Der Komet in Licht und Schatten

Über eine neue Ausgabe der Kometenschrift des Paracelsus

Von Marco JammermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marco Jammermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die "Ußlegung des Commeten erschynen im hochgebirg zuo mitlem Aug[u]sten Anno 1531", ein zur frühneuhochdeutschen Textgattung der Prognostik zählender Traktat über die Auslegung von Himmelszeichen, verfasst von Paracelsus und in dessen Werk kürzer unter dem Namen "Kometenschrift" bekannt, liegt seit 2006 in einer Ausgabe mit dem Titel "Paracelsus, Der Komet im Hochgebirg. Ein Himmelszeichen aus St. Gallen für Zwingli" vor. Als Herausgeber des Bändchens firmieren Urs Leo Gantenbein und Pia Holenstein Weidmann.

Dem im Vorwort von den Herausgebern formulierten Zweck dieser Ausgabe, der darin besteht, die Kometenschrift des Paracelsus "zugänglich" zu machen - und zwar "mit [sic!] Abdruck, Übersetzung und Kommentar" - steht das eigentümliche Arrangement, oder sollte man sagen: das bunte Bouquet ein wenig im Wege, das seinen Aufbau darstellen soll und das mit der zitierten Trias "Abdruck - Übersetzung - Kommentar" nur unvollständig wiedergegeben ist: Nach einer mit "Prophetie und Himmelszeichen" überschriebenen Einleitung, die ihrem Untertitel zufolge ein "Kommentar" sein und in die Kometenschrift des Paracelsus durch Kontexterläuterungen einführen soll, folgt als zweiter Bestandteil des Bändchens der Faksimileabdruck der Kometenschrift von 1531 auf der jeweils linken Buchseite, dem auf der rechten eine von den Herausgebern so genannte "Leseübersetzung" gegenübersteht, die - wie es im Vorwort heißt - ein "zumindest oberflächliches Verständnis der eigenwilligen Sprache ermöglichen" soll. Dieser "Leseübersetzung" folgt eine ausführliche kommentierte Übersetzung, an die sich noch drei Aufsätze anschließen, deren Verfasser (Urs Leo Gantenbein, Michael Baumann und Rudolf Gamper) sich Einzelaspekten - hauptsächlich biografischen - der Kometenschrift zuwenden. Allerdings wundert sich der Leser beim ersten dieser drei Aufsätze, warum hier keine dem Textverständnis dienenden oder den Text problematisierenden Überlegungen entwickelt werden, sondern schlicht der Inhalt der Kometenschrift noch einmal paraphrasiert wird.

Die eigentümliche Vielfalt und der unterschiedliche philologische Status der Textschichten (fünf, darunter 'definitive' wie Hohenheims Text und 'provisorische' wie besagte "Leseübersetzung") lässt aufgrund der Buntheit des Gebotenen beim Leser einen irritierenden Eindruck entstehen. Wenn in der vorliegenden Edition die Schrift des Paracelsus tatsächlich "zugänglich" gemacht werden soll, warum wird der Text dann in dieser Weise durch Anlagerung von verschiedenartigen Paratexten der Gefahr der weiteren 'Entfernung', wenn nicht gar der weiteren Verdunkelung ausgesetzt? Die Schrift des Paracelsus steht in dieser Ausgabe insgesamt deutlich spürbar im Schatten der beigegebenen Paratexte und die in zahlreichen Details verdienstvolle und durchaus erhellende kommentierte Übersetzung - an der vor allem die Wort- und Sacherläuterungen in manchen Einzelfällen gelungen sind und an vielen Stellen zur Erschließung der Formulierungen bei Paracelsus beitragen - steht ihrerseits wiederum im Schatten der begrifflich wie textlich eigenartigen "Leseübersetzung", die, falls sie allen Ernstes einem "oberflächlichen [sic!] Verständnis [...] der eigenwilligen Sprache" dienen soll, in der Tat ein philologisches Paradoxon darstellte.

Man fragt sich im übrigen, ob besagte "Leseübersetzung" einfach einer Begeisterung für das Übersetzen 'an sich' geschuldet ist, oder ob hier nicht (pseudo-)pädagogische Überlegungen hineinspielen, die darauf zielen, dem Leser das Aushalten der Spannung zwischen dem frühneuzeitlichen Sprachduktus (und insbesondere dessen spezifischer Ausprägung bei Paracelsus) einerseits und seinem (des Lesers) neuhochdeutsch denkenden und lesenden Kopf andererseits 'abzunehmen' und in der Absicht, ihm (dem Leseer) etwas zu 'erleichtern', ihn in Wirklichkeit eher um das eigentliche Erfassen des Gedankens in der zugleich nahen und fremden Sprache bringen.

Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass in dem vorliegenden Bändchen eine subtile Vermischung von Textkonstituierung und Textauslegung vor sich geht: Die voran-, dazwischen-, danach- und 'darübergestellten' Paratexte lassen die Schrift des Paracelsus so erscheinen, als sei sie der Kommentar.

Die äußere Zugänglichmachung von Paracelsus' Kometenschrift ist im vorliegenden Bändchen durch den Abdruck zweifelsohne gelungen - über Inhalt, Gehalt und Problematik von Paracelsus' Schrift im engeren und substantiellen Sinne jedoch, über Fragen des Paracelsusverständnisses im Kontext dieser Schrift und die Erhellung seiner Überlegungen - etwa was ein Charakteristikum der Planetenschrift anbelangt, das darin liegt, dass ihr längerer erster Teil eher eine Reflexion über Begriff und Bedeutung der Kometenauslegung und der frühneuzeitlichen Prognostik insgesamt darstellt und es lediglich in ihrem kürzeren zweiten um das im Titel genannte Himmelszeichen geht, in ihr also mithin weniger das Biografische als das (modern gesprochen) Methodische der Himmelszeichenauslegung akzentuiert ist - kurz: über alle substantiellen, Fragen aufwerfenden und anregenden Aspekte des Paracelsischen Textes erfährt der Leser, der nicht nur einen äußeren, sondern auch einen 'inneren' Zugang zum Text sucht, aus dem bunten Beiwerk der vorliegenden Ausgabe zu wenig.

Die Kometenschrift des Paracelsus wartet auf eine kritische Edition mit umfassender Kommentierung. Die vorliegende Ausgabe kann hinsichtlich des letzteren als eine verdienstvolle Vorarbeit für Künftiges verstanden werden. Wer nicht mehr, aber auch nicht weniger von ihm erwartet, wird das Bändchen mit Gewinn lesen und sich an seinem Spiel von Licht und Schatten erfreuen können.


Titelbild

Urs L. Gantenbein / Pia Holenstein Weidmann (Hg.): Paracelsus. Der Komet im Hochgebirg 1531.
Chronos Verlag, Zürich 2006.
133 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3034007949

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