Zwischen Zeilenrausch und Telefonmarketing
Gerhard Kromschröder und Svenja Hofert geben Ratschläge für das Leben und Überleben als Journalist
Von Stephan Porombka
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs gibt sie noch: Die alten Haudegen unter den Reportern, die ihr ganzes Leben als Folge von Abenteuern erzählen können. Gestern sind sie in einem der Krisengebiete in Nahost durch den Sand gerobbt, heute recherchieren sie undercover in der Neonaziszene, morgen fahren sie dann quer durch Afrika, um vom Elend eines ganzen Kontinents zu berichten. Im Sinn haben sie dabei immer nur eins: das große Reportageformat mit der selbst fotografierten Bildstrecke, die den Leser noch einmal erleben lässt, was der Reporter selbst hautnah und manchmal auch unter Einsatz des eigenen Lebens beobachtet hat.
Gerhard Kromschröder ist ein solcher Stratege. Berühmt geworden ist er durch Verkleidungs- und Enthüllungsreportagen, die am Ende der sechziger Jahre in "pardon", später im "Stern" und dann immer wieder auch in Buchform erschienen sind. Im Mittelteil seiner Vorlesungen zur Poetik des Journalismus, die Kromschröder 2005 in Wien gehalten hat und die jetzt zusammen mit ein paar seiner großen Reportagen in einem Band erschienen sind, wird er "in einigen seiner Rollen" mit Foto vorgestellt: als Giftmüllkutscher, als indischer Asylbewerber, als Hooligan, als Beichtender, als Rocker, als Neonazi, als Skinhead und als Türke. Wer immer noch glaubt, Günter Wallraff sei der erste gewesen, der sich als Türke verkleidet hat, um am eigenen Leib zu erfahren, wie Ausländer in Deutschland behandelt werden, der wird am Rande von Kromschröders Poetik-Vorlesungen eines besseren belehrt: "Meine Reportage 'Als ich ein Türke war' erschien drei Jahre vor Wallraffs Türken-Buch 'Ganz unten', und es gibt zweifellos Parallelen. Hat Wallraff also bei mir geklaut, vielleicht sogar abgeschrieben? Nein, hat er nicht, denn man kann nur klauen, was einem anderen gehört. Und jedem Journalisten steht es frei, sich zu verkleiden - ob als Neonazi (was Wallraff nie getan hat), als Wasweißich oder eben als Türke."
Tatsächlich haben die Vorlesungen nicht die Aufgabe, die Grenzen zwischen Original und Nachahmung zu klären. "Ich will Sie anfixen", sagt Kromschröder seinem Publikum, das vor allem aus Studierenden besteht: "Sie, die angehenden Journalisten, [will ich] für die verdeckte Recherche, fürs Rollenspiel gewinnen. Sie für diese spezifische Form der Rätselerkundung begeistern." Kromschröder zeigt mit jedem Vortrag, wie und wo man sich berauschen kann, wenn man ein echter journalistischer Junkie ist, der ohne die Recherche nach neuem Stoff nicht leben kann, ganz gleich, ob man sich als Lokaljournalist mit scheinbaren Marginalien der Kommunalpolitik beschäftigen muss oder als einer der wenigen ausländischen Reporter im ersten Irakkrieg in Bagdad einen Bunker mit mehreren hundert verkohlten Leichen fotografiert.
Es ist das Interessante an Kromschröders Vorträgen, dass er dabei nicht nur als charismatischer Prediger eines ebenso abenteuerlichen wie moralisch korrekten Journalismus auftritt, für den individuelle Unbestechlichkeit und Tapferkeit die entscheidenden Voraussetzungen sind. Er führt die Studierenden zugleich durch seine Werkstatt und zeigt an der eigenen Praxis, wie man eine verdeckte Recherche organisiert und das Material dann in Texte umsetzt. Kromschröder zeichnet die Rollenmuster nach, die sich in den Redaktionen der großen Illustrierten und in den Journalistencamps in Kriegsgebieten herausgebildet haben. Ganz zuletzt spricht er über die Spannung zwischen emotionaler Befangenheit und objektiver Berichterstattung, mit der jeder Journalist zu kämpfen hat, der dorthin geht, wo es weh tut.
Wer dabei etwas über den neuesten Pop-, Lifestyle- oder Borderlinejournalismus erfahren will oder gar wissen will, wie sich derzeit die Redaktionen Fragen nach der Aufbereitung von Inhalten für Auftritte im World Wide Web beantworten, wird in Kromschröders Buch nichts finden. Ihm geht es nicht um aktuelle Befindlichkeiten, sondern um die alte Schule. Als er zum Ende der Vorlesung überlegt, wie er seinen Zuhörern "noch mal Mut machen könnte, den Journalismus als Herausforderung anzunehmen", zitiert er zwei Zeilen, die er "an einem recht ungewöhnlichen Ort gefunden [hat], hier draußen vor dem Hörsaal 1 - auf der Toilette. Dort ist ein Sticker auf die weiße Kachelwand geklebt, und darauf steht: 'Wer kämpft, kann verlieren. / Wer nicht kämpft hat schon verloren.' Das sagt Ihnen nicht nur Bert Brecht."
