Erfreuliche Bösartigkeiten

Roger Willemsens Beobachtungen aus der Medienwelt

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich komme mit einem alten Hut, denn ich werde Gedanken zur Kritik der Literaturwissenschaft vortragen. Das fällt mir nicht leicht, denn erstens befasse ich mich kaum mehr mit ihr, zweitens hat sie ein hohes Niveau und drittens habe ich mir vorgenommen, unter diesem Niveau zu bleiben". Roger Willemsen warnt uns gleich zu Beginn seines Aufsatzes "Tragödien der Forschung - Über eine Literaturwissenschaft ohne Literatur". Dass er sein Handwerk dennoch ganz hervorragend beherrscht, beweist er uns nicht nur auf den folgenden zwanzig Seiten seines neuen Buchs.

Unter dem sprechenden Titel "Bild dir meine Meinung" findet sich eine Sammlung von sechzehn Essays, Glossen und Aufsätzen. Auf "Kritisches und Polemisches" darf sich der Leser freuen, und er wird nicht enttäuscht. Roger Willemsen beobachtet und beschreibt bekannte Phänomene des Zeitgeschehens mit dem besonderen Blick fürs Detail, manchmal zynisch, immer beißend direkt. Die Bandbreite reicht vom "Großen Antimuff" Hellmuth Karasek über "Die lieblose Liebe des Kinos" bis zur "Gesellschaft ohne Obdach - die Veralberung der Armut". Die Gewichtung der Aufsätze hält sich die Waage, ist jedoch beinahe zu sauber geteilt: die ersten 90 Seiten enthalten Vergnüglich-Bissiges zu großen und kleinen Dramen des Medienalltags, was danach folgt, ist Nachdenkliches und Ernstzunehmendes zu den dunkleren Seiten der deutschen Wirklichkeit.

Der Verfasser dieser Aufsätze ist selbst ein Phänomen der derzeitigen Medienwelt, wenn auch ein ausnehmendes. Er arbeitet seit Jahren als freier Autor und Herausgeber, schreibt unter anderem Kolumnen für "Die Woche" und erlangte spätestens mit seiner Moderation der ZDF-Sendung "Willemsens Woche" öffentliche Bekanntheit. In seinen Essays beweist er ein ungemein scharfes Gespür im Aufdecken und pointierten Verbalisieren der vielen Schwachpunkte der Hochburgen deutscher Medienkultur. Seine Beobachtungen zum Umgang diverser TV-Kanäle mit dem Unfalltod Prinzessin Dianas: "Aber während sich Reinhold Beckmann noch eine imaginäre Träne aus dem Auge wischt und Karsten Speck die reizvolle Frage aufwarf: "In welcher Welt leben wir?", frage man bei Sat.1 schon den Reporter: "Wie haben denn die Kinder den Tod der Mutter aufgenommen?" Und der, der nicht dabei war, wusste trotzdem: "schockiert". Und da sich der Autor in der von ihm so denunzierten Branche sehr gewandt bewegt, sind Lokalitäten, Namen und Zitate genau recherchiert: "Den versiertesten aller Experten aber offerierte 'Focus TV' in Michael Graeter. Der überraschte Deutschland mit der Enthüllung: 'Ich kenne die Straße genau', was man der Straße gar nicht ansieht, und folgerte: 'Da kann man ganz gemütlich fahren.' Wirklich verstanden hatte er die Geschichte offenbar noch nicht, nannte abschließend die BBC-Bilder vom Abtransport des Autowracks 'auch Paparazzi-Fotos' und trollte sich ins 'Café Extrablatt', wo er seither die Straße beobachtet. Vielleicht wird er ja wieder mal als Experte gebraucht."

Für den Leser ist sicherlich nicht jeder angeführte Name sprechend. Nichtsdestotrotz folgt er mit Vergnügen bösen kleinen Seitenhieben, fundiert begründeten Ansichten und sehr persönlichen Stellungnahmen zu öffentlichen Themen, die uns täglich oder immer wieder begegnen. Roger Willemsen kann sich über die allgemeine Sprachlosigkeit angesichts der innerdeutschen Wende mokieren, sich mit dem Modern-Talking-Erfinder und Musikmanager Dieter Bohlen auf eine Ebene begeben oder ganz ernsthaft und mit zwingenden Argumenten Kritik am Format der Nachrichten üben: kein Punkt bleibt vage, seine Denkanstöße gründen auf einer genauen Kenntnis der Sache. Willemsens Schmähungen treffen so pointiert, dass man ihn zu seiner Zielsicherheit beglückwünschen möchte. Eine Sammlung von Aufsätzen, von denen jeder mit Gewinn zu lesen ist. Verfasst von jemandem, der weiß, wovon er schreibt - von einem, der den Blick fürs Wesentliche beweist.

Titelbild

Roger Willemsen: Bild dir meine Meinung.
edition TIAMAT, Berlin 1999.
160 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3893200215

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch