Entschiedene Milde

Zum Tod von Hans Wollschläger

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Das Kämpferische und freudig Neugierige, das Hans Wollschläger lange Zeit besonders charakterisierte, war in den letzten zehn Jahren immer mehr der Ruhe gewichen, einer milden Einsicht in die Vergänglichkeit sowie in die grundsätzliche Unbelehrbarkeit, ja selbstmörderische Dummheit der menschlichen Spezies. Verachten konnte er sie dennoch nicht, wusste doch gerade er, zu welch Meisterwerken die menschliche Natur in der Kunst fähig ist: in der Musik, die er als studierter Kirchenmusiker und Gustav Mahler-Experte besonders liebte, in der bildenden Kunst und in der Literatur, der er als Autor, Übersetzer, Rezitator und Herausgeber ein Leben lang die Treue hielt. Als Denker aus Lust vertiefte er sich aber auch in die Psychoanalyse, beschäftigte sich mit Medizin und Archäologie, mit Geschichte und selbstverständlich mit der Philosophie.

Seit 1962 nannte er sich freier Schriftsteller und war gleichwohl von 1957-1970 in Bamberg für den Karl-May-Verlag tätig. Ein Verhältnis, das wegen der dort geübten kuriosen Editionspraxis zerbrach und ihn zu allerlei scharfen Angriffen auf die Firma ermunterte. Altersmilde und an der Sache zu sehr interessiert, übernahm er in den letzten Jahren wieder Arbeit und gab Mays Spätwerk "Ardistan und Dschinnistan" heraus.

Den passionierten Polemiker Wollschläger kann man nicht nur in den Streitschriften wider die Diamantschleifer des Karl-May-Verlags erleben. Zu einer Zeit, da man an den hohen Schulen noch durchweg Hehres über die Kreuzzüge hörte, bewies er in seinem grandios parteiischen, aber belegreichen Buch "Bewaffnete Wallfahrten gen Jerusalem", wie erbarmungslos mörderische Kirchenideologen und gierige Geschäftsleute ihr gigantisches Schlachten planten und umsetzten; überspitzt gesagt ein Zusammenprall christlich verbrämter Barbarei mit islamischer Toleranz und Hochkultur. Zu einer Zeit, da man BSE noch für einen Firmennamen gehalten hätte, entdeckte er in den Massenvernichtungssystemen der Fleischindustrie "Das Potential Mengele" - so der Untertitel seiner Streitschrift "Tiere sehen dich an".

Gelebt hat er lange Jahre von Übersetzungen. Krimis von Raymond Chandler waren darunter, Edgar Allan Poes Werke - zusammen mit Arno Schmidt, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, - und der "Ulysses" von James Joyce: eine ganz eigenwüchsige Großtat, die Tausenden erstmals eine Vorstellung vom Reichtum dieses Paradefalls moderner Literatur gab. Vor allem wegen seiner Fähigkeiten als Übersetzer bedachte ihn die Universität Bamberg denn auch 1990 mit dem Ehrendoktor. Das ging freilich nicht ohne Widerstände aus kirchennahen Kreisen ab, die der Pfarrerssohn, 1935 im westfälischen Minden geboren, nicht nur durch sein Buch "Die Gegenwart einer Illusion. Reden gegen ein Monstrum" gegen sich aufgebracht hatte.

Bamberg, das er sehr liebte, blieb bis kurz vor der Jahrtausendwende seine Heimatstadt. Ihr setzte er mit dem ersten Band seines Romans "Herzgewächse oder Der Fall Adams. Fragmentarische Biographik in unzufälligen Makulaturblättern" ein Denkmal. Äußerlich geht es in dieser Variation des Faust-Stoffs um das Schicksal des Emigranten Michael Adams, der nach fünfzehn Jahren Exil wieder Bamberg besucht. Wichtiger aber ist die polyphone Roman-Komposition aus immer neuen Sinnschichten, die mit Hilfe der Typografie in einer Art Sprachpartitur lesbar werden. Die Kritik reagierte auf dieses intellektuelle Wagstück enthusiastisch, verknüpft es doch modernes Erzählen (geschult an Joyce, Schmidt, Thomas Mann) mit Zeitkritik am bigott-obszönen Geist der Adenauerjahre und einer mythopsychischen Menschengeschichte des Individuums wie der Gattung. Der zweite Band, lange angekündigt und immer wieder verschoben, erschien nicht.

Dafür stellte sich Wollschläger in den Dienst anderer Autoren. Mit Hermann Wiedenroth begann er die Herkulesarbeit einer historisch-kritischen Karl-May-Ausgabe. Und wenn auch Zerwürfnisse und Verlagsquerelen eine Vollendung bis jetzt verhinderten, begann damit eine neue Epoche in der May-Forschung. Ebenso war es mit Friedrich Rückert, den Wollschläger mit Hilfe des mehr als unverzichtbaren Mitarbeiters Rudolf Kreutner aus dem Dickicht von Vorurteilen befreite, das sein Werk fast vollständig überwuchert hatte.

Im WallsteinVerlag erschienen nicht nur die Rückert-Ausgabe, sondern endlich auch die lang vergriffenen Bücher Wollschlägers in einer schönen Werkausgabe wieder, darunter seine Karl-May-Biografie und zwei Bände Essays. Hier kann man weiterhin der modulationsreichen Stimme dieses streitbaren Erzstilisten hoher Musikalität begegnen, aus dem immer wieder beredte Kunstbegeisterung oder bestürzende Wuttrauer über das schlechte Weltganze brach.

Die Entschiedenheit, mit der Wollschläger seinen Standpunkt vertrat, blieb ihm trotz Resignation und Nachsichtigkeit erhalten, auch in den letzten Jahren, als er in der Nähe von Bamberg in Dörflis wohnte. Er kam allerdings - je länger, je mehr - der Welt abhanden. Der weite Blick auf Getreidefelder, ein Garten vor dem Haus, das ruhigere Leben mit seiner Frau konnte er immerhin einige Jahre genießen, trotz Herz- und anderen Krankheiten. Die vergangenen Wochen seit dem Geburtstag im März war er akut krank. In der Nacht zum 19. Mai ist Hans Wollschläger im Alter von 72 Jahren in Bamberg gestorben.