Im Meinungskosmos der Zeit

Salamon Dembitzers Exilroman "Die Geistigen" kritisiert Alfred Döblin und den Unterhaltungsbetrieb der Weimarer Republik

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei Büchern aus dem Weidle-Verlag in Bonn, kann man immer sicher sein, dass sie mit allergrößter Sorgfalt ausgewählt, gestaltet und lektoriert sind. Auch, dass sie schön sind. Ehrensache oder Professionalität würde der Verleger wohl antworten, wenn man ihn fragte. Aber zumeist wird er nicht gefragt, sondern vor allen Dingen gelobt. Und das zurecht. Sich der Dienste des Typografen und Buchausstatters Friedrich Forssman versichert zu haben, ist wahrscheinlich der beste Griff gewesen, den Weidle in seiner Laufbahn als Verleger hat machen können. Forssman jedenfalls sorgt für eine auch taktile Ausstattung der Weidle-Bücher, die alle Tätigkeiten in der Nahrungskette von Büchernarren zum Vergnügen machen, schon sie zu betrachten, auszuwählen, zu erwerben, auf den Nachtisch zu legen und ins Bücherregal zu stellen.

Achja, gelesen werden sollen Weidle-Bücher ja auch noch, und da wird's interessant. Weidle gehört wohl heute zu den renommiertesten und wichtigsten Verlegern, die sich um die Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, der Weimarer Republik oder auch des Exils kümmern, und dabei insbesondere um solche Autoren, die heute völlig vergessen sind. Dabei hat er gewisse, man könnte sagen, ruinöse Neigungen entwickelt, die ihn zu einer denkwürdigen Blüte im Verlagssumpf machen. Viele seiner Projekte waren in ihrer Zeit schon schwer an den Mann zu bringen, wie soll sich das erst heutzutage rechnen? Weidle aber macht konsequent weiter und produziert nur Bücher, von denen er auch überzeugt ist. Wichtige Bücher vielleicht auch, vielleicht gar überflüssige (aber wer braucht schon überhaupt Bücher?). In jedem Fall aber Bücher, die anzuschauen sich lohnt. Darunter Albert Vigoleis Thelens Rezensionen der deutschen Exilliteratur, darunter Artur Landsbergers "Berlin ohne Juden". Und jetzt Salamon Dembitzers "Die Geistigen".

1934 im niederländischen Exil erschienen, ist der Roman anscheinend sang- und klanglos gefloppt. Nicht einmal die Exilgemeinde erreichte er, wie anzunehmen ist, weil er nicht in einem der großen Exilverlage mit umfangreichen deutschsprachigen Programmen erschienen ist, sondern in der niederländischen Provinz, als deutschsprachiges Einzelstück unter lauter niederländischen Titeln. Was von der Auflage noch übrig war, scheint zu Beginn des Krieges vernichtet worden zu sein.

Im Weg gestanden haben wird dem Roman freilich auch sein Thema: "Die Geistigen" ist nämlich nichts anderes als eine böse Satire auf den Berliner Literaturbetrieb der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre, die sich gerade die großen Köpfe zum Vorbild nimmt, um mit ihnen bitter abzurechnen. Alfred Döblin, Alfred Kerr oder (vielleicht) Theodor Lessing insbesondere müssen daran glauben, heute weniger bekannte Redakteure wie Fred Hildenbrandt werden gleichfalls an den Pranger gestellt. Die Vorwürfe, die Dembitzer ihnen macht: Eitelkeit, Mittelmäßigkeit und Ehrsucht. Der Literaturbetrieb, so könnte man Dembitzer verstehen, krankt daran, dass er nicht auf die wahre geistige Essenz setzt, sondern auf den Tageserfolg. Erfolge wiederum werden nicht mit guten Büchern erzielt, sondern vom Betrieb gemacht. Mächtige Feuilletonredakteure liefern sich ihren masochistischen Gelüsten und ihrer Privatsekretärin aus, die ihre Stellung dazu nutzt, Karrieren zu machen und zu zerstören. Nicht Qualität, sondern gute Verbindungen setzten sich durch. Qualität insgesamt wird dabei zur Disposition gestellt. Denn offensichtlich haben ja nur Autoren mit den richtigen Verbindungen und hilfreichem Insiderwissen die Chance, im großen Spiel mitzumachen.

Der Plot ist beinahe klassisch (modern) angelegt. Der Dichter Abel Driglin (alias Alfred Döblin), einer der einflussreichsten Autoren seiner Zeit, besucht eine Nervenheilanstalt in den Bergen. Dort lässt er sich hofieren und nützt seine Position, um die einzig attraktive weibliche Person vor Ort, eine junge Bremerin, zu verführen (zu Inspirationszwecken). Einmal nach Berlin zurückgekehrt, zerbricht die heile, konventionelle Welt. Die Bremerin wird als Privatsekretärin eines Feuilletonleiters angeheuert, der schließlich bei eskalierenden Domina-Spielen umkommt. Der Dichter Driglin erkennt seine Chance und deckt den Mord. An die Stelle des Redakteurs rückt der Lover der jungen Frau, der sich (schlau genug) bald von seiner Steighilfe trennt. Driglin jedoch wird rehabilitiert und legt sein Meisterwerk vor. Die junge Frau verkommt zur Prostituierten. Kein Happy End also, sondern ein böser Blick auf die Macher der Berliner Szene, der freilich so oder so ähnlich auch von konservativen oder nationalistischen Kritikern der "Systemzeit" hätte kommen können.

Wilhelm Stapel (heute noch bekannt wegen seiner Auseinandersetzung mit Alfred Döblin und seiner Kritik an der modernen Berliner Szene) wäre ein Kandidat dafür. Auch die offenen Sympathien, die einem gewissen Grand entgegengebracht werden, weisen in diese Richtung. Grand ist zwar als Autor ebenso erfolglos wie mit seinem Zeitschriftenprojekt, mit dem er sich gegen die Berliner Clique wendet. Aber er ist wenigstens (fiktional) authentisch und vor allem ein Freund der wenigen und großen Bücher. Nun gibt es auch unter Exilanten, auch den jüdischen, konservative Autoren. Dembitzer gehört offensichtlich dazu. Warum er aber gerade im Exil auf seine Autorenkollegen und den (mittlerweile zerschlagenen) Literaturbetrieb einprügelt, ist einigermaßen unklar.

Verärgerung? Enttäuschung? Rache des Erfolglosen? Alles davon ist möglich. Uta Beiküfner, die das Nachwort zu Dembitzers Band geschrieben hat, vermutet eine Stoßrichtung gegen die assimilierten jüdischen Autoren wie Döblin, die sich auf den Betrieb eingelassen hatten. Das erklärt vielleicht sogar die Veröffentlichung im Exil. Dembitzer scheint sagen zu wollen, dass jetzt die richtige Zeit sei, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und insbesondere aus dem misslungenen Schmusekurs gegenüber dem Unterhaltungsbetrieb die Konsequenzen zu ziehen. Das aber ist eine Position, die sich im Meinungskosmos der Zeit sehr gut verorten lässt. Gerade das macht ihn auch heute noch interessant - nicht aber seine Anlage als Schlüsselroman.


Titelbild

Salamon Dembitzer: Die Geistigen. Roman.
Weidle Verlag, Bonn 2007.
186 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783938803004

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