Facetten einer Jazz-Diva

Julia Blackburn lässt in ihrer Biografie über Billie Holiday vor allem deren Weggefährten zu Wort kommen

Von Horst SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Horst Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neben Ella Fitzgerald gilt Billie Holiday (1915-1959) als die bedeutendste Jazzsängerin des 20. Jahrhunderts. Das exzessive und harte Leben der von ihren Fans als "Lady Day" bezeichneten afroamerikanischen Sängerin ist schon mehrfach in teilweise sehr umfangreichen Biografien erzählt worden. Billie Holiday wurde als uneheliches Kind einer minderjährigen Prostituierten geboren sie wurde mit zehn Jahren vergewaltigt und verdiente ihren Lebensunterhalt im Teenageralter als Prostituierte. Sie war schon früh von Alkohol und Drogen (Marihuana, Kokain, Heroin) abhängig und geriet deswegen mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt. "Lady Day" war dreimal unglücklich verheiratet, sie wurde von ihren Männern geprügelt und in jeder Hinsicht ausgenutzt. Ihr Leben. 1956 erschien Billie Holidays (nicht von ihr selbst, sondern von einem Journalisten verfasste) Autobiografie "Lady Sings The Blues", die 1972 mit der Soulsängerin Diana Ross in der Hauptrolle auch verfilmt wurde, es mit den biografischen Fakten aber nicht sonderlich genau nimmt.

Eine neue, von der britischen und amerikanischen Musikpresse zu Recht hoch gelobte Biografie über Billie Holliday legte 2005 unter dem Titel "With Billie" die englische Roman- und Sachbuchautorin Julia Blackburn vor. Ende 2006 veröffentlichte der Berlin Verlag die von Barbara Christ hervorragend übersetzte deutsche Fassung des Buches unter dem Titel "Billie Holiday".

Die Holiday-Biografie von Julia Blackburn, einer Tochter des Dichters Thomas Blackburn, stützt sich zum einen auf die bereits reichlich vorhandene Literatur über Billie Holiday, zum anderen auf eigene Recherchen der Autorin sowie vor allem auf rund 150 bis jetzt unveröffentlichte Tonband-Interviews beziehungsweise deren Transkriptionen, welche die 1979 freiwillig aus dem Leben geschiedene amerikanische Musikjournalistin Linda Kuehl in den 1970er-Jahren im Hinblick auf ein allerdings nie fertig gestelltes Buch mit Wegbegleitern, Bekannten und Freunden Billie Holidays geführt hat.

Der Originaltitel des Buches, also "With Billie", gibt deutlich zu verstehen, dass es Julia Blackburn nicht darum geht, die ultimative Holiday-Biografie vorzulegen. Vielmehr ist es ihr Anliegen, die vielen und nicht immer sympathischen Facetten der Persönlichkeit Holidays aus den Blickwinkeln von Menschen zu zeigen, die sie an bestimmten Zeitpunkten ihres Lebens beziehungsweise ihrer Musikkarriere mehr oder weniger gut kannten. Zudem schildert die Biografin in eingeschobenen Kaptiteln anschaulich die sozialen und zeitgeschichtlichen Verhältnisse in den USA der 1920er- bis späten 1950er-Jahre des 20. Jahrhunderts.

Der Ansatz von Julia Blackburn ist weniger ein musikwissenschaftlicher, bei dem sie etwa Billie Holidays Bedeutung und Entwickung als Jazzmusikerin extensiv zu analysieren hätte, sondern vielmehr ein kulturhistorischer und sozialgeschichtlicher. Die Kapitel zum Beispiel, in denen Julia Blackburn den - von Billie Holiday geradezu traumatisch erlebten - Rassismus vor allem im Süden der USA beschreibt oder ihre Schilderungen des schwarzen New Yorker Stadtteils Harlem gehören zu den stärksten Seiten des Buches.

Bewusst enthält sich die Biografin auch psychologischer Erklärungsversuche der verschiedenen Aspekte des Charakters von Billie Holiday, zum Beispiel für ihre offenbar masochistischen sexuellen Neigungen und ihren Hang zur Selbstzerstörung, sondern lässt sich den Leser durch die verschiedenen Blickwinkel der Weggefährten, aus denen heraus in erster Linie die Stationen des Lebens der Jazz-Diva geschildert werden, seine eigenen Meinung bilden.

Julia Blackburns Biografie über Billie Holiday, deren unnachahmliche und nach Meinung vieler Jazzexperten unübertreffbare Interpretationen von Songs wie "Strange Fruit", "My Man", "God Bless The Child" oder "That Old Devil Called Love" schon längst zu unsterblichen Klassikern der Musikgeschichte geworden sind, ist ein Musterbeispiel für eine gleichermaßen penibel recherchierte wie um Objektivität bemühte Biografie. Dass Julia Blackburn auch noch spannend und unterhaltsam zu erzählen versteht und das Leben von Billie Holiday Stoff für gleich mehrere Romane bietet, kommt dem Buch darüber hinaus zugute. Wer sich für das Leben und die Musik von Billie Holiday interessiert, wird um die Lektüre von Julia Blackburns Buch über "Lady Day" nicht herumkommen. Es ist ein neues Standardwerk in der immer größer werdenden Bibliothek der Bücher über die Jazzmusik und ihre Protagonisten.


Titelbild

Julia Blackburn: Billie Holiday.
Übersetzt aus dem Englischen von Barbara Christ.
Berlin Verlag, Berlin 2006.
383 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3827006635

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