Die egoistischen Alten

Petra und Werner Bruns schreiben zusammen mit Rainer Böhme: Über "Die Altersrevolution. Wie wir in Zukunft alt werden"

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bücher über die alternde Gesellschaft sind in. Wir alle werden alarmiert durch demografische Prognosen, die Unsicherheit der Rente sowie der Pflegeversicherung und den Zuständen in den Altersheimen, in denen unsere Eltern und vielleicht auch wir unser Lebensende verbringen müssen. Und da wir einerseits gerne in apokalyptischen Beschwörungen schwelgen und andererseits hoffen, dass ein schlauer Kopf uns erklärt, wie wir alle Probleme auf einen Schlag lösen, boomen zur Zeit Bücher über die "Altersfrage": Frank Schirrmachers "Methusalem-Komplott" und "Minimum", Petra Gersters "Reifeprüfung", Helmut Karaseks "Süßer Vogel Jugend" und das anonym erschienene Werk "Wohin mit Vater?" erklimmen die Bestsellerliste.

Was liegt also näher - wenn man an diesen Boom anknüpfen will - als ebenfalls ein Buch über die alternde Gesellschaft zu schreiben. So dachte es sich wohl das Autorentrio Petra und Werner Bruns und Rainer Böhme. Doch ihr Buch mit dem provokanten Titel "Die Altersrevolution", das uns laut Untertitel erzählen möchte, wie wir in Zukunft alt werden, ist eigentlich eine polemische Abrechnung mit den 68ern.

Ergo macht man uns weis, dass die Generation der zwischen 1940 und 1950 Geborenen irgendwie alle an der 68er-Bewegung teilhatten, dass die geistigen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dieser Rentnergeneration recht homogen sind und diese Seniorengeneration stark prägen (werden).

Richtig davon ausgehend, dass die Rente - und vor allem die, die den Rentner wirklich ernährt - ein junges historisches Phänomen ist, nimmt man an, dass das Rentenalter aufgrund der leeren Kasse (wieder) steigen wird. Die Behauptung allerdings, dass sich die 68er-Rentner gar nicht in Rente begeben möchten, kann - so wie Bruns und Böhme sie erheben - nicht so undifferenziert stehen bleiben. Denn wer glaubt wirklich, dass die Krankenschwester, der Dachdecker oder der Möbelpacker mit 70 oder mehr Jahren ihren/seinen Beruf weiter ausüben kann und will? Nicht nur hier sprechen die Autoren von einer ganzen Generation, meinen aber die Aktivisten von ´68, also die ehemaligen Studenten, später Akademiker und Inhaber wichtiger Positionen in Wirtschaft, Justiz und Politik. Nicht nur weniger starke körperliche Beanspruchung, sondern mit ihren Funktionen einhergehendes Selbstbewusstsein und Machtanspruch beeinflussen ihr anhaltendes berufliches Engagement. Auf der mitgelieferten Liste der "Rentenverweigerer" werden so denn auch zahlreiche Künstler und Politiker genannt. Nur waren dies nicht ohnehin immer diejenigen, die auch in früheren Zeiten an ihren Berufungen (weit mehr als Berufe) jenseits des Rentenalters festhielten? Oder gehör(t)en Heinz Rühmann, Johannes Heesters, Helmut Schmidt und Konrad Adenauer zu den '68ern?

Man kann den Autoren auch nicht wirklich widersprechen, wenn sie darlegen, dass diese Rentnergeneration finanziell wesentlich besser gestellt sein wird als die folgenden. Dennoch sind nicht alle Mitglieder dieser Generation mit großen Erbschaften gesegnet und verbessern ihre Rente mit Zinseinnahmen und Abfindungen. Wie viele Rentner nicht an dem von ihnen beschworenen "Alterslifestyle" werden teilhaben können, verschweigen die Autoren.

Ansonsten wird nichts ausgelassen um das Nichterwachsen-Werden, den Egoismus und das angeblich Destruktive der '68er an den Pranger zu stellen und lächerlich zu machen. Zum Beispiel wenn psychologisiert wird, dass viele dieser Generation Halbwaisen waren, denen der autoritäre Vater fehlte (und den überforderten Müttern und Großeltern fehlte natürlich die Kraft zum entschiedenen Nein!). Dies habe zu Desorientierung, zu fehlendem Urvertrauen ins Leben und folglich in die Arme der dämonisierten '68er-Bewegung geführt. Schließlich heißt es: "Ob allerdings ein Mangel an innerer Sicherheit und Stabilität, die man im Kindheits- und Jugendalter erwerben sollte, später durch eine militante Ablehnung beispielsweise von Biotechnologie und Kernkraftnutzung ausgeglichen werden kann, ist mehr als nur zu bezweifeln." Jedes kritische, bürgerschaftliche Engagement ist also nicht Ausdruck demokratischer Teilhabe, sondern Symptom psychischer Defizite!

Es verwundert die Autoren deshalb nicht, dass diese Alten zunehmend straffällig werden. Über spezielle Seniorengefängnisse müsse nachgedacht werden. "Sie benötigen keine Lehrwerkstatt und keine Fitness-Räume, sondern ganz eigene Angebote für Kopf und den gebrechlich gewordenen Körper sowie rollstuhlgerechte Räume. Für sie gibt es Kochkurse statt eines Anti-Gewalt-Trainings, Lauftreffs gegen Übergewicht und schließlich statt eines Resozialisierungsprogramms die Sterbebegleitung."

Sprich: Statt zum Sterben in den Wald zu gehen oder sich zumindest ins Private zurück zu ziehen, wagen es die Rentner - egoistisch wie diese Generation schon immer gewesen sei - die Universitätsvorlesungen mit ihrem Wissensdurst zu belasten.

Dass eine Veränderung des Alters und seiner Wahrnehmung von dieser Generation ausgehen werde, stellen die Autoren allerdings korrekt fest. Die Wortführer werden die alten '68er-Aktivisten sein, denn sie sind erfahren in der Ausarbeitung und Umsetzung politischer und öffentlicher Strategien. Und von der Aufwertung dieser Altersgruppe werden schließlich (und hoffentlich) alle profitieren, die ihr angehören. Die sexuelle Befreiung war laut Bruns und Böhme schon damals eine Errungenschaft der '68er (dank der "Pille") - und wird es im Alter (dank Viagra) wieder sein. Ob man dies als fatal empfinden mag wie die Autoren, die damit die Auflösung von familiären Strukturen und Geburtenknick in Verbindung bringen - oder ob man diese Entwicklung als Fortschritt und Befreiung betrachten sollte, ist diskutierenswert. Zumindest sind beide Dimensionen nicht von der Hand zu weisen.

Viele immerhin interessante Fragen streifen die Verfasser, zum Beispiel wie diese so viel selbstbestimmtere Generation die aktive Sterbehilfe beeinflussen werde? Viele der benannten Probleme bestehen in der Tat. Aber ob man deren Lösung mit soviel Undifferenziertheit und Polemik auch nur einen Schritt näher kommt, bleibt zu bezweifeln.


Titelbild

Petra Bruns / Werner Bruns / Rainer Böhme: Die Altersrevolution. Wie wir in Zukunft alt werden.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
238 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351026448

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