Peter Hacks als Klassiker

Heidi Urbahn de Jaureguis Aufsätze über einen großen Dichter

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit gut dreißig Jahren beschäftigt sich die französische Literaturwissenschaftlerin Heidi Urbahn de Jauregui mit dem Werk von Peter Hacks. Sie ist heute vielleicht die kompetenteste Kennerin des umfassenden, von Bühne, Kritik und Wissenschaft noch lange nicht zureichend gewürdigten Œuvres. So ist es ein Gewinn, wenn nun ihre zahlreichen Aufsätze zum Thema gesammelt und durch einige neue Beiträge ergänzt vorliegen.

Der Duktus der Texte hat sich über ein gutes Vierteljahrhundert hinweg kaum verändert. Durchweg handelt es sich um essayistische Arbeiten, nicht um das, was man als Wissenschaft zu lesen sich hat gewöhnen müssen. So fehlt jeder Fachjargon. Urbahn de Jauregui ist leserfreundlich, indem sie die absichernde Methode durch die mutige Meinung ersetzt. Sie ist dabei keineswegs theoriefeindlich, denn sie weiß - so nachvollziehbar wie überzeugend - Hacks' Werk in der Nachfolge jener Ästhetik zu situieren, die die deutschen Klassiker und Hegel entwickelt haben.

Aufsatzsammlungen, die man in einem Zug durchliest, ärgern meist dadurch, dass Zitate, Gedanken, ganze Absätze sich wiederholen. Je weiter man vordringt, desto schneller wird das Lesetempo und desto geringer der Erkenntnisgewinn. Das aber ist hier soweit wie möglich vermieden. Urbahn de Jauregui widmet sich verschiedenen Werken und weiß ihr je Besonderes herauszustellen. In den meisten Fällen, wie zum Trauerspiel "Jona" oder in ihren Interpretationen der Erzählungen, besonders der späten "Gräfin Pappel", handelt es sich um die bis heute maßgebliche Lesart. Von den Gattungen ist besonders das Drama repräsentiert, dem Hacks tatsächlich den größten Teil seiner Aufmerksamkeit gewidmet hat; doch neben der erzählenden Prosa sind auch Hacks' Essays und seinen Gedichten erhellende Studien gewidmet.

Es kennzeichnet den Reichtum von Hacks' Werk, dass dennoch schmerzliche Lücken bleiben. Allzu kurz ist, neben der sonst beliebten Literatur für Kinder, die Nachwendetrilogie der Dramen aus der russischen Geschichte erwähnt, ein Kompendium der Staatskunst, das vom deutschen Theater schandbar vernachlässigt wird. Unter den Essays verdienten sicher die "ästhetisch-ökonomischen Fragmente", die Hacks unter dem doppeldeutigen Titel "Schöne Wirtschaft" veröffentlicht hat, als eine ganz eigenständige materialistische Ästhetik mehr Beachtung. Hacks als Briefschreiber, der in Editionen des Eulenspiegel Verlags von Jahr zu Jahr mehr in seiner Bedeutung hervortritt, fehlt ganz. Trotzdem schmälert das, was fehlt, nicht Urbahn de Jaureguis Leistung, sondern es ist Aufforderung an die bislang zögerliche Literaturwissenschaft, ihr endlich zur Seite zu stehen.

Dass die Literaturwissenschaft zögert, hat einen guten Grund. Urbahn de Jauregui wendet sich überzeugend gegen die bisherige Praxis, Hacks widerwillig als Sprachartisten anzuerkennen, über die Inhalte seiner Werke aber möglichst nicht zu sprechen; wobei es durchaus eine subtile Zensur anzeigt, wie Hacks als Kommunist aus dem Kulturbetrieb verdrängt wurde, ohne dass je Politik offen als Grund genannt worden wäre. Als Skandalon galt vielmehr eine scheinbar veraltete Ästhetik, die im Vorgriff auf eine vernünftigere Gesellschaft den Menschen als handlungsmächtig darstellte und den Staat nicht einfach als Repressionsapparat abtat, sondern als Bedingung produktiver Organisation in Szene setzte. Das Bessere, Neue ist bei Hacks nicht utopistisch den Mühen des Gegenwärtigen entgegengesetzt. Im Gegenteil: Das unter den Bedingungen der Gegenwart Vernünftige ist schon dieses Bessere - und die handelnden Personen aus Hacks' klassischen Dramen stellen das ganze Potential dieses Menschlichen dar. Daraus folgt, dass weder die romantische Entgegensetzung von Ideal und Wirklichkeit noch die naturalistische Abschilderung des bestehenden Übels mit Hacks' Werk etwas zu schaffen hat; und er folglich nichts mit denen, die das kulturelle Leben der Gegenwart bestimmen.

