Tragikomödie oder versteckte Kritik am System?

Wojciech Kuczoks "Dreckskerl" ist eine bitterböse Familiengeschichte

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der polnische Schriftsteller Wojciech Kuczok - er wurde 1972 in Chorzów/Oberschlesien geboren und lebt heute in Krakau - wird häufig mit Thomas Bernhard verglichen. Nicht von ungefähr, wie sein jetzt ins Deutsche übertragener Roman "Dreckskerl" (Gnój) beweist, der im Untertitel sogar als Antibiografie ausgewiesen wird.

In der Tat haben wir es hier mit einer finsteren Familiengeschichte zu tun. Der nur angedeutete historische Hintergrund ist die leidvolle deutsche und polnische Geschichte im zwanzigsten Jahrhundert.

Der Vater des alten K. baut im schlesischen Bergbaugebiet für seine Familie ein Haus, ein Haus mit zwei Stockwerken. Aber als der Krieg kommt, kann sich die Familie dieses Haus nicht mehr leisten. Das Parterre wird verkauft. Plötzlich ist es ein geteiltes, ein zerrissenes Haus. Die Neuen von unten sind von nicht sehr vornehmer Herkunft und werden daher von den Eigentümern nicht beachtet, ja sogar mit Verachtung bedacht.

Der Krieg geht an der Familie, äußerlich betrachtet, glimpflich vorüber. Er zermalmt das Haus nicht und verschont das Leben des Vaters des alten K., im Gegensatz zu dessen Brüdern.

Um so gravierender wirken sich die seelischen Schäden aus. Sie stempeln den Vater des alten K. und seine Nachkommen mehr oder weniger zu Verlierern und gescheiterten Existenzen. Überdies fehlt es in diesem Haus von Anfang an nicht an skurrilen Gestalten.Da haben wir den Opa Alfons, der seit zwanzig Jahren im Eichensarg schläft, den er sich selbst aus einer Eiche gehauen hat, weil er wohl ahnte, "dass er, bevor es diesen seinen Angehörigen einfiele, bevor sie nachsehen kämen, warum er nicht mehr auftaucht, wahrscheinlich längst dabei wäre, mit dem Fussboden zu verfaulen." Geholt hat ihn der Tod allerdings bei einem Kinobesuch.

Lolek, ein Bruder des Vaters des alten K., arbeitet als Pfleger in der Psychiatrie. Nach fünfundzwanzig Jahren stirbt er in der Klappsmühle, nach Ansicht seiner lieben Verwandten, als "fünfundsiebzigprozentiger Bekloppter." Der Tod zeichnet ihn aus mit dem "ORDEN DER ZUSAMMENGEPRESSTEN LIPPEN", der in dieser Familie am liebsten gesehenen Ehre.

Selbst der alte K. wird als "trauriger Knirps" vorgestellt. Von seiner Tochter heißt es, sie sei nicht so leicht an den Mann zu bringen, weil ihr der Sinn mehr nach dem Rosenkranz stünde als nach Tanz. Auch die Söhne sind zum Heiraten nicht aufgelegt, und Onkel Gucio wiederum, der Maler werden wollte und ein unheilbarer Melancholiker war, hat eigentlich, so meint die Familie, nur die Wahl, entweder verrückt zu werden oder ins Kloster zu gehen.

Doch eins muss man ihm lassen, dem Vater des alten K.- und damit schließt der erste Teil des Buches, er trägt den Titel "Damals" - er hat keines seiner Kinder jemals geschlagen. In dieser Hinsicht gibt es keinerlei Spuren und keinerlei Traditionen. Um so schlimmer kommt es im zweiten Teil "Dann". Der Erzähler, der einzige Enkel des Vaters des alten K., macht schon, als er noch in den Windeln liegt, Bekanntschaft mit der Peitsche des Vaters. Dieser züchtigt sein Kind bei jeder sich bietenden Gelegenheit und reagiert so seine Frustrationen an dem "Dreckskerl" ab. Hiebe mit der Peitsche scheinen ihm ein adäquates Erziehungsmittel zu sein. Wenn der Gezüchtigte schreit, dann meint er nur: "Was für ein verdammter Hysteriker. Ganz die Mutter. Kriegt ein paar Klapse und schreit wie abgestochen!" Niemals wird der jetzige Herr im Hause müde, seinen Sohn sowie seine Frau zu schikanieren und zu drangsalieren. Onkel und Tante werden nicht selten in die verbalen Exzesse zwischen Vater und Mutter mit einbezogen.

Kein Wunder, dass der Sohn auf Rache sinnt und auf einen Krieg wartet, um auf der Seite der Gegner seinen Vater, den eigentlichen "Dreckskerl", zu erledigen. Der letzte Krieg indes war ein Vierteljahrhundert vor seiner Geburt zu Ende gegangen. Stattdessen folgt in Polen das Kriegsrecht. Gleichwohl beschließt er, der einzige Enkel des Vaters des alten K., der dieses Haus gebaut hatte, sie alle zu überleben, die Tante, die alte Jungfer, den Onkel, den alten Hagestolz, und besonders den alten K., den er, wie er freimütig bekennt, umbringen will. Doch zunächst gehen die drakonischen Maßnahmen weiter, und wenn der Sohn sich gerade nichts hat zu Schulden kommen lassen, wofür ihm eine Strafe gebührt hätte, dann greift der alte K. statt zur Peitsche zu boshaften und demütigenden Sprüchen. Später als die Peitsche ausgedient hat, beginnt der Peiniger, der sich Vater nennt, den Heranwachsenden mit anderen, ganz neuen, diskret wirkenden Methoden zu unterdrücken.

"Danach" - so lautet der dritte Teil des Buches - beginnt mit dem Altern des Hauses und seiner Bewohner und erzählt, wie eines Tages ein Jahrhundertsturzregen niedergeht, dem die alten Rohre nicht mehr standhalten können - immerhin ist in dem Haus niemals etwas repariert worden -, so dass schließlich die Jauchegrube überläuft und vor den Augen der Bewohner und der Nachbarn das Haus in sich zusammenfällt und den alten K. mit sich reißt. Man findet ihn mit einem leicht erstaunten geöffneten Mund, mit Lehm gefüllt. "Das war das Gericht, das Jüngste Gericht", befindet der Sohn. Ist er nun frei und erlöst? Mitnichten. Überall, wohin er kommt, verfolgt ihn der Schatten dieses Hauses bis in den Schlaf. Offensichtlich ist es ihm nicht gegeben, dem Irrsinn zu entgehen. "Bevor ich endgültig unterlag, verlor ich noch die Sprache", verrät der Erzähler, und mit den Worten "Ich war, doch ich bin nicht mehr", endet der rabenschwarze Roman.

Womit haben wir es hier zu tun? Mit einer Tragikomödie, mit einer versteckten Kritik am System, durch das die Menschen ihr Menschsein verlieren? Was jedoch an diesem Buch besticht - die Originalausgabe erschien schon im Jahr 2003 - ist seine Sprache. Sie ist geschliffen, voll Klang, bildlicher Aussagekraft und Originalität, gesättigt mit Ironie, makaberem Witz und eigenwilligen Formulierungen. Auch die Übersetzer haben gute Arbeit geleistet. Wie man hört und liest, gehört dieses kleine Kunstwerk eines noch jungen Autors in Polen zu den herausragenden literarischen Ereignissen der letzten Jahre.


Titelbild

Wojciech Kuczok: Dreckskerl. Eine Antibiographie.
Übersetzt aus dem Polnischen von Gabriele Leupold und Dorota Stroinska.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
174 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518418840

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch