Andere Länder, andere Sitten

Peter Hacks und Rudi Hurzlmeier über "Die Dinge in Buta"

Von Thomas BlumRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Blum

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was hat es nur mit dem höchst wunderlichen Land Buta auf sich? Ferdinand, "ein junger Mann aus gutem Hause", wird von seinem Vater dorthin geschickt, um Herrn Komsy, einem in Buta ansässigen Unternehmer, den Abschluss eines Geschäfts über "zwölfhundert Peltonturbinen" vorzuschlagen. Zu diesem Zweck ist Ferdinand in diese - wie sich herausstellen wird - sonderbare Gegend gereist, und er staunt nicht schlecht, als er morgens in seinem Hotelzimmer erwacht und vom Zimmermädchen gefragt wird, ob er denn bitteschön "ficken" möchte. Nach ersten Irritationen zeigt sich, dass der Dame Ferdinands Zögerlichkeit missfällt: "Ein kräftiger junger Mensch wie Sie muss morgens seinen ordentlichen Fick haben." Überdies sei es durchaus schädlich, "morgens in Hast ungefickt wegzulaufen". Woraufhin sie ihm vorschlägt, dass sie ihm "ihn wenigstens noch herunterholen" wolle, was sie, "rüstig und ein wenig mütterlich, verrichtet".

Derlei ungewohnte Vorkommnisse häufen sich an dem Tag, und als Ferdinand schließlich Herrn Komsy in dessen Villa aufsucht, um seinen Antrittsbesuch zu machen, könnte auch dort seine Verwunderung größer nicht sein, als er von der Tochter des Hauses, welche ihre "linke Hand in ihrem Schlüpfer hin und her bewegte", empfangen und begrüßt wird: Sie wisse zwar, bemerkt sie entschuldigend, dass "man keinen Gast mit dem Finger in der Fotze begrüßt, aber ich habe seit heute morgen erst dreimal gewichst, verstehen Sie?" Nun gut, andere Länder, andere Sitten.

Doch als der hungrige Ferdinand schließlich seine schüchterne Bitte nach einem Butterbrot vorträgt, erregt er damit das äußerste Missfallen seines Gastgebers. Herr Komsy gerät schlagartig völlig außer sich ("Hinaus, Wüstling!") und lässt den frechen Kerl schnurstracks aus seinem Haus werfen. Denn die schamlose Erwähnung von Nahrungsmitteln und das freimütige Speisen in Gegenwart anderer gelten in Buta als die denkbar verwerflichsten und obszönsten Handlungen.

Daher sind gesellschaftliche Außenseiter und Andersdenkende dazu gezwungen, sich in konspirativen Versammlungen in Hinterzimmern zusammenzufinden, denn das ganz und gar Unerhörte kann nur dort laut ausgesprochen werden: "Dass die Nahrungsaufnahme im Grunde ein ebenso oder fast ebenso natürlicher Lebensvorgang ist wie das Ficken." Allerhand!

Der sozialistische Schriftsteller Peter Hacks, der mit der Geschichte vom "Bär auf dem Försterball" einst eines der anrührendsten Kinderbücher schrieb, hat mit "Die Dinge in Buta", diesem bisher nur 1974 in der "Berliner Handpresse" erschienenen komischen Prosastück, das er vermutlich Anfang der 70er-Jahre verfertigt hat, eine wunderbare satirische Parabel über den verkniffenen Umgang des Bürgers mit Sexualität verfasst. Und er hat das in einem - um mit Hacks' Worten zu sprechen - "edelgeformten", graziösen, vom Geist des 19. Jahrhunderts umwehten Deutsch getan (jemand tut etwas "schleunig" oder "unversäumt", Dinge geschehen nicht einfach nur, sondern "fügen sich"), um das ihn alle halbalphabetisierten deutschen Jungschriftsteller von Tanja Dückers bis zu Stuckrad-Barre beneiden müssten, wenn es auf der Welt mit rechten Dingen zuginge.

Beigegeben sind dem Text darüber hinaus die bezaubernden, eine beinahe biedermeierliche Stille und Unaufgeregtheit verströmenden und detailverliebten Illustrationen des Malers und Zeichners Rudi Hurzlmeier, dessen einschlägige, sich mit diversen Spielarten der Sexualität beschäftigende Arbeiten vor allem aus der Satirezeitschrift "Titanic" bekannt sein dürften.

Und Hacks wäre freilich nicht er selbst, wenn es am Ende nicht zur Revolution in Buta käme, die auch neue Gesetze zur Folge hat: "Das erste Gesetz: Ehepaare und Verwandte ersten Grades dürfen miteinander frühstücken... das zweite ist schon in Vorbereitung: Errichtung von Speisehäusern, worin jedermann - bei immerhin roter Beleuchtung - nur durch halbhohe Wände getrennt - öffentlich Verzehr ausüben kann!"


Titelbild

Peter Hacks / Rudi Hurzlmeier (Hg.): Die Dinge in Buta.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2007.
48 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783036952390

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