namen und Herkunft verschiedener auftretender Figuren, kurze kulturhistorische oder politische Streiflichter) können den Leser anfangs irritieren, zwischendurch vielleicht auch langweilen, ihn letztendlich aber auch verunsichern - wer könnte jetzt schon beurteilen, was von Bedeutung ist und was nicht?

Diesem in der Tat rasanten Erzähltempo trägt auch die formale Gestaltung des Buches Rechnung. Unterteilt ist es in 80 kurze Kapitel, von denen keines länger als zwei Seiten ist, manche sogar nur aus einer Zeile bestehen. Ausführliche Beschreibungen oder Psychologie finden hier keinen Raum, selten fallen Erklärungen - etwa über Weinsteins Kindheit - oder Reflexionen - beispielsweise darüber, dass das Telefon größere Distanz zwischen Weinstein und seinen Kunden schaffe und etwas Geheimnisvolles erzeuge - besonders detailliert aus. Die eigenartig kühle, distanzierte Darstellungsweise - in der dritten Person, allerdings strikt auf die Perspektive Weinsteins konzentriert - der linear erzählten Geschichte ist dazu angetan, im Leser den Eindruck zu verstärken, hier nur einen Teil der tatsächlich ablaufenden Ereignisse mitgeteilt zu bekommen.

Man denkt bei der Lektüre unwillkürlich an mögliche literarische Vorbilder. Das Motiv des plötzlich aus seiner Lebenswirklichkeit gefallenen Protagonisten, dessen Umwelt ihn nicht mehr zu kennen scheint und der von unbekannten Gegnern beobachtet und gejagt wird, zieht sich von Alfred Elton van Vogts "Null-A-Romanen" über Philip K. Dicks metaphysische Verwirrspiele mit den unterschiedlichsten Realitätsebenen bis hin zu William Gibson und anderen Vertretern des Cyberpunk durch die Science Fiction. Die exklusiven Vorlieben Weinsteins lassen Hans Kneifel, Thomas Harris´ "Hannibal Lecter"-Romane und Bret Easton Ellis anklingen. Das Eingangsmotto von Don DeLillo - "All plots lead toward death" - bietet überdies den Schluss an, dass Weinstein am Ende tatsächlich erschossen wird - was nicht viel heißen muss. Zuletzt die Namen der Protagonisten - der Chipbroker Emerson könnte sich auf Ralph Waldo Emerson beziehen, Mercedes auf die Jugendliebe des Grafen von Monte Christo aus dem gleichnamigen Roman des älteren Alexandre Dumas, Weinstein wiederum auf den gleichnamigen "Star Trek"-Autor, der allerdings Howard mit Vornamen heißt. Es muss aber auch nichts bedeuten.

Ein abschließendes Urteil lässt sich augenblicklich kaum fällen. Asens eigenwilliger Stil und seine auf den ersten Blick leicht zu verkennende Gestaltungskraft lassen den vorliegenden Roman durchaus als gelungenes Experiment erscheinen - vielleicht zunächst noch nicht übermässig originell, aber durchaus vielversprechend und intelligent gemacht. Man muss abwarten, welches ästhetische Gesamtkonzept der Autor verfolgt und ob es ihm im weiteren Verlauf der Trilogie gelingt, dieses adäquat umzusetzen - ob er nur in einem selbstreferentiellen Spiel mit Genreanleihen verharrt, oder aber aus dem hier begonnenen Spiel mit traditionellen Versatzstücken aus Science Fiction, Thriller, Mystery und anderem tatsächlich eine Form von literarischem Neuland zu erschließen vermag. Noch ist alles offen.


Titelbild

Wolfgang Asen: Schnelle Welten.
Heinz Wohlers Verlag, Harrlach 2006.
128 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3937260137

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