Goethe und irgendwelche Frauen

Über Markus Wallenborns Studie "Frauen. Dichten. Goethe."

Von Heidi-Melanie MaierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heidi-Melanie Maier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dichter und Frauen sind ein unerschöpfliches Thema: Franz Kafka gab unzählige Rätsel auf - vor allem für die mit ihm verbundenen Frauen; Schiller war zurückhaltender - trotz der skandalumwitterten Geschichte mit seiner späteren Schwägerin; bei Brecht ist es aufgrund der Vielzahl seiner Affären wiederum etwas einfacher. Wieder einmal ist es Goethe, der den Rang des ungekrönten Meisters aller Klassen begehrt. Zeigt sich doch sein Verhältnis zu den diversen Damen in seinem Leben mehr denn je als rätselhaft. Aber immerhin abwechslungsreich, wie dies Heinrich Düntzer 1852 festgestellt hatte: "Wenn je einen Dichter die Leidenschaft der Liebe von frühester Jugend bis zum spätesten Greisenalter mit flammender Glut entzündete und alle ihre unendlichen Freuden und Schmerzen durchempfinden ließ, so war es Goethe."

Jüngster Anlass für eine weitere bislang unentdeckte Leidenschaft ist Anna Amalias 200. Todestag, der dem italienisch-deutschen Juristen Ettore Ghibellino mediales Interesse für seine Veröffentlichung "Johann Wolfgang Goethe und Anna Amalia. Eine verbotene Liebe" sichert. Und auch wenn der These, dass Goethe während seiner ersten Weimarer Jahre eben nicht nur Charlotte von Stein in Minnesängermanier hinterhergeschmachtet, sondern auch ein lustvolles Verhältnis mit der geistreichen und temperamentvollen Herzogin Mutter gehabt habe, zumindest Verständnis entgegen gebracht werden kann, steht die Veröffentlichung doch in gleicher Tradition wie einst Kurt R. Eisslers umfangreiche psychoanalytische Studie über Goethe, die das Gegenteil behauptet: Goethe sei sexuell zurückhaltend bis zu seinem 40. Lebensjahr gewesen. Beides entbehrt zunächst und zuvörderst der ausreichenden Bestätigung durch Quellen. Und der gesunde Menschenverstand will auch nicht so recht mitgehen. Aber der wird in Liebesdingen auch gerne einmal außer Acht gelassen.

Eine wohltuend andere Behandlung des weiten Feldes "Goethe und die Frauen" bietet Markus Wallenborns Monografie über drei weibliche Bezugspersonen im Leben Goethes: Charlotte von Stein, Marianne von Willemer und Bettina von Arnim - und zwar in ihrer Funktion als Dichterinnen. Der bisher bei der Frauen-Goethe-Thematik nur zu oft sich auftuenden Falle - "Frauen um Goethe sind zunächst einmal Alle Frauen um Goethe und damit irgendwelche Frauen um Goethe" - entgeht er durch ein dezidiertes und durch die gesamte Monografie konsequent verfolgtes Erkenntnisinteresse. Zum einen ist er nur in zweiter Hinsicht an den hinlänglich bekannten biografischen Aspekten der jeweiligen Beziehung interessiert. Zum anderen macht er seine Auswahlkriterien für die genannten Damen und seine Fragestellung in seiner gewandten und überdies amüsant zu lesenden Einleitung deutlich: "Charlotte von Stein, Marianne von Willemer und Bettina von Arnim [...] binden Goethe wiederholt und absichtsvoll in ihren Text ein. Die hier vorgelegten Einzelanalysen sollen die Facetten einer solchen Einbindung nachvollziehen und aufzeigen, wie hinter der poetischen Auseinandersetzung mit Goethes Person und Werk das Ringen der Autorinnen um die eigene Identität aufscheint."

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Werke der drei Autorinnen, die intertextuelle Bezüge zum Werk Goethes aufweisen und die Person Goethes als Figur oder auch Bezugsgröße in ihre Texte integrieren. Ihre Analyse vollzieht dabei gleichzeitig "die Auseinandersetzung der schreibenden Frau mit jenem schreibenden Mann" nach, der den Dreien Motiv, Freund und Dichter war. Dabei löst sich Wallenborn von den Vorurteilen den Werken gegenüber - bei Charlotte von Stein den negativen, Marianne von Willemer den positiven und Bettina von Arnim den mignonhaften. Der Autor behält stets das Erkenntnisinteresse der Monografie im Auge: die "Dichterinnen als solche zu würdigen [...] für die Goethe [nicht] nur gemeinsames biographisches, [sondern auch] poetologisches Element" war.

Den größten Raum im vorliegende Band nimmt - überraschenderweise - die Untersuchung der Werke Charlotte von Steins ein, der beiden Personalsatiren "Rhino" und "Dido" und der Gegengedichte "An den Mond nach meiner Manier", "Ihr Gedancken fliehet mich" und "Der Schäferin Klagelied". Allerdings kann Wallenborn hier am wenigsten das einhalten, was er in seiner Einleitung zugesichert hatte, nämlich sich auch mit der Identität der Autorin auseinander zu setzen. Das mag zum einen an den Werken von Steins liegen, die in erster Linie als Gegenentwürfe zu einzelnen Werken oder der Person Goethes zu sehen sind und sich so weniger durch ästhetische Eigenständigkeit auszeichnen. So konstatiert Wallenborn selbst: "Charlotte von Stein geht es nicht in erster Linie um die Autonomie von Kunstwerken, sondern im Gegenteil um deren konkreten Weltbezug, die Wechselwirkung zwischen Kunst und Leben, um Dialogizität." Und letztlich führen seine Analysen genau zu diesen Erkenntnissen. Eine etwas andere Perspektive, die vor allem durch die Anreicherung um einen theoretischen Identitätsdiskurs gewonnen hätte, wäre möglicherweise zu anderen Ergebnissen gekommen.

Ein Gleiches gilt für die Analyse der Werke Willemers und Arnims. Sie zeichnen sich durch methodische Sicherheit, diskursive Brillanz und ein umsichtiges Einordnen in die Forschungsliteratur aus. Die Ergebnisse sind einleuchtend und nachvollziehbar. Zudem erschließt Wallenborn ein Feld der Goethe-Forschung, das bisher nur unzureichend bearbeitet war und dessen kursorischer Forschungsstand vor allem die Vorurteile seiner Bearbeiter widerspiegelte. Zudem gelingt es ihm, die poetologischen Besonderheiten der drei Autorinnen deutlich zu charakterisieren. Eine Hinzuziehung des Identitätsbegriffes und seine Anwendung auf die erlangten Erkenntnisse wären wünschenswert gewesen, um die Eigenständigkeit der Autorinnen noch weiter zu erörtern. Doch dieser kleine Hinweis soll die grundsätzliche Qualität der Arbeit nicht in Frage stellen.


Titelbild

Markus Wallenborn: Frauen. Dichten. Goethe. Die produktive Goethe-Rezeption bei Charlotte von Stein, Marianne von Willemer und Bettina von Arnim.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006.
340 Seiten, 62,00 EUR.
ISBN-10: 3484321296
ISBN-13: 9783484321298

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