Einem jeden seine Sicht

Martin Baltscheits "Elefantenwahrheit" ist nicht der Weisheit letzter Schluss

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fünf Wissenschaftler ruhen sich aus und sitzen in der Sonne. Ein Elefant kommt daher, aber sie können ihn nicht sehen, denn sie sind blind. Sie spüren nur, dass sie von den Sonnenstrahlen nicht mehr gewärmt werden. Also tritt einer nach dem anderen an den Schattenwerfenden heran, betastet den Elefanten und schließt von dem Körperteil, welches ihm als erstes in die Hände kommt, auf die Gesamtgestalt. Weil jeder ein anderes Teil erhascht, entwickeln sie unterschiedliche Theorien und geraten darüber in Streit.

Die Geschichte von der "Elefantenwahrheit" spielt also mit dem Klischee des weltfernen Wissenschaftlers. Den Wissenschaftlern selbst ist die Dämlichkeit ins Gesicht geschrieben, im Alter sehen sie kindisch aus. Sie sind blind: sie können die Welt, die sie nach eigener Meinung fachkundig erforschen, nicht wahrnehmen. Stattdessen begnügen sie sich mit dem, was sie als erstes zu fassen bekommen; sie kennen nur das Detail, nicht aber das Ganze, von dem ausgehend das Detail erst seine richtige Bedeutung bekommen könnte. Die Wirklichkeit - hier der Elefant - ist lieb, einfach und gemütlich und wendet sich von der Wissenschaft ab, weil diese uninteressant, zu laut und zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Selbst als der Zirkusdirektor vorbeikommt - nachdem der Elefant die Wissenschaftler wieder alleine ließ - da er ihn sucht und ihnen das Tier beschreibt, indem er zufällig all die Körperteile genauso beschreibt, die die Wissenschaftler vorher einzeln wahrnahmen, - selbst da können sie nicht erkennen, dass sie einen Elefanten vor sich hatten. Am Ende stolpern sie ungeschickt davon und laufen blindlings - die genüssliche Häme analen Humors lässt man sich nicht nehmen - in einen Haufen Elefantenkot.

Die Bilder, die die Geschichte nicht erzählen, sondern nur illustrieren, sind schön, warm und ruhig gemalt und treffen die Stimmung der jeweiligen Situation sehr gut. Damit sind sie auf jeden Fall schöner als die diffus intellektfeindliche Aussage der Geschichte.

Dem Buch liegt eine sorgfältig produzierte CD von knapp zwanzig Minuten Spielzeit bei. Auf ihr wird die Geschichte mit passenden Hintergrundgeräuschen noch etwas ausführlicher und ausgeschmückter erzählt. Zwischen den einzelnen Abschnitten sind zusätzlich Lieder eingefügt, die das Thema der Geschichte vertiefen.


Titelbild

Martin Baltscheit: Die Elefantenwahrheit.
Mit Illustrationen von Christoph Mett und Musik von Peter Riese.
Kinderbuchverlag Wolff, Bad Soden am Taunus 2006.
36 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3938766085
ISBN-13: 9783938766088

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