Superheld oder Eigenbrötler?

Michael Fuchs schildert das Doppelleben des zehnjährigen Paul

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kindern gegenüber soll man nachsichtig sein, aber man muss nicht alles sympathisch oder gar niedlich finden, was sie tun. Die Erfinder von Paul hingegen scheinen dazu wild entschlossen. Die Erzählung seiner Geschichte haben sie mit bunten, modernen Bildern unterlegt. Paul nimmt die Welt so wahr, dass sie ihm sein Weltbild bestätigt: er ist ein Superheld, wovon keiner weiß respektive wissen will. Dank ihm - so meint er - versinke die Welt nicht in Chaos und Verbrechen.

Er bannt Außerirdische und Hexen, die nur auf Grund seines Einsatzes so harmlos scheinen, wie sie dann wahrgenommen werden können. Aber in seinen Fantasien exekutiert er nicht nur eifrig jenes law & order, das die Erwachsenenwelt glücklicherweise nicht so rigide handhabt, er biegt sich auch seine eigenen Schwächen und die seines Umfeldes nach Gutdünken zurecht. Der vom verstorbenen Opa geerbte Hausdackel wird zu einem Wolfshund und das alte Fahrrad - im Vergleich zu denen seiner Mitschüler (Freunde scheint er keine zu haben, zumindest tauchen keine auf, was nicht wundert) peinlich - wird als Superheldengefährt halluziniert. Nachdem er im Kaufhaus verloren gegangen ist, stürzt er sich schnell in die Arme seiner Mutter - nicht weil er erleichtert ist, sondern um sie vom Weinen abzuhalten. Er hat Angst vorm Gewitter - aber um dies nicht zugeben zu müssen, lockt er seine attraktive sechzehnjährige Babysitterin in sein Bett, angeblich um ihr die Angst zu nehmen.

Für sein Alter (der Autor lässt darauf schließen, dass Paul in die fünfte Klasse geht, vielleicht liegt aber auch ein Konstruktionsfehler vor) ist Paul also ziemlich zurückgeblieben. Auch als circa Zehnjährigem gehen einem bei der Kombination von 'attraktives Mädchen über 14' mit 'Bett' schon handfestere Dinge durch den Kopf. Aber die Abwesenheit von Lebensnähe und Ehrlichkeit in den Schilderungen des Kinderlebens zeichnet Kinderbücher eben immer wieder in besonderer Weise beim Thema Sexualität aus.

Die Omnipotenzfantasien eines Kleinkindes hat Paul mit der Bauernschläue eines Zehnjährigen hermetisch abgedichtet. Man mag sich für die Luftschlösser von Kindern begeistern - die für sein Alter arg regressiven Fantasien, die vom status quo nicht abweichen, sondern diesen immer wieder und mit immer neuer Verbissenheit nur bekräftigen, sind so ein Jammer, dass man Paul wünscht, er möge bald in die Pubertät kommen.


Titelbild

Michael Fuchs: Paul, der Superheld.
Kinderbuchverlag Wolff, Bad Soden am Taunus 2006.
48 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-10: 3938766107
ISBN-13: 9783938766101

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