Zu dieser Ausgabe

Hans Wollschläger blickt in seinem Essay "Die Literatur und die Kritik" (1984) voller Abscheu auf "eine veritable Müllhalde" von Leseschrott. Es gebe einen riesigen "Ramsch und Gerümpelhaufen von Büchern", der dem 'guten Leser' die Sicht auf den "Gestirnten Himmel" der Literatur verstelle.

Wollschläger empört sich über "die schier unabsehbare Fülle stiebender Momentandrucksachen", die "Legionen von 'Theorie'-Drucksachen, die noch niemanden das 'theorein' gelehrt haben" und über "die endlosen Fuder Kram und Krempel", die auf den Buchmarkt geworfen würden: "80 000 neue Titel erscheinen alljährlich, von chorischem 'Siehe da!' begrüßt, auf der Buchmesse - und sie reden auf eine Nation ein, der das Ifak-Institut das Geständnis abgelockt hat, daß 29% ihres Großen Ganzen bei ihrer Erwerbstätigkeit überhaupt ohne jeden Erwerb eines Buches durchs Leben kommen", mahnt Wollschläger.

Wenn vom Buchmarkt die Rede ist, werden solche kulturpessimistischen Hiobsbotschaften gerne eingestreut. Auch zur diesjährigen Leipziger Buchmesse war ein Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen, der eine britische Umfrage referierte, wonach mehr als die Hälfte der befragten Literaturkäufer in England oft nicht einmal mehr in Erwägung zögen, die erstandenen Bände auch zu lesen.

Na und? Seit jeher gab es Leser und Nichtleser, 'gute' und 'schlechte' Literatur, sich wandelnde publizistische Moden und Trends, Neubewertungen ehemals missachteter Romane und das Vergessen von Autoren, die man eine zeitlang für kanonisch hielt. Ist es denn so schlecht, dass heute mehr Bücher denn je erscheinen - trotz (oder wegen?) Web 2.0 und der mächtigen Konkurrenz des Fernsehens? Alles scheint doch darauf hinzudeuten, dass weiter gelesen wird - wenn auch vielleicht anders als vor 200 Jahren.

Die April-Ausgabe von literaturkritik.de steht pünktlich zur Leipziger Buchmesse im Netz, um Ihnen die Orientierung in der Masse der Erscheinungen zu erleichtern. Außerdem gehen wir diesmal der Frage nach, was es mit der Literatur und ihrer Kritik im Internet auf sich hat: Fritjof Küchemann, Lehrbeauftragter am Fachbereich für Neuere Deutsche Literatur der Philipps-Universität Marburg, hat mit Studierenden einige Artikel zum Thema erarbeitet, denen wir dankend eine eigene Rubrik gewidmet haben.

Herzliche Grüße,
Ihr
Jan Süselbeck