Vielleicht haben einige der Studierenden nach Kromschröders Vorlesungen an genau diesem Ort gestanden und sich gefragt, ob ihnen das auf dem Weg ins Berufsleben wirklich weiterhilft. Wer das Gefühl hat, die Schule, durch die man in den Poetik-Vorlesungen geschickt wird, sei zwar faszinierend, aber doch eben nur die alte Schule, für den hat Svenja Hofert ein Buch geschrieben, das sich gut als Gegenmittel lesen lässt. "Erfolgreich als freier Journalist" heißt es und ist gerade in einer zweiten, überarbeiteten Auflage erschienen.
Svenja Hofert war nicht im Irak. Sie hat auch nie undercover recherchiert. In Hamburg betreibt sie ein Büro für Karriere-Coaching, mit der sie sich auf Freiberufler und Angestellte aus der Medienbranche spezialisiert hat. Folglich kümmert sie sich um Menschen, die nicht erst in Kriegsgebiete fahren müssen, um sich Gedanken über das nackte Überleben als Journalist zu machen. Der Existenzkampf gehört für sie zum Alltag. Während Kromschröder erklärt, wie man sich im siebten Stockwerk eines Hotels einrichtet, das in jeder Nacht unter Raketenbeschuss steht, erläutert Svenja Hofer, wie man sich am besten selbst in Stellung bringt, wenn man den Markt erobern will.
Die entscheidenden Voraussetzungen sind dafür nicht individuelle Unbestechlichkeit und Tapferkeit. Das wichtigste ist, den richtigen Marketing-Mix zu finden. Denn erst, so Hofert, "durch cleveres Marketing gewinnen Sie leicht neue Auftraggeber: Wenn Sie sich über Ihr Verkaufsargument, den USP (Unique Selling Proposition) klar sind, fällt Ihnen beispielsweise auch leichter, Auftraggeber direkt anzusprechen. Wenn Sie die Grundlagen erfolgreichen Telefonmarketings auf ihre Akquise von Aufträgen übertragen, überzeugen sie leichter."
Hoferts Kunden leben also nicht im Auftragsüberfluss. Auch sprühen sie nicht gerade vor Ideen und Abenteuerlust. Sie müssen überhaupt erstmal ermutigt werden, sich über das klar zu werden, was sie als Journalisten wollen, was sie können und wie "das Produkt" aussieht, das sie herstellen. Das Buch ist deshalb eins, in dem von der Autorin viele Fragen gestellt werden, die jeder Leser dann für sich selbst in Checklisten beantworten muss: "Wo liegen die Stärken ihrer Arbeit, wo die Schwächen? Wo sehen Sie Entwicklungspotenzial? Wo sind Nischen? Wer ist ihre Zielgruppe und was machen Ihre Wettbewerber anders, besser oder schlechter als sie?"
Die eigentliche Pointe dieses Coachings in Buchform ist: Hofert zieht dem Berufsfeld des Journalisten nicht die engen Grenzen, in denen sich Gerhard Kromschröder so locker und leicht als Charismatiker bewegt. Als Journalist zu arbeiten bedeutet für Hofert, gut recherchieren, Themen pointiert bearbeiten und zielgruppengenau schreiben zu können. Deshalb muss man nicht unbedingt ein großer Reporter werden. Hofert öffnet den Berufsweg zum Redenschreiber, zum Ghostwriter, zum Public-Relation-Spezialisten. Nicht zuletzt kann man mit ihrer Hilfe wahrscheinlich auch das machen, was die Autorin als gelernte Journalistin heute selbst macht: nämlich anderen Journalisten erklären, wie man erfolgreich arbeiten kann, wenn man kein Journalist im eigentlichen Sinn wird.
So lässt sich Hoferts Buch vor allem jenen empfehlen, die einmal davon geträumt haben, auch so etwas wie ein großer Gerhard Kromschröder zu werden, denen aber die mangelnde Nachfrage nach großen Reportagen, vielleicht auch der Mangel an Talent einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Damit bringt Hofert den Journalistenberuf allerdings endgültig um jene großartige Aura, die der alte Haudegen Kromschröder noch mit großer Geste beschwört.
Aber warum nicht beide Bücher lesen? Da auch das Abenteuer irgendwann zum Alltag wird und da sich der Journalistenalltag durchaus abenteuerlich genug gestalten kann, sollte man die Poetik-Vorlesungen ebenso wie den "Erfolgreich als freier Journalist"-Leitfaden zur Hand haben. Wenn man sich an dem einen ordentlich berauschen kann, so wird man am anderen wieder nüchtern. Und umgekehrt.