Ein bizarrer Fall und außergewöhnliche Menschen

Fred Vargas fasziniert mit ihrem neuen Buch "Die dritte Jungfrau"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Geschichte ist abstrus. Aber das ist sie bei Fred Vargas eigentlich immer. Nicht dem Realismus huldigt die Krimiautorin, sondern dem Ausgefallenen, dem Skurrilen, dem Mystischen. Vielleicht sogar dem Märchenhaften: Einer ihrer Detektive, die manchmal Hobbydetektive sind, geht nie ohne seine Kröte aus dem Haus, einer sieht einen winzig kleinen Knochen und weiß, hier wurde jemand ermordet, einer empfindet die Kreise auf dem Pflaster, die man morgens findet, als bedrohlich und spürt den Hass, schon lange bevor tatsächlich ein Mord geschieht. Dafür schenkt er seinen Kollegen selbstgesammelte Flusskiesel.

In Vargas' neuem Krimi "Die dritte Jungfrau" geht es um eine spukende Frau, ein Rezept zur Erlangung des ewigen Lebens, drei tote Hirsche, eine faule Katze namens "Boule" und einen Überfall in den Weinbergen vor vielen Jahren: "Als er ein Kind war, sind fünf Kerle über ihn hergefallen. Sie haben ihm den Bauch aufgeschlitzt und die Kopfhaut zerfetzt", sagt Adamsberg über seinen neuen Kollegen: "Diese Kerle kamen aus meinem Heimatdorf. Und er weiß es. Er hat so getan, als würde er es gerade erst herausfinden, dabei wusste er es sehr wohl, längst bevor er zu uns kam. Und wenn sie meine Meinung hören wollen, überhaupt nur deshalb ist er hier."

Aber der Fall beginnt mit zwei toten Drogendealern. Adamsberg glaubt aber nicht, dass es um Drogen ging, sondern um einen Bandenkrieg. Er macht seinem Kollegen die Leichen streitig: ",Zwei Penner mit durchschnittener Kehle an der Porte de la Chapelle, die sind für mich, Adamsberg', hatte Mortier erklärt. 'Zumal ein Schwarzer mit von der Partie ist. Du solltest sie mir übergeben, worauf wartest du noch? Soll's Weihnachten darüber werden?' 'Ich warte, bis ich weiß, warum sie Erde unter den Fingernägeln hatten.' 'Weil sie vor Dreck nur so starrten.' 'Weil sie gegraben haben. Und Erde ist was für die Mordbrigade und was für mich.'" Er weiß nicht warum. Aber er weiß: Hier stimmt etwas nicht. Alle anderen sagen: Was soll's. Nicht so Adamsberg. Dann werden die Hirsche gemeuchelt, ihnen wird das Herz rausgerissen, und wieder weiß Adamsberg: Das gehört irgendwie zusammen.

Wieder ist es nicht so sehr der abstruse und manchmal sogar - vor allem am Schluss - doch etwas unglaubwürdige Fall, der beim Lesen fasziniert. Es sind die außergewöhnlichen Menschen, die den Leser von einem anderen Leben träumen lassen, einem unnormalen, einem traum- und märchenhaften, selbst wenn das etwas bedrohlich sein mag. Die Figuren haben alle ihre Fehler und ihre Ticks, sie haben aber auch alle ihre Stärken: Adamsberg, der als "Wolkenschaufler" verspottet wird, ein Träumer, der traumwandlerisch die Fälle löst; sein Stellvertreter Danglard, das wandelnde Lexikon; Lieutenant Violette Retancourt, die "ihre Energie umverteilen kann, wie sie will" und deshalb nicht ermordet werden kann. Selbst die Katze, die die entführte Retancourt findet, ist nicht ganz normal und in unserem Alltag kaum vorstellbar. Und sein neuer Kollege spricht wie ein Dichter der französischen Barockzeit, in zwölffüßigen Versen: "Entscheidet Ihr, Seigneur, ob dieses Zeichen hier / ein schlichter Zufall ist? Spricht's von des Mörders Gier? / Und ob der dunkle Weg, den dieses Halmbett weist, / Euch siegen lässt oder Euch in den Abgrund reißt." Worauf Adamsberg nur sagt: "Besser, man wüsste es sofort".

Wie stets löst Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg den Fall der beiden toten Jungfrauen vor allem durch seine träumerischen Eingebungen. Mit simpler Logik wäre es wohl auch kaum zu schaffen, denn die Logik der Täterin ist die einer Verrückten. Schließlich geht es wirklich um eine Mörderin, die sich die Sohlen ihrer Schuhe mit Schuhcreme einschmiert, um, psychologisch gesprochen, Abstand von sich und der Welt zu gewinnen. Es geht um gespaltene Persönlichkeiten, von denen die eine Hälfte Morde verübt und die andere nichts davon weiß, und versucht man sie zu integrieren, bricht sie zusammen. Oder auseinander. Es geht um die fleischliche Unsterblichkeit, die man mit der Hilfe eines uralten Rezepts erlangen kann, das in dem Buch "De reliquis" steht (und natürlich kennt Danglard das Buch und weiß, dass "etliche Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt (wurden), weil sie in ihm gelesen hatten. Und das hier, das ist die Ausgabe von 1663, sehr gesucht.") Es geht auch um die hübsche Gerichtsmedizinerin Ariane, mit der Adamsberg vor vielen Jahren schon einmal aneinander geraten ist.

Es geht, kurz gesagt, in diesem Kriminalroman um Liebe und Hass, um Rache und um die Abgründe der menschlichen Seele. Und so ist auch der Roman etwas labyrinthischer als die früheren, etwas undurchsichtiger, aber sehr raffiniert komponiert. Dabei ist "Die dritte Jungfrau" nicht nur ein Krimi, sondern vor allem ein psychologischer Roman über die normalen und die besonderen Zustände, in die Menschen geraten können. Gerade auch die unscheinbaren. Wie Adamsberg. "Von weitem sah Adamsberg nach nichts aus. Sehniger Körper und langsame Bewegungen, ein seltsam zusammengestückeltes Gesicht, zerknitterte Sachen und ein ebensolcher Blick, unvorstellbar, dass es sich dabei um einen der berühmtesten Repräsentanten der Kripo handelte." Ein ungewöhnlicher Mensch, ein richtiger Held. Und wer wünscht sich das nicht auch manchmal?


Titelbild

Fred Vargas: Die dritte Jungfrau. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Julia Schoch.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
474 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032050

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch