Ein Kunstschmarrn aus dem Modejournal

Ute Scheitler und Judith Welsch-Körntgen versprechen in "Frau sieht das, was Mann nicht sieht" den weiblichen Blick auf die Kunst, bringen aber nur Besinnungsaufsätzchen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich ist es eine schöne Idee, einmal herauszuarbeiten, wie Frauen und Männer mit Kunst umgehen und Bilder auffassen. Ob überhaupt und wie sie unterschiedlich sehen. Natürlich sehen sie oft anders, nehmen andere Details wahr, andere Stimmungen, andere Atmosphären. Nicht umsonst wissen viele Männer die Augenfarbe ihrer Frauen nicht. Nicht umsonst weiß eine Frau sofort nach dem ersten Blick, welche Ohrringe, welche Schminke, welche Accessoires eine andere Frau trägt. Also: Frauen sehen anders. Das ist nicht so besonders überraschend, aber doch noch immer nicht so genau gesagt.

Man will natürlich kein theoretisches Gender-Geschwafel. Sondern eine möglichst präzise, vor allem sensible Annäherung an ein Thema, das uns Aufschluss über uns und unsere Nächste gibt. Einsicht in die Kommunikation des Blicks. Vielleicht sogar eine neue Einsicht in die Kunst.

Ein neues Buch verspricht genau das: "Frauen haben einen anderen Zugang zur Kunst!" Sagt das Vorwort. Gut. Aber dann kommt die erste Enttäuschung: "Sie sehen Kunstwerke mit anderen Augen, sie identifizieren sich mit dem Dargestellten und wollen die Geschichte entdecken, die hinter den Bildern steckt. Welches Schicksal verbirgt sich hinter Rembrandts schonungslosem Selbstporträt? Wieso, zum Beispiel, findet Max Slevogt einen Mann in Strumpfhosen attraktiv?" Nun gut. Vielleicht ist das ja am Rande auch ganz interessant. Aber das wird man nicht durch Bildanalysen, nicht durch einen "weiblichen Blick" herausfinden, sondern eher durch ein Quellenstudium, und das könnte auch ein Mann machen.

Und dann kommt schon die nächste Enttäuschung: Die Bildanalysen selbst, die Versuche, sich dem "weiblichen Blick zu nähern." Schon die Aufteilung lässt uns stutzen: eine Doppelseite pro Bild, eine Seite das Bild selbst, eine Seite Text, zwei Spalten insgesamt mit jeweils etwa 25 Zeilen. Das reicht, um ein völlig neues Thema erschöpfend vorzustellen?

Es reicht nicht. Es ist völlig ungenügend. Die kleinen Aufsätzchen sind auch sprachlich unter jeglichem Niveau, das man für ordentliche Bildanalysen, gar für einen neuen Blick erwartet hätte. Gleich die erste Bildbeschreibung (Meister der Sterzinger Altarflügel: Die Heilige Dorothea, um 1465) gerät in Gefahr, in übelsten Kitsch abzugleiten: "Gedankenverloren betrachtet die junge Frau die blühende Rose in ihrer Hand. Ganz still steht sie da und bestaunt andächtig das Wunder: eine Rose ohne Dornen, vollkommene Schönheit ohne Makel."

Derart oberflächlich bleibt es auch. Zwar sagen die Autorinnen, dass die Heilige Dorothea ein blaues Kleid trägt, aber dass die Farbe vielleicht etwas zu bedeuten hat in der Kunst des Mittelalters, sagen sie nicht. Das wäre ja immerhin nur Standard für die Analyse eines Bildes. Stattdessen ergehen sie sich in Sottisen: "Und sind nicht immer die Guten blond?" Und schließen mit der Feststellung, dass das Bild aus dem 15. Jahrhundert eine Frau darstellt, die wie der "Inbegriff traditioneller Weiblichkeit" erscheint: "blond, zart, schwach. Wie der erste Eindruck doch täuschen kann!"

Das war's dann auch schon. Was ist daran "der weibliche Blick"? Was überhaupt soll die völlig ahistorische, auch akunsthistorische, unwissenschaftliche, unglaubwürdige sprachliche und inhaltliche Weichzeichnerei?

