Traditionsbildung

Ian Glasper legt den zweiten Teil seiner Trilogie über britischen Punk vor

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang war "Crass", so schreibt Ian Glasper im Vorwort, und in der Tat: so ist es. Die Band "Crass" veröffentlichte 1978 ihr Mini-Album "The Feeding of the 5000", knapp zwei Jahre später das Album "Stations of the Crass" und spätestens dann war bereits alles gesagt. Anarcho-Punk in a nutshell. Spätere Bands konnten nur noch Themen ergänzen, so besonders den Tierschutz und den Veganismus (so "Conflict"), und die rigoristischen Konsequenzen aus den bislang eher losen Vorstellungen ziehen.

Das Phänomen Anarcho-Punk fasst eine hochgradig politisch bewusste Punkszene zusammen, in der man vor allem unter dem Eindruck der Ära Thatcher, des Falkland-Kriegs und der atomaren Bedrohung stand. Der Anarchismus dieser Szene bestand in einem radikalen Pazifismus (was Straßenschlachten mit der Polizei - und deren mediale Ästhetisierung (so vor allem bei "Conflict") - nicht ausschloss), aus Anti-Sexismus und der Positionierung gegen Ausbeutung, den Staat und jede Autorität überhaupt, in der Ablehnung der bestehenden politischen Lager, der Betonung der Autonomie in jeder Hinsicht: ökonomisch, politisch, organisatorisch und im individuellen Denken. Wie in anderen Ländern, so führten auch in Großbritannien die verschiedenen Aspekte des Anarchismus zu einer Überschneidung mit bedenklichen politischen Phänomenen. Zusammen mit einer Abneigung gegen alles 'Künstliche', 'Abstrakte' führte dies zu einem Ideal vom 'einfachen Leben' in Subsistenz-Kommunen in 'überschaubaren Einheiten', schließlich sogar zu einem Wald- und Wurzel-Mystizismus, der 'dem einfachen Volk' die Steinkreise von Stonehenge 'zurückerobern' wollte (so "Oi Polloi").

Schon 1978 sangen "Crass", dass Punk tot sei. Innerhalb der Punk-Szene wandte man sich dagegen, nur radikale, umstürzlerische Phrasen von Anarchie zu pflegen, aber nichts zu tun und sich stattdessen mit dem Konzept von "chaos as a means of protest" (so der Jargon des Szene-Journalisten Gary Bushell) herauszureden. Man wandte sich gegen die Regression von Punk-Bands wie den "Sex Pistols" und "The Clash" in Rockstartum und bemühte sich, deren Pose von Radikalität zu entlarven, weil diese tatsächlich doch längst mainstreamgängig und zu nichts als Teil eines Trend geworden waren. Weil man sich von solchen Zweifeln nicht stören lassen mochte, weil man, wie "The Exploited" 1981 per Album-Titel, lieber trotzig "Punk's not dead" verkündete, wurden die Anarcho-Punks von den so genannten Chaos-Punks (wenn man sie denn so separieren kann) aus dem neuen Projekt "Oi" ausgeschlossen und abgekanzelt: zu intellektuell, keine street credibility, nicht working class genug, zu Hippie.

Die meisten der von Glasper befragten Bands betonen, welch enormen Einfluss "Crass" auf sie hatte. "Crass" setzten nicht nur die Themen der Liedtexte, sondern, so wird durch Glaspers Buch deutlich, auch die Ästhetik. Man trug existentialistisches Schwarz und das "Crass"-Logo - ein zackiges Gebilde in einem Kreis, welches das Symbol und/oder die Buchstaben des Bandnamens kunstvoll mehr oder minder komplett in sich vereinigte - wurde von fast allen anderen Bands nachgeahmt. Auf nicht wenigen der vielen Bilder in dem Buch sieht man im Hintergrund der anderen Bands "Crass"-Transparente und viele veröffentlichten ihre Platten auf deren Labels "Crass-Records" und "Corpus Christi". Diese den Initiatoren selbst unheimliche Setzung von Standards wirkt immer noch nach: auch Glasper verwendet für die Band-Namen den "Crass"-typischen Schrifttyp.

"The Day the Country died" ist der Titel des ersten Albums von "The Subhumans", neben "Crass" und "Conflict" die dritte der bekanntesten Anarcho-Punk-Bands. Aber auch kleinste Projekte werden erwähnt. Glaspers Buch entwirft über die enzyklopädisch versammelten Biografien von achtzig Bands ein umfassendes Bild dieser Szene (so weit man dies als Nachgeborener beurteilen kann). Die Bands sind - wieso auch immer - nach Regionen geordnet; alphabetische Ordnung wäre ebenso sinnvoll wie belanglos, aber übersichtlicher gewesen. Die Bandgeschichte wird zum größten Teil mit Erinnerungen der ehemaligen Band-Mitglieder erzählt. Auch was diese heute tun, kann man meistens erfahren. Zu jeder Band gibt es mindestens ein Foto und eine ausgewählte Diskografie. Nach "Burning Britain. A History of UK Punk 1980-1984" legt Glasper den zweiten fulminanten Baustein einer Historie des britischen Punks vor. Für 2008 ist der letzte Band, über den UK-Hardcore der Jahre 1985-1989, angekündigt.


Titelbild

Ian Glasper: The Day the Country died. A History of Anarcho-Punk.
Cherry Red Records, London 2006.
376 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-10: 1901447707
ISBN-13: 9781901447705

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch