Geld oder Leben

Eifrig und enthusiastisch haben sich unabhängige Redaktionen der Literatur im Internet angenommen. Schnee von gestern?

Von André BlümelRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Blümel und Tian-yun ZhaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tian-yun Zha

"Seit Oktober 2006 wird das Berlinerzimmer nicht mehr redaktionell gepflegt." Mit diesen Worten begrüßt die Startseite des seit 1998 im Netz stehenden "Salons" ihre Besucher. In einem neuen Fenster erklären die einstigen Macher online: "Unsere Lebenssituation hat sich über die Jahre geändert." So ist Sabrina Ortmann heute als PR-Referentin aktiv und Enno E. Peter widmet sich neuen Projekten, veranstaltet unter anderem den "Erotischen Salon" in der Kulturbrauerei Berlin. Erotik statt Literatur also.

"Da bleibt leider für ein derart aufwendiges Projekt, das finanziell kaum die Kosten einspielte, kein Raum mehr", kommentieren Ortmann und Peter den endgültigen Stillstand der ehemaligen Drehscheibe für Literatur im Netz. Dabei geben gerade die redaktionell betreuten Websites wie das "Berliner Zimmer" ein Qualitätsversprechen ab, ist es doch ihr Anspruch, einen von der Herausgeberinstanz überprüften, nichtkommerziellen Blick auf Literatur zu werfen.

Zwischen "genial" und "lustig" - den meisten reicht's

Schließlich sind wir hier nicht in der launischen 'Blogosphäre', in der wahllos jeder Kommentar veröffentlicht wird, und fern der kommerziellen Verlagsseiten mit ihrer Eigenwerbung. Auch mit oberflächlichen Kundenrezensionen, wie sie auf "Amazon.de" zu finden sind, hat ihr Programm nichts zu tun. Die dort vorherrschende Literaturbetrachtung im Spannungsfeld zwischen "genial" und "lustig" scheint den meisten Buchlesern auszureichen, die Zielgruppe für eine tiefer gehende Auseinandersetzung ist gering.

Ohne Sponsoren oder Werbepartner heißt es für die engagierten Literaturliebhaber der redaktionell betreuten Seiten: Geld oder Leben. Und zwar unabhängig von der Größe der Community. Staatliche Institutionen bieten einen Ausweg, nicht ganz so unbedenklich ist jedoch die Zusammenarbeit mit finanzkräftigen Unternehmen aus dem Literaturkosmos.

"Literature.de": Leser als Literaten

Grundsätzlich hängt die Attraktivität einer Seite und damit der Geldzufluss aus privatwirtschaftlichen Quellen von der Anzahl der Seitenbesucher ab. Wer nicht den Weg in die öffentliche Randständigkeit gehen kann oder will, hängt den feuilletonistischen Anspruch nicht allzu hoch. Bei den verbliebenen Großen der Szene wie "literature.de", "literaturcafé.de" oder "readme.cc" geht es um den Austausch über, weniger um die Bewertung von Literatur. Ganz ohne Rezensionen will allerdings niemand auskommen.

Das Literaturportal "literature.de" bietet neben einem Forum, in dem Besucher Buchtipps austauschen, und einer nützlich anmutenden Autoren- und Verlagsauflistung tägliche Buchbesprechungen. Einen Schuss Individualität tragen die Geschichten der Besucher in das Portal hinein, die den Mitgliedern der Portal-Gemeinde ein Profil verleihen. Da bleibt der Zeitungsleser wesentlich anonymer.

50 Stunden allein für Koordination

Aus einer Laune heraus hat Sven Trautwein während seines Studiums "literature.de" gestartet. Autoren schickten ihre Kurzgeschichten und er stellte sie online. "Ab 1999 kamen die ersten Rezensionen hinzu", blickt der Webmaster heute zurück, "und im Jahr 2000 erschien der erste Band der Anthologie 'Netzgeschichten'." Das Tagesgeschäft der Rezensionen und Nachrichten hat Trautwein inzwischen an 16 bundesweit tätige Redakteure delegiert und kümmert sich selbst vorwiegend um Koordination und Weiterentwicklung. 40 bis 50 Arbeitsstunden investiert er jede Woche in das gute Gefühl, andere Menschen zu unterhalten. Der typische Besucher der Seite ist übrigens weiblich, hat ein überdurchschnittliches Haushaltseinkommen und einen gehobenen Bildungsstand. Unter den Nutzern weiß Trautwein aber auch den ein oder anderen "namhaften Verlag", wie die Aufnahme von Zitaten aus Texten seiner Website in Publikationen der Verlage zeigten.

"Literaturcafe.de": Unterhaltung geht vor

Wer sich in den eigenen vier Wänden wie unter Menschen fühlen möchte, den spricht vielleicht die Seite "literaturcafe.de" an, der laut Selbstbeschreibung "literarische Treffpunkt im Internet seit 1996". Eine Kooperation mit dem Billigbuchhändler Jokers, dessen Beilagen aus überregionalen Zeitungen bekannt sind, weist auf finanzielle Sicherheit hin. Vor der Präsentation neu erschienener oder zeitloser Literatur, die in der Menüleiste zugriffsbereit vorliegt, steht die Unterhaltung der Seitenbesucher. Hier überraschte das "Literaturcafé" Anfang Januar 2007 mit einem YouTube-Videoclip zum Thema: "Bücher gehören nicht ins Fernsehen." Das ist nicht ungefährlich: Der Klick öffnet die Video-Website, und wer ins "Literaturcafé" will, muss den multimedialen Verlockungen bei YouTube widerstehen, will er wieder zum "Literaturcafé" zurück.

"Als Romanautor glaube ich nun auf der richtigen Seite gelandet zu sein und werde in Zukunft oft 'vorbei kommen' und evtl. Beiträge liefern. Mehr über mich und meine Bücher erfahren Sie unter: [...]." Offenherzig verknüpft ein Besucher im Gästebuch von "literaturcafe.de" Lob und Eigenwerbung. Eine Nutzerin versichert an gleicher Stelle: "Die neuesten Beiträge lese ich immer. Einfach toll!" Kann man Menschen und ihre Bedürfnisse besser zusammenführen? Für die Qualität des Internetportals "literaturcafe.de" bürgt die Nachrichtenredaktion, die Neuigkeiten aus der Literaturwelt aktuell veröffentlicht. Ganz der Kommunikation widmet sich die Rubrik "Textkritik". Hier rezensiert alle zwei Wochen ein Nutzer den Text eines anderen Nutzers.

Doch woher soll der Neuling der Seite wissen, ob hier auch "große Literatur" zu lesen ist? Florian Langenscheidt, immerhin einer der Stifter des Deutschen Buchpreises, urteilte in der Zeitschrift Tomorrow zumindest: "Das Literatur-Café gehört zu den weltbesten Seiten im Internet." Nachzulesen auf "literaturcafe.de". Vielleicht ist das Web-Radio des Cafés der beste Einstieg. Es gewann immerhin den "Deutschen Podcast-Award 2006".

"Readme.cc": Für jeden Geschmack eine Nische

Ein Großprojekt zur Vernetzung von Literaturfreunden betreut der österreichische Autor Walter Grond. Die Seite "readme.cc" möchte er zum europäischen Treffpunkt für passionierte Leser machen, die nach dem letzten Satz noch einen Hang zu tiefer gehender Auseinandersetzung mit den erlesenen Texten verspüren. Im Jahr 2002 dachte er erstmals darüber nach, die Tugenden des Literatur- und Wissenschaftsbetriebs, die in der Expertise liegen, mit der interaktiven Demokratie der Internet-Communities zu kombinieren.

Als Rezensionsforum versteht sich die Seite nicht. Buchempfehlungen erfolgen unabhängig von Erscheinungsdatum und Gattung. Zwar gehöre es zum Konzept, eine große Datenbank mit Empfehlungen aufzubauen, sagt Grond, andererseits solle die Idee des klassischen Leserzirkels neu belebt werden. Der Gründer erklärt: "Man kann sich auf 'readme.cc' einfach eine Nische suchen und nur mit bestimmten Lesern und deren Lektüren vermittelt werden." Bis 2010 ist die Existenz des von Kommerz befreiten Austauschforums gesichert, denn die Europäische Union unterstützt das Vorhaben finanziell.

Für das Gelingen einer redaktionell betreuten Literatur-Website erklären Grond und Trautwein die "Leidenschaft" zur wichtigsten Voraussetzung. So sprechen Menschen, die es geschafft haben, sich finanzieller Sorgen um ihre Projekte zu entledigen. Neueinsteiger sollten wissen, dass "Amazon" vor Rezensionen überläuft, während im Netz das tiefere Fragen nach hintergründig im Text verborgenen Anschauungen selten ist. Das macht "readme.cc" zu etwas Besonderem.