Urbahn de Jauregui dürfte Recht haben mit ihrer Vermutung, dass die Ablehnung der Hacks'schen Ästhetik mit der seiner politischen Haltung zusammenhängt. Wenn sie die klassische Form bei Hacks herausarbeitet und gleichzeitig seine Werke als engagierte Kunst interpretiert, so vollzieht auch sie diese Verbindung nach, nur eben mit positiver Wertung. Sie trifft damit ein Wesentliches von Hacks' Kunst und begibt sich gerade, wo sie lobt, in eine andere Gefahr. Das ästhetische Zentrum ihrer Hacks-Lektüre bilden jene Dramen der späten sechziger Jahre, die modellhaft für die Umsetzung seiner "postrevolutionären Dramaturgie" stehen und einer sich konsolidierenden sozialistischen Gesellschaft entsprechen. Den früheren und späteren Werken widmet Urbahn de Jauregui zwar die Mehrzahl ihrer Einzelstudien, doch schwingt da häufig ein Noch-Nicht oder ein Nicht-Mehr mit: was alles Hacks in den fünfziger Jahren schon wusste und konnte, was aber noch fehlt; was hingegen während des Niedergangs der DDR unter Honecker und gar erst nach 1989 an Zuversicht verlorenging. Nicht, dass Urbahn de Jauregui das Besondere dieser Werke verkennen würde - nur wirkt bei ihr angesichts dessen, was einmal möglich war, dieses Besondere als Defizit statt als angemessene Reaktion auf je neue Situationen. Zugespitzt formuliert sie in der Einleitung zum Spätwerk nach der "Wende": "Daß nun, was so entstand, immer noch deutlich über dem Niveau des Zeitgenössischen lag, kann für ein Genie kein Trost sein."

Urbahn de Jauregui benennt zwar treffend die Merkmale dieser späten Texte: die sprachliche Ausnüchterung, die für den Bilderreichtum der postrevolutionären Dramen keinen Platz mehr lässt, die aggressive polemische Zuspitzung und der unvermittelte Gebrauch von zuvor verschmähten theatralischen Mitteln (der freilich ebenso als Souveränität gedeutet werden könnte). Der Verzicht auf wortreiche Vermittlung findet sich freilich in manch anderem bedeutenden Altersstil; die Konzentration, zu der Hacks nun gelangt - in einem Konflikt, in den er durch den politischen Umbruch gezwungen wurde - lässt sich auch als ästhetischer Gewinn lesen. Nicht zufällig schrieb Hacks nach 1989 "Jetztzeit-Gedichte" - bezogen auf eine Gegenwart, von der aus ein Blick in eine qualitativ höhere Zukunft kaum vorstellbar erscheint. Es ist dies der Blick eines heutigen Publikums (und um den vernünftigen Umgang mit dem Heute geht es nach Hacks), doch hoffnungsvollere Dramen wie "Adam und Eva" oder "Margarete in Aix" wirken heute wie aus einer fernen Vergangenheit, die sich einer Zukunft sicher wähnte.

Aus gegenwärtiger Perspektive gelesen, gerät aber auch in diese Werke einer zuversichtlicheren Zeit ein widersprüchliches Moment, das allein aus einer klassizistischen Ästhetik nicht zu gewinnen ist. Der kunstsinnige König René in "Margarete in Aix", der seine Provence schließlich der fortschrittlichen französischen Zentralgewalt übereignet, figuriert nicht nur als Platzhalter eines späteren vernünftigen Absolutismus, sondern markiert auch die Vergänglichkeit des Guten. Um Absterben, um Verlust geht es auch in den fröhlichsten Werken Hacks'. Urbahn de Jauregui nimmt das in den Blick, wenn sie in dem Liebesgedicht, mit dem Hacks seine gesammelten Gedichte beschließen lässt, den Tod mit seiner Begrenzung der Zeit als "Vater der Genüsse" herausstellt. Sie zeigt auch, wie Hacks hier den Marxismus, der sonst den Tod bislang kaum zu integrieren vermag, produktiv weiterdenkt. Inwieweit aber das Warten auf ein unvermeidliches Ende, inwieweit implizite Trauer auch in den zukunftsfrohesten Werken ein Gegengewicht - dabei vielleicht eine Ergänzung - bilden, das wäre zu untersuchen: bei einem Autor, der Jugend schon früh als lästigen Zustand ablehnte und als alt auftrat, lange bevor er es wirklich war.

Hacks' Werke stellen also noch viele Fragen. Urbahn de Jauregui gibt schon viele Antworten und noch mehr Anstöße zu weiterer Arbeit. Viele Aspekte wären genauer zu untersuchen: so die Bezüge Hacks' auf Goethe und die auf Heinrich Heine, die die Heine-Forscherin Urbahn de Jauregui mehrfach thematisiert; auch der Begriff Hacks' vom Vaterland und vom Deutschen. Bei einem Verehrer des Absolutismus liegt es nahe, Vaterlandsliebe als den staats- statt volksbezogenen Patriotismus des 18. Jahrhunderts zu interpretieren. Aber gibt es nicht auch eine spezifisch deutsche Kulturtradition, auf die sich Hacks bezieht? Von Frankreich aus gesehen, scheint es Urbahn de Jauregui so, was doch einmal zu überprüfen wäre. Die Hacks-Forschung steht zwar erst am Anfang, doch ist dieser Anfang wesentlich durch den vorliegenden Band definiert.


Titelbild

Heidi Urbahn de Jauregui: Zwischen den Stühlen. Der Dichter Peters Hacks.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2006.
270 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3359016572

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch