Montys milder Mime

In seinen Tagebüchern beschreibt Michael Palin die wilden, goldenen Jahre der Monty-Python-Truppe

Von Peter MünderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Münder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser Winterabend auf dem Campus der Londoner Universität ist zwar trübe und regnerisch, doch die Stimmung der rund tausend Studierenden, die zielstrebig zur Logan Hall strömen, ist sehr aufgeräumt. Die meisten tragen einen dicken Wälzer unter dem Arm, den sie dann vom Autor des gerade veröffentlichten Buches, dem Kult-Komiker und Monty-Python-Urgestein Michael Palin, signieren lassen: Es sind die 650 Seiten starken Tagebücher von 1969-1979 - "The Python Years", so der Untertitel. Kurz bevor Michael Palin mit der "Guardian"-Redakteurin Francine Stock vor den enthusiastischen Fans über sein Buch spricht, huscht noch ein schnauzbärtiger Riese mit einem halben Dutzend Begleitern in die dritte, für ihn reservierte Reihe des Auditoriums, wo er sofort von zwanzig Autogrammjägern umringt wird. Monty-Mitstreiter und "Fawlty-Towers"-Hotelier a.D. John Cleese ("Don't mention the war!") ist zwar not very amused, kritzelt aber dennoch griesgrämig auf alles sein Signum, was ihm vor die Nase gehalten wird. Ein Hauch von Hollywood, von nostalgischer Fan-Begeisterung und rührender Monty-Python-Kult-Verehrung umweht diesen Abend. Bei Stichwörtern wie "Fischklatsch-Tanz", "Toter Papagei", "Ritter der Kokosnuß", oder "Leben des Brian" zitieren viele Zuhörer sofort kurze Dialogpassagen, singen "Always Look At The Bright Side of Life" oder stottern verzückt, wie es Palin in seiner Paraderolle als Zierfisch-Fan und stotternder Ganoven-Hiwi Ken im wunderbaren Streifen "Ein Fisch namens Wanda" (Drehbuch und Hauprolle: John Cleese) mit Kartoffelchips in den Nasenlöchern tat, "Ca...ca...ca...cathcart Towers".

Die Tagebücher beginnen mit der Gründung der Monty-Python-Gruppe im April 1969 und enden mit dem 31. Dezember 1979, als sich die Truppe auflöste. Michael Palin war beim ersten Eintrag fünfundzwanzig, seit drei Jahren mit seiner Jugendliebe Helen verheiratet und Vater eines sechs Monate alten Sohnes. Später kamen noch zwei Kinder hinzu. Mit denen ging der Mann aus Sheffield am liebsten Schwimmen, sah sich Fußballspiele an, wenn sein Lieblingsverein Sheffield Wednesday spielte oder er genoss den Besuch von Kindertheater-Vorstellungen und zitterte mit, wenn der junge Jim Hawkins in der "Schatzinsel" aus dem Lageplan des Schatzes schlau zu werden versuchte. Diese Familien-Episoden nehmen einen ziemlich breiten Raum ein, weil sie für Palin anfangs noch wichtiger und beglückender waren als die Monty-Python-Aktivitäten, die sich erst später zu großen Publikumsrennern entwickelten. Zu den Highlights gehören Episoden am Rande der Filmarbeiten in Tunesien, Neuschwanstein oder im schottischen Hochland, wo Regisseur Terry Jones sich aufgrund eines kümmerlichen Schrumpf-Budgets veranlasst sah, vorbeilaufenden Touristen unbezahlte Rollen im Film "Ritter der Kokosnuß" anzubieten: "Wollten Sie nicht immer schon mal in einem Film mitspielen?"

Als die sechs Python-Mimen Michael Palin, John Cleese, Terry Jones, Terry Gilliam, Graham Chapman und Eric Idle im September 1972 vom damals größten deutschen Monty-Fan Alfred Biolek im Auftrag des Bayrischen Rundfunks zu Dreharbeiten nach Hohenschwangau und aufs Schloss Neuschwanstein eingeladen werden, findet sich folgender Eintrag: "Wieder ein schöner sonniger Tag. Schlüpfe ins Prinz Albert-Kostüm und setze mich dann draußen vor das Hotel, lese Raymond Chandler, schreibe Postkarten und bringe die promenierenden Touristen völlig durcheinander. Die erscheinen um 11.30 Uhr in Horden, schwirren überall wie die Insekten herum und verschwinden wie diese wieder abends, wenn es kühler wird. Filmarbeiten am See. Eric spielte auf seiner Gitarre, ein Faß Bier wird im Wasser warmgehalten und Connie Cleese vergewaltigte mich (im Film). Was konnte es an diesem Tag Schöneres für einen Mann geben?"

Palin wollte sich mit seiner Fingerübungschronologie laufender Ereignisse sozusagen "warm" schreiben für seinen ersten Roman, an dem er lange herumlaborierte, um ihn dann doch zu verwerfen und zum Theaterstück "The Weekend" umzuarbeiten.

Der Reiz seiner Tagebücher besteht auch in der Beschreibung beinah prähistorischer Ereignisse. Wer kann sich noch an die wilden Bergarbeiter-Streiks mit Dreitagewoche, Stromsperren und einem Sendeschluss der TV-Sender um 22 Uhr erinnern? "Beinah zweitausend Wörter in die Maschine getippt", lautet ein Tagebucheintrag vom 1. November 1977. "Um 15.50 Uhr gibt es eine dreistündige Stromsperre. Willy bringt mir eine Kerze und ich schreibe in Dickens-Manier weiter. Die Kinder lieben diesen Blackout und stöhnen enttäuscht auf, wenn das Licht wieder angeht".

Die Passagen über Zensurprobleme mit der BBC kreisen oft um die Frage: Wie weit darf die Satire gehen? Da die Pythonisten völlig ideologiefrei mit Linken, Rechten, Nazis, Briten, Wikingern, der Royal Family und liebgewordenen Tabus und Vorurteilen umgingen, nahmen immer mehr Gruppierungen Anstoß an den unbotmäßigen Sketchen. Da will die auf ihr steriles Tanten-Image bedachte BBC dann Ausdrücke wie "masturbieren", "Kondom" oder "Kinderschänder" aus den Sketchen entfernen und verhindern, dass eine Ente für die Herstellung eines Cocktails geköpft wird. Man einigte sich dann nach längeren Diskussionen mit BBC-Offiziellen auf faule Kompromisse.

Das größte Faszinosum dieser Tagebücher bilden Rückblicke auf die Erfolgsgeschichte der aus studentischen Revuetheatern in Oxford (Michael Palin und Terry Jones ) und Cambridge ( John Cleese, Graham Chapman, Eric Idle, Terry Gilliam) hervorgegangenen Gruppe, die ja lange Zeit größere Triumphe in den USA als in England feierte. Ein Redakteur des mit privaten Spendengeldern finanzierten Senders PBS brachte die Monty-Python-Manie in den USA ins Rollen: Er sorgte für die Ausstrahlung mehrerer Episoden, löste damit wahre Begeisterungsorgien aus, was die großen US-Sender dann veranlasste, sich mit riesigen Etats die Senderechte für weitere Folgen zu sichern. Während dieser märchenhaften Welle der Begeisterung gab es lange Schlangen vor Kinos in New York und Los Angeles, Einladungen nach Hollywood mit Millionendeals, Buch-und Plattenverträgen. Schließlich sitzt der bescheidene Mime, der im Unterschied zum pompösen Rolls-Royce-Fahrer Cleese mit einem Mini zufrieden ist und auf Statussymbole keinen Wert legte, in der Concorde nach New York, tritt in der US-TV Show "Saturday Night Live" auf und bekommt für Monty- Filmprojekte von Ex-Beatle George Harrison, mit dem er befreundet ist, kräftige Kapitalspritzen. Trotzdem bleibt der Mann mit dem Boy-Scout-Image auf dem Teppich und fragt sich auf dem Höhepunkt des Python-Rummels selbstkritisch: "Sind wir nun vielleicht doch Teil des Systems geworden und genießen eine Art Hofnarren-Freiheit?" Dies war die Phase, in der John Cleese aus der Gruppe ausstieg, um seine "Fawlty Towers"-Serie allein zu produzieren. Michael Palin übernahm eine Rolle in der Verfilmung des berühmten Romans "Drei Männer im Boot" (Regie: Stephen Frears ) und auch Terry Gilliam wollte nun endlich seinen eigenen Film produzieren.

Seitdem ist Michael Palin als weltreisender Reporter für die BBC unterwegs - seine amüsanten TV-Dokumentarfilme über Länder am Pazifik, über den Himalaya, Hemingways Romanschauplätze oder über Regionen von Pol zu Pol haben Millionen Zuschauer sowie die Leser der Bildbände auch in Deutschland fasziniert. Da er jetzt wieder während des ganzen Jahres unterwegs ist, um für die BBC eine Reportage über die Lage in neuen EU-Mitgliedsstaaten wie Polen, Bulgarien und Rumänien zu drehen, hatte Palin seine öffentlichen Auftritte auf diese einzige Diskussion in London beschränkt, wo er jeden Signierwunsch mit bewundernswerter Geduld und natürlicher Herzlichkeit erfüllt. Arrogante Posen oder profilneurotisches Promi-Gehabe sind ihm zutiefst verhasst - der Mann besitzt eine geradezu beängstigende freundliche Gelassenheit. "Mein Vater litt ja sehr unter seinem Stottern und war vielleicht auch deswegen ein notorischer Nörgler, der sich mit jedem Kellner und Beamten anlegte. So ein misanthropischer Spielverderber wollte ich jedenfalls nicht werden", erklärt er mit unerschütterlicher Sanftmut.

Als Schüler imitierte Michael Palin seine Lehrer und ihre exzentrischen Macken mit großem Geschick und merkte bald, wie beliebt er als verrückter Stimmenimitator und deklamierender Shakespeare-Rezitator wurde. Als er dann noch die wunderbar-anarchische, irre mit Spike Milligan im Radio entdeckte, war das Interesse für subversiven Humor wohl schon zum Lebensinhalt geworden. Übrigens hatte Palins völlig perplexer Vater ihn einmal beim sonntäglichen "Goon"-Show-Ritual am Radio gestört. Der hielt diese aberwitzige Sendung mit ihren schrillen Dialogen und kreischenden Stimmen für so verrückt, dass er am Radio einen ernsten Defekt vermutete. Das Gefühl, jederzeit aus einer dumpfen Alltagsroutine in einen schrillen, absurden Ausnahmezustand abrutschen zu können, wurde damals noch durch seine Auftritte in Schultheateraufführungen verstärkt. In Gegenwart von aufgeblasenen Politikern, eitlen Promis oder bornierten Bürokraten geht ihm auch heute noch oft die fixe Idee durch den Kopf: "Was wäre, wenn ich diesem aufgeblasenen Tölpel jetzt eine Banane in den Mund stopfen würde"?

Keine Frage, dieser subversive Humor hat eine enorme systemkritische Qualität. Trotzdem würde Palin niemals innerhalb eines etablierten Parteienapparats aktiv werden: "Ich bin ein schlechter Lügner", bekennt er grinsend. Falls er eine Partei gründen würde, dann würde er sie "Silly Party" nennen. Kleine Kostproben dieser anarchischen "Silly"-Philosophie liefert das Tagebuch immer wieder. Als er etwa beim Besuch einer Promi-Veranstaltung im Gästebuch blättert und den Eintrag sieht "Margaret Thatcher, House of Commons", überlegt er spontan, ob er sich nicht als "Gi. Raffe, Londoner Zoo", verewigen soll - was er dann doch unterlässt. Wenn Fans die Python-Gruppe gelegentlich als "verrückte Kinder" bezeichnen, dann merkt man Palin im Tagebuch an, wie sehr er dies als ganz großes Kompliment auffasst. Er verstand sich eben nie als Mitglied einer ideologisch ausgerichteten Oberlehrer-Truppe, sondern als anti-autoritärer Spaßmacher, der eingefahrene Sichtweisen und ritualisierte Verhaltensweisen über den Haufen werfen wollte.

Michael Palin ließ sich ja nicht nur als verspielter Kettenhemd-Ritter mit der Kokosnuss auf waghalsige Eskapaden ein. Er nahm auch die polemischen Attacken und Hasstiraden empörter Kirchenfunktionäre und militanter Sektierer in Kauf, als "Das Leben des Brian" und seine satirische Abrechnung mit plumpem Personenkult und einer blinden Autoritätsfixierung wegen der umstrittenen Kreuzigungsszenen als blasphemische Christus-Verhöhnung missverstanden wurde. Da gab es dann in den USA und vereinzelt auch in England Boykottaufrufe und giftige Leitartikel. In einer TV-Diskussion mit dem Bischof von Southwark und dem bekannten Kritiker Malcolm Muggeridge konnte sich Palin allerdings souverän gegen den ebenso aufgeblasenen wie aufgebrachten Gottesmann durchsetzen, der den Monty-Python-Film gar nicht gesehen hatte. Der spielerische Umgang mit religiösen Tabus, mit dem brisanten Phänomen "Masse und Macht", den "Das Leben des Brian" demonstrierte, bedeutete jedenfalls den internationalen Durchbruch für "Monty Python's Flying Circus".

Angenommen, das Monty-Team wäre heute noch aktiv, welche Themen würde Palin ins Visier nehmen? Wären die Arbeitsbedingungen heute einfacher, da es kaum noch Tabus gibt? "Wir würden uns bestimmt mit den Exzessen der Globalisierung auseinandersetzen", meint Palin. Die wahnwitzigen Honorare der Manager und deren Raffgier hält er für unausstehlich, weil gleichzeitig Tausende von Arbeitsplätzen wegrationalisiert werden. "Außerdem wird die Heuchelei der Politiker immer unerträglicher", entrüstet er sich: "Pausenlos wird uns suggeriert, wir wären so frei wie nie zuvor, doch überall lauert Big Brother und an jeder Ecke werden neue Überwachungskameras installiert".

Mit den Disputen über die Gründung von Tochterfirmen, die Nutzung obskurer Steueroasen und über individuelle Star-Privilegien stellten sich bei einzelnen Monty-Python-Mitgliedern ernste Symptome von VIP-Größenwahn und die ersten Auflösungserscheinungen ein. So wollte John Cleese etwa einen eigenen Koch zum Arbeitstrip nach Barbados einfliegen lassen, während ein anderer unbedingt seinen eigenen Masseur beanspruchte. Michael Palin ist wahrscheinlich die perfekte Inkarnation britischen Understatements. Immer gutgelaunt, uneitel, höflich und freundlich, wird er von den meisten Leuten offenbar nicht so richtig ernst genommen. "Er schreibt und spielt, er entwickelt fortwährend neue Projekte und quasselt ununterbrochen und wenn jeder dann abends erschöpft ins Bett fällt, dann geht er nach Hause und schreibt auch noch sein Tagebuch", mokierte sich John Cleese einmal bewundernd-ironisch über diesen so liebenswert-verspielten, dennoch extrem disziplinierten milden Mimen. Der führt übrigens immer noch sein Tagebuch und bereitet schon den nächsten Band für eine Veröffentlichung vor.


Titelbild

Michael Palin: Diaries 1969-1979: The Python Years.
Weidenfeld & Nicolson Publishers, London 2006.
650 Seiten, 31,00 EUR.
ISBN-10: 0297844369
ISBN-13: 9780297844365

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