Leben im Konjunktiv

Zum 75. Geburtstag des Georg-Büchner-Preisträgers Alexander Kluge

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

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"Ich bin anti-belletristisch. Ich glaube nicht an Hochkunst. Sondern an eine relativ triviale Art des Erzählens", erklärte Alexander Kluge kürzlich in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Das klingt stark nach Understatement, denn der Georg-Büchner-Preisträger des Jahres 2003 erzählt alles andere als "trivial". Seine assoziative Prosa, seine Sammlungen bisweilen aphoristisch zugespitzter Gedankensplitter kommen wie ein freischwebendes, gigantisches, reflektierendes Œuvre daher. Literarische und methodische Parallelen sind allenfalls beim 2001 tödlich verunglückten W.G. Sebald zu konstatieren.

Die Umtriebigkeit des intellektuellen Multi-Talents Alexander Kluge ist bewundernswert. Als Schriftsteller, Filmregisseur, Filmtheoretiker, Leiter der Produktionsfirma "Kairos-Film" und Mitgründer der "DCTP", scharfsinniger Essayist, Dozent an der Filmhochschule, Kulturtheoretiker, TV-Moderator und Fernsehproduzent sammelte der promovierte Jurist und Adorno-Schüler seine Meriten. Dabei schwamm er nie auf den Wogen des Zeitgeistes mit, sondern ruderte kraftvoll gegen den Strom und gab viele neue kulturelle Impulse.

Alexander Kluge, der am 14. Februar 1932 in Halberstadt als Sohn eines Arztes geboren wurde, setzte als Schriftsteller in den 1960er-Jahren noch vor Peter Weiss und Heinar Kipphardt ganz auf die dokumentarische Collage ("Lebensläufe", 1962), als Regisseur, der einst bei Fritz Lang volontiert hatte, revolutionierte er den deutschen Film und gilt zusammen mit Edgar Reitz und Peter Schamoni als Wegbereiter des Autorenfilms, und Ende der 1980er-Jahre, als von vielen Kulturpessimisten der Untergang der Fernsehkultur durch das Privatfernsehen vorausgesagt wurde, produzierte Kluge für diverse kommerzielle Sender anspruchsvolle Kulturmagazine ("10 vor 11", "MitternachtsMagazin", "Primetime"), die er sich gut honorieren, aber nicht zensieren ließ.

Ob als Filmregisseur ("Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos", "Die Patriotin") oder als "Autor" (wie er sich selbst gern bezeichnet): Alexander Kluge stellt stets hohe Ansprüche. Er liefert weder festgefügte Weltbilder noch griffige Stories, sondern versucht, Erfahrungen zu vermitteln ("Eigentlich brauchen wir einen Atlas unserer Erfahrung.") und aus einem assoziativen Bildermeer und dokumentierten Fakten Zusammenhänge zu konstruieren. "Wir leben nicht in einer Gegenwart. Wir leben gleichzeitig in einer Vergangenheit, einer Zukunft und in der Möglichkeitsform, in einem Konjunktiv", heißt es in Alexander Kluges Band "Tür an Tür mit einem anderen Leben" (2006).

In der jüngsten Vergangenheit hat sich Kluge wieder verstärkt der Schriftstellerei gewidmet und im Jahr 2000 sein erzählerisches Opus Magnum mit dem Titel "Chronik der Gefühle" vorgelegt - eine zweibändige, 2.000 Seiten umfassende Essenz aus seinem bisherigen Werk, in der - leicht modifiziert - viele Texte aus den 1960er-Jahren wiederzufinden sind.

Seine eigene Arbeitsweise beschrieb Kluge 2003 in seinem Band "Die Lücke, die der Teufel lässt": "Ich habe eine Partitur, nach der ich lebe, jedenfalls wenn ich schreibe: Wenn man vor der Wand steht, wenn es nicht weiter geht, muss es irgendwo anders weitergehen."

Pünktlich zum 75. Geburtstag des künstlerischen Tausendsassas erschien im Suhrkamp Verlag der opulente Band "Geschichten vom Kino", in dem Kluge in einer lebendigen Mischung aus Fakten und Anekdoten über seine Erfahrungen mit dem Medium Film berichtet.


Titelbild

Alexander Kluge: Geschichten vom Kino.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
350 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783518419045

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