Sex, Rum und klassische Musik

Pedro Juan Gutiérrez' Roman "Der unersättliche Spinnenmann" skizziert den Alltag der kubanischen Unterschicht

Von Felix KötherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Köther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Spannendste und Wertvollste an Pedro Juan Gutiérrez' "Der unersättliche Spinnenmann", dem vierten Roman seines Havanna-Zyklus, ist noch die präzise Beschreibung der Lebenswelt und des Alltags der kubanischen Unterschicht. Schade jedoch, dass der Leser einiges an Geduld benötigt, um sich zu ihr durchzuarbeiten: Sie erscheint oft nur wie ein zwangsläufiges Abfallprodukt neben derben, vulgären und oft auch banalen Alltagsbeschreibungen und Erinnerungen des Ich-Erzählers.

Der allerdings ist schnell als Alter Ego des Autors erkennbar, wie auch schon in manch anderem Buch von Gutiérrez, etwa den Romanen "Schmutzige Havanna Trilogie" und "Animal Tropical" [siehe literaturkritik.de 4/2002 beziehungsweise 2/2005]. Er lebt wie Gutierrez in der schmutzigen Altstadt Havannas, ist wie der Autor Jahrgang 1950, Schriftsteller, Maler und war Journalist. Ihn interessiert im Wesentlichen eigentlich nur Sex - am liebsten mit schwarzen Frauen oder Mulattinnen jedweden Alters -, Rum, klassische Musik, Zigarren und seine Dachterrasse, von der aus er die Stadt oder das Meer beobachtet. Religion, Politik und seine Frau interessieren ihn dagegen nicht sonderlich. Letztere kann er nicht mehr leiden, ist jedoch zu fatalistisch, um sie aus dem Haus zu werfen und betrügt sie ohnehin so oft wie möglich.

Dafür kann der Leser ihn selbst unter Umständen bald auch nicht mehr leiden. "Der unersättliche Spinnenmann" ist ein eher handlungsarmes Buch ohne nennenswerten Spannungsbogen oder Struktur. Es besteht aus fast zwanzig kleinen Episoden und Kapiteln, von denen die meisten auch für sich stehen könnten, in denen der Protagonist aus seinem Alltag oder von Erinnerungen erzählt, und die sich fast allesamt aus drei Hauptbestandteilen zusammensetzen: Den sexuellen Abenteuern, Affären und Prahlereien bezüglich der Potenz und der "Wahnsinnserektion" der Hauptfigur; ihre Erinnerungen und Betrachtungen über sich - "Ich, der Beste von allen." - und jedweder Form der Beziehung zwischen Mann und Frau. Dazu kommt der kubanische Alltag der armen, unteren Schichten Havannas mit der Hoffnung auf bessere Zeiten, der Heiligenverehrung, der Suche nach Fleisch oder einfach anderer Nahrung als Reis und Bohnen, der Polizei, schnellen Jobs und nicht zuletzt dem machismo der lateinamerikanischen Gesellschaften, der hier einen grotesken Höhepunkt erreicht.

Literarischen Anspruch sollte der Leser von vornherein gar nicht erst suchen. Gutiérrez liebt es, zu provozieren, und selbst wenn dem nicht so ist, kommt er so manches Mal über platt beschriebenes Vulgäres oder Banales nicht hinaus - was er auch überhaupt nicht zu beabsichtigen scheint. Bereits auf den ersten Seiten des Buches wird ebenso drastisch wie bildhaft - beides durchaus Gutiérrez' Qualitäten - die für das restliche Buch vollkommen irrelevante Vergewaltigung einer Geliebten im New Yorker Central Park beschrieben. Später dann etwa, schon viele Seiten weiter, träumt der Erzähler, wie er sich im Mondschein auf einer Baustelle am Meer befindet, zwei Kühe erscheinen, die abwechselnd an Asphalt-Haufen lecken und sich die Füße im Meer abkühlen - und er schließlich mit einer Erektion aufwacht: "Mein Schwanz ist knüppelhart." Nachdem er kurz in Erinnerungen an Körperteile einer Geliebten schwelgt, bewegt er seine Frau zum Oralverkehr, diese gibt allerdings schnell auf. Sie fühlt sich nicht gut, denn sie leidet unter Durchfall. Wenig später wird er für kurze Zeit selbst krank - "mir geht's sehr schlecht. Vielleicht dringt mir schon destillierte Scheiße, das heißt gefährliche Gifte, in mein Spatzenhirn".

"Uff!", mag sich da der Leser ganz in Gutiérrez' Schreibstil denken, oder etwa - in einem originelleren Moment - "arrrghh!!!". Allerdings beides auch nur, wenn er sich nicht gerade wortlos an den Kopf fasst.

Sprachlich originell, abwechslungsreich oder gar poetisch ist der Autor dabei in seinen Beschreibungen keineswegs, im Gegenteil. Es wäre müßig, zu versuchen, Wörter wie "vögeln" oder "Schwanz" zu zählen.

Das ist eigentlich schade, denn ein paar nette, kleine Geschichten - etwa vom Fischen in einem Traktorreifen auf dem Meer oder als Reporter zu Hochzeiten des Sozialistismus - sind schon zu finden, hat man sich erst einmal in die Mitte des Buches vorgekämpft. Zu finden ist nicht nur dort auch die Liebe des Erzählers zur klassischen Musik von Mahler, Händel und "Kumpel Brahms", was nach vorrausgegangenen, deftigen Beschreibungen allerdings manchmal etwas kurios wirkt.

In einem Interview mit der "Tageszeitung" erklärte Gutiérrez während der Entstehungszeit des Romans im Jahr 2002: "Als Rohstoff dient mir das, was um mich herum geschieht. Wenn die Menschen um mich herum Machos und autoritär sind und im Elend leben, kann ich die Realität doch nicht verdrehen! [...] Bisher habe ich sehr autobiografisch geschrieben, exessiv autobiografisch."

Eines muss man ihm dabei lassen: Er ist bildhafter und beschreibt die Zustände in seiner unmittelbaren Umgebung anschaulicher als jedes Foto oder jeder Bildband es könnte, ist dabei melancholisch und exzessiv zugleich. So wird man letzten Endes mit einem Dilemma konfrontiert: Auch wenn die literarische Leistung dieses Buches oft eher als geringfügig zu bezeichnen ist, kann man ihm doch einen gewissen Grad an obszöner Unterhaltsamkeit nicht absprechen, denn das bietet Gutiérrez zweifellos.


Titelbild

Pedro Juan Gutierrez: Der unersättliche Spinnenmann. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Michael Maier.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006.
256 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-10: 3455400140

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