Die zweite Bildbeschreibung (Lucas Cranach d.Ä.: Judith mit dem Haupt des Holofernes, um 1530) endet ebenso mit dem Publikum augenzwinkernd: "Eine raffinierte, selbstbewusste Frau, vor der mann sich besser in acht nimmt, möglicherweise zeichnet sich sonst eine schmerzliche Niederlage auf einer anderen Ebene ab?" Mit Fragezeichen. Kann mal jemand erklären, was das heißen soll? Nein, das kann niemand.

Und so geht es munter weiter. Bei keinem Bild erfahren wir mehr als das, was längst zum Standard jeder Analyse gehört, fast immer erfahren wir sogar weniger als man über das Bild aussagen könnte. An keiner einzigen Stelle erfahren wir etwas Neues. Und schon gar nicht erfahren wir etwas über das eigentliche Thema des Buches: den weiblichen Blick.

Oder sollte es wirklich so sein, dass die Mode das einzige ist, was den beiden Autorinnen wirklich neu ins Auge sprang? Ärgerlich und auffällig ist immerhin, dass sie immer wieder Details aufzeigen, die zwar für das Bild überhaupt nicht wichtig sind, aber doch vielleicht das Weibliche in den Autorinnen so gereizt hat, dass sie darüber unbedingt schreiben mussten. Zum Beispiel der Pillbox-Hut von Jacqueline Kennedy, den man in dem Bild von Andy Warhol nicht einmal sieht. Oder das "damals modische Samtband" der Madame Victor Chocquet und ihr kostbarer Ring (von Auguste Renoir). Das "feine Kleid" von Paula Modersohn-Becker. Oder das Chemisenkleid von Wilhelmine Cotta und die "gut zum weißen Kleid passenden Farbharmonie der Accessoires überzeugen: Korallenkette und Schal in intensivem Rot sowie flache, gestreifte Ballerinas mit grünen Schleifen, die farblich den Sonnenschirm ergänzen [...] Man beachte, wie sich bei Wilhelmine der fließende Stoff sanft an ihren Körper schmiegt und diesen so geschickt betont, dass ihre in weichen Kurven geschwungene Silhouette deutlich zu erkennen ist. Abgesehen von der langen Schleppe und den scheinbar etwas zu engen Ärmeln was dies sicherlich ein sehr bequemes Kleid." Scheinbar etwas zu eng, sicherlich? Wissen sie es oder wissen sie es nicht? Jedenfalls: Man kommt sich vor wie in einem Modejournal.

Auch sprachlich ist das ganze Buch eher einfältig als vielfältig. Beim Bild mit dem Titel "Iphigenie" fragen die Autorinnen: "Doch wer ist diese Frau mit dem sehnsüchtigen Blick?", den man gar nicht sehen kann, weil sie gerade ins Bild hineinschaut, also vom Betrachter weg, und geben die erwartbare Antwort: "Es ist Iphigenie". Ach. Über Agnes von Hayn (von Lucas Cranach d. J.) wissen sie zu sagen: "Schade, denn gerne würde man mehr über sie und ihre Gefühle erfahren." Über Vasaris "Toilette der Venus": "Ach, es ist doch ein gutes Gefühl zu erfahren, dass auch die göttliche Venus sich pflegen muss, um ihre Schönheit zu bewahren." Über Wilhelme Cotta: "Als trendige Frau mit unverkennbarer Individualität dargestellt - man kann sich vorstellen, dass ihr das Porträt gefiel!" Über Kleopatra meinen sie fragen zu müssen: "Könnte die Begegnung mit ihr für so manchen Mann immer noch fatale Folgen haben?" Sie geben den nützlichen Hinweis: "Überhaupt soll man jedes ordentliche Essen mit einer Auswahl an Käse beschließen [...] Erstaunlich, wie viele Tipps uns dieses Stillleben gibt. Solche Hausmittel haben sich eben über die Jahrhunderte hindurch bewährt."

Es ist, kurz gesagt, ein äußerst ärgerliches und total unnützes Buch. Die vertratschten Kleinergemeinsamernennertexte sagen uns überhaupt nichts über die Kunst, und sie sagen uns erst recht nichts über den weiblichen Blick auf die Kunst. Warum ein Verlag, der eigentlich einen guten Namen hat, so einen Schmarrn herausbringt, bleibt nur zu raten.


Titelbild

Ute Scheitler / Judith Welsch-Körntgen: Frau sieht das, was Mann nicht sieht. Der weibliche Blick auf die Kunst.
Belser Verlag, Stuttgart 2007.
128 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783763024797

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