Der literarische Blick in den Spiegel

Rolf Dobellis Buch "Wer bin ich? 777 indiskrete Fragen" ist ein kurzweiliges Frage-Antwort-Spiel

Von Felix KötherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Köther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Angenommen, Sie würden entführt. Was wäre Ihrer Meinung nach eine vernünftige Lösegeldsumme?"

Der 40-jährige Schweizer Rolf Dobelli ist ohne Zweifel ein absolutes Multitalent. Der promovierte Betriebswissenschaftler war Chief Executive Officer (CEO) und Finanzchef verschiedener Tochterfirmen des Swissair-Konzerns, schreibt als Gelegenheitsjournalist in verschiedenen Wirtschaftszeitungen, ist Chefredakteur und Präsident der zusammen mit Freunden gegründeten, erfolgreichen Firma für Buchzusammenfassungen "getAbstract", in deren Rahmen er auch die wöchentliche Fernsehsendung "Seitenweise Wirtschaft" auf "Bloomberg TV" mitmoderiert, und veröffentlichte nun sein viertes Buch, das wie auch der 2006 erschienene Roman "Himmelreich" (siehe literaturkritik.de) zeigt, warum er zu Recht auch als Schriftsteller Erfolg hat.

In "Wer bin ich? 777 indiskrete Fragen" präsentiert Dobelli ein Frage-Antwort-Spiel zwischen Autor und Leser, einen in 23 Kapitel unterteilten Fragekatalog, der gleichzeitig eine bewusste Fortführung der ?Fragebögen? Max Frischs ist. Bei Dobelli setzt er sich aus konkreten wie abstrakten Begriffen aus fast sämtlichen Lebensbereichen zusammen, wie etwa Liebe, Ehe, Sex, Freunde, Handeln, Denken, Lügen, Glück, Geld, Karriere, Alter und Tod.

Die Fragen und die gebotenen Antwortmöglichkeiten sind dabei direkt, mal sachlich, mal im ersten Moment noch witzig. Im zweiten bewegen sie gerne auch zum Grübeln und Nachdenken. Sie sind vielseitig, intelligent gestellt, oft originell und manches Mal bemerkenswert.

Und sie gehen nicht immer unbedingt nett und höflich mit ihrem Leser um. Sie sind - wie es der Titel bereits sagt - indiskret, aber sie sind auch niemals überheblich. Wer sich ihnen stellt und sich auf sie einlässt - das natürlich die Grundvoraussetzung - wird sich nicht nur mit seinem Blick auf die Welt, sondern auch kritisch mit seinem Ego, mit seiner Position, seinem Umfeld, dem Blick der Anderen auf sich selbst, seinen Zielen und deren (Nicht-)Erfüllung auseinandersetzen können. Die Fragen scheinen dabei so manches Mal fast Potential zu haben, einen Egozentristen in die Entwicklung zu einem reflektierten Menschen zu bewegen - wenn der denn nur mitspielt.

"Wie oft verwechseln Sie Talent mit Erfolg?"

Angenehm ist, dass Dobelli sprachlich locker bis sachlich und inhaltlich immer am Menschen und an Lebensbereichen und Fragen bleibt, die sich bei praktisch jedem wiederfinden lassen, sieht man von dem Kapitel Affären vielleicht einmal ab. Er erspart sich umständliche und ausholende Ansätze ohne oberflächlich zu bleiben, lässt schwerer verdauliche Themen und Fragenkomplexe mit humorvolleren und spielerischen Elementen abwechseln. Scheint man manches Mal eine Frage ehrenhaft beantwortet zu haben, so wird diese Position von einer folgenden gelegentlich schon wieder als zweifelhaft entlarvt. Zu ernst sollte man manche Frage in Vermeidung einer Sinnkrise nicht beantworten.

Die zwanglos-kurzweilige Interaktivität zwischen Buch und Leser machen die Lektüre so unwiderstehlich. Die Fragen verführen zu Antworten und wiederholtem Lesen. Das Buch ist dazu geeignet, mitgenommen, in Pausen oder Wartezeiten zur Hand genommen zu werden, dass man darin stöbert und bei Gelegenheit ein paar Fragen oder ein Kapitel durchspielt. Es ist eigentlich der perfekte Spiegel.

"Wären Sie lieber sympathischer oder intelligenter?"

Allerdings, was Dobelli vorlegt ist keineswegs neu, sondern steht in langer Tradition. Wie der Autor im Vorwort selbst aufklärt, waren Fragebogen dieser Art ein beliebtes Gesellschaftsspiel im England des vorletzten Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat sie dann Rolf Dobellis großes Vorbild, Max Frisch, bekannt gemacht. Sein Nachfolger Dobelli ist ihnen nicht nur "erlegen", sondern präsentiert mit seiner eigenen Sammlung den "Versuch, daran anzuschließen und sie noch ein bisschen weiterzutreiben - auch als Hommage an Frisch." Es gelingt ihm.

Dobelli schließt an Frischs Arbeitsweise und Methodik dabei lückenlos an. Der Fragestil und die Methodik, die Sprache und Aufbau sind so gut wie identisch. Dobelli transportiert die Fragebögen in die Gegenwart, erweitert die Themen unter anderem um Karriere, Management und Sex sowie abstraktere Begriffe wie Denken und Handeln. Er ist in der Modernisierung dabei so gründlich, dass des Öfteren auch Begriffe und Vergleiche aus der Wirtschafts- und Geschäftswelt Eingang finden.

Ein einziger relevanter Punkt, den man unter Dobellis 777 Fragen nicht findet, sind Kinder und die Elternrolle, ein Thema, das jedoch Frisch bereits hinterfragte.

Insgesamt ist Dobelli thematisch vielfältiger und vielseitiger als sein Vorgänger, der seine "Fragebogen" allerdings ursprünglich auch nicht für sich genommen, sondern im Rahmen des 1972 im Suhrkamp Verlages erschienenen Buches "Tagebuch 1966-1971", veröffentlichte, und auch so wohl keinerlei Anspruch auf Umfassenheit erhoben hätte, den beide Ausgaben zusammen genommen allerdings erfüllen dürften.

Rolf Dobellis "Wer bin ich? 777 indiskrete Fragen" ist ein gutes, gelungenes und detailreiches Erweiterungsset zu einem ebenso spannenden Grundbausatz Frischs, das durchaus auch allein stehen kann. Und beide zusammen genommen garantieren Lesespaß und Denkanstöße auf hohem Niveau über zwei Schriftstellergenerationen. Keine Frage dürfte dann noch offen bleiben.


Titelbild

Rolf Dobelli: Wer bin ich? 777 indiskrete Fragen.
Diogenes Verlag, Zürich 2007.
144 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3257065639

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