Zwischen Luftschiffen und Marathon

Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Günter Herburger

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Extreme stehen bei Günter Herburger ganz hoch im Kurs - literarisch, politisch und auch in der Freizeit. In den wilden 60er Jahren schloss er sich der DKP an, 15 Jahre arbeitete er an seiner Thuja-Mammuttrilogie, und eines seiner prägenden Erlebnisse war die Teilnahme am 235 km langen Ultra-Marathonlauf von Athen nach Sparta. Nach eigenem Bekunden hat er nur einmal in Berlin die "klassische Strecke" auf Zeit gelaufen, um seinem Sohn zu imponieren: "Der will doch den tollen Papa sehen, da habe ich alle vor mir aufgerollt und hetzte den Kudamm hinauf... Es hat nichts genützt. Geschämt hat er sich, weil ich so erschöpft war im Ziel. Ich schwitzte und fror und hab mich auf dem Kudamm nackt ausgezogen, was einem ja wurscht ist, wenn man völlig von Sinnen ist."

Günter Herburger, der vor 75 Jahren in Isny im Allgäu als Sohn eines Tierarztes geboren wurde und seit vielen Jahren in München lebt, ist ein Mann, der die Herausforderungen förmlich sucht, der literarisch wie körperlich als unermüdlicher Grenzerforscher tätig ist. Die Affinität zum Außergewöhnlichen zeigte sich schon in den 50er-Jahren, als er in Paris Sanskrit studierte. Seit einem kurzen Zwischenspiel Anfang der 60er-Jahre als Fernsehredakteur für Kindersendungen in Stuttgart arbeitet er als freier Schriftsteller.

Doch ganz ohne Folgen blieb das TV-Intermezzo nicht, denn Herburger trat später noch wiederholt als Autor der "Birne"-Kinderbücher in Erscheinung. Seine ersten künstlerischen Meriten erwarb er als Hörspielautor, es folgte ein kurzes Gastspiel als Filmemacher, ehe sich Herburger in den 70er-Jahren ganz der Erzählliteratur zuwandte und sich als Vorreiter der postmodernen Literatur entpuppte. Ein erstes Beispiel dafür lieferte die von Bernhard Wicki verfilmte Erzählung "Die Eroberung der Zitadelle" (1972).

Eines der gelungensten Bücher ist noch heute die 1984 erschienene Erzählung "Capri", in der die Phantasie und Technik eines Diebes der Arbeitsweise eines Schriftstellers gegenüber gestellt wird. Für Freunde bekenntnishaft-selbstzerfleischender Literatur sind Herburgers stark autobiografisch gefärbte Marathon-Bücher "Lauf und Wahn" (1988), "Traum und Bahn" (1995) und "Schlaf und Strecke (2005)" Pflichtlektüre.

Ein vom Schreibwahn befallener Zeitgenosse, der sich auf den Turm des Ulmer Münsters zurück zieht, steht dagegen im Mittelpunkt von Herburgers letztem Roman "Elsa" (1999). Auch in dieser Extremfigur spiegelt sich ein wenig die Vita des Autors.

Seit mehr als 40 Jahren hat Herburger darüber hinaus dem Gedicht die Treue gehalten. Seit dem Band "Ventile" (1966) hat er sich kontinuierlich auch mit Lyrikbänden zu Wort gemeldet - zuletzt vor fünf Jahren mit "Eine fliegende Festung". Im Vorwort zu seinem Gedichtband "Orchidee" (1977) hat er seinen Lesern geraten, "Gedichte wie Luftschiffe zu benützen, denn wer nicht zu fliegen wage, verzichte auf Übersicht und Mut".

Zwischen Luftschiffen und Marathonläufen hat sich Günter Herburger in unserer schnelllebigen Zeit eine gute Portion Individualität bewahrt.