Unglück im Glück

Sulamith Sparres Biografie der frühen Feministin Mary Wollstonecraft

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Person der Geschichte kann sich ihre nachgeborenen BiografInnen nicht aussuchen. Manchmal habe sie Glück, öfter aber haben sie Pech. Mary Wollstonecraft (1759-1797), eine der beiden Großmütter der feministischen Bewegung (die andere ist ihre Zeitgenossin Olympe de Gouges) hat im Laufe der Jahrhunderte eine ganze Reihe BiografInnen gefunden - solche und solche -, doch bislang nur zwei deutscher Zunge. Beide haben sie ihre Lebensbeschreibungen der feministischen Pionierin erst in diesem, dem 21. Jahrhundert auf den Markt gebracht. Vor einigen Jahren erschien das Buch von Karin Priester, nun hat Sulamith Sparre unter dem Titel "Denken hat kein Geschlecht" nachgelegt.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das Buch von Sparres eingehender Beschäftigung mit Leben und Schaffen Wollstonecrafts zeugt. Ziel der Autorin ist es, das "radikale und problematische Leben" ihrer Protagonistin zu würdigen und den Lesenden zugleich einige Kenntnisse von Wollstonecrafts "intellektuelle[r] Welt und der Rolle, die sie in der englischen Aufklärung gespielt hat", zu vermitteln. Dass dabei alles andere als eine blind verehrungswütige Hagiografie entstanden ist, ist dem Buch sehr zugute zu halten. Denn bei aller unübersehbaren Bewunderung, welche die Autorin ganz unverhohlen und durchaus zurecht für ihre Protagonistin hegt, zögert sie nicht, fällige Kritik zu üben, etwa indem sie der Autorin der "Vindication of the Rights of Women" (1792) einen "bisweilen verworren[en] und assoziativ[en]" Stil bescheinigt.

Sparre, die Leben und Werk auf gut zweihundert Seiten nachzeichnet, erklärt eingangs, dass es naiv sei, zu glauben, die Arbeiten der englischen Feministin seien "nur noch von historischem Interesse". Zwar seien viele Forderungen Wollstonecrafts inzwischen erfüllt, doch seien die Lebensbedingungen der damaligen Frauen durchaus mit denjenigen ihrer heutigen Geschlechtsgenossinnen "vergleichbar". An anderer Stelle erklärt sie gar, "seit Jahrhunderten" habe sich rein "[g]ar nichts" geändert. Vielmehr müsse "mensch" den Eindruck gewinnen, "daß Dummheit mit jeder Generation neu geboren wird, daß sie Teil der genetischen Ausstattung der Spezies Mensch sei und wirklichen Fortschritt unmöglich macht".

Daran lässt sich vieles bestreiten. Etwa, dass es heute im Geschlechterverhältnis und auch überhaupt noch genauso zugehe wie zu Zeiten Wollstonecrafts oder dass es eine genetisch bedingte Dummheit gebe, der das anzulasten sei. So gesteht denn auch die Autorin alsbald ein, dass es inzwischen immerhin "tradiertes Wissen über weibliche Leistungen und feministische Netzwerke" gibt, "die zumindest im Ansatz zu einem Paradigmenwechsel auch im Bewußtsein breiter Kreise der Bevölkerung geführt haben".

Dass Sparre die seit Wollstonecrafts Zeit vollzogenen Veränderungen im Geschlechterverhältnis wiederholt in Abrede stellt, ist nur einer von etlichen kritikwürdigen Punkten, die das Buch durchziehen. Hier seien nur einige angeführt. Sparre spricht etwa mehrfach von "der Wissenschaft" und kritisiert sie als insgesamt frauenfeindlich, ohne dass sie deren Vielstimmigkeit vernehmen würde. Wobei anzumerken ist, dass feministische Stimmen im Chor der Wissenschaft(lerInnen) seit einigen wenigen Jahrzehnten immer vernehmbarer hervorklingen. Dass Sparre Wollstonecraft anlässlich einer ungewollten Schwangerschaft zum "Opfer der weiblichen Anatomie" erklärt und nicht etwa der mangelhaften Verhütungsversuche ihres Mannes, ist ebenfalls nicht nachzuvollziehen.

Störend sind auch die immer wieder auftretenden Übertreibungen, so etwa wenn Sparre erklärt: "Nun ist eine Ehefrau [in England zur Zeit Wollstonecrafts] der persönliche Besitz des Ehemanns, und er kann mit ihr machen, was immer er für richtig hält." Auch sie als Sklavin verkaufen? Sie vierteilen, ihr Arme und Beine abhacken? Sie öffentlich ermorden? Solche unnötigen Überspitzungen unterminieren die Glaubwürdigkeit des Buches und verschleiern eher die tatsächliche Rechtlosigkeit der unmündig gehaltenen Frauen (nicht nur) im England des 18. Jahrhunderts, als dass sie sie erhellen. Und manchmal versteigt sich Sparre zu barem Unsinn: "Die Kultur des 20./21. Jahrhunderts ist feindseliger denn je gegenüber Mädchen und Frauen."

Angesichts solcher gravierender Fehleinschätzungen ist man fast schon geneigt, über all die kleineren Unsauberkeiten hinwegzulesen und zu -sehen: Da Wollstonecrafts Mann "nur noch wenig Geld" hatte, sei es "dankbar", "daß er aus London vor Gläubigern geflohen ist" (gemeint ist offenbar "denkbar"). Oft fragt man sich auch, woher die Autorin ihr Wissen bezieht. "Die Kinder [...] nehmen es wohl mit schwarzem Humor auf, als sie wieder ihre Koffer packen müssen." Wie kommt Sparre darauf? "[I]m Stillen schwört sie [Wollstonecraft] sich, bald möglichst zu ihren neuen Freunden zurückzukehren." Woher hat sie diese intimen Kenntnisse? Die Beispiele dieses Absatzes sind einer einzigen Seite entnommen.

Verschreiber wie der von "denkbar" zu "dankbar" unterlaufen der Autorin immer wieder. Gelegentlich sind sie sinnverkehrend ("Ist sie [die Frau] aber wie der Mann ein Vernunftwesen, gibt es kein Argument gegen ihre Unterdrückung."), gelegentlich sinnraubend ("Erhalt des Status quo ante"). Hinzu kommen Ungereimtheiten aller Art (Wollstonescrafts "lebenslanger Kampf" richtete sich Sparre zufolge gegen "reale Windmühlenflügel, - nicht die eines Don Quixote".) Und wenn sie das Kapitel über Wollstonecrafts Tod im Wochenbett "Das Ende eines Experiments" betitelt, so mutet das doch einigermaßen zynisch an.

Auch gibt es hin und wieder schlicht unverständliche Stellen: "Mensch mag sich fragen, warum die geplagte Ehefrau ihren Mann nicht längst an die Luft gesetzt hat, d.h. sich von ihm scheiden ließ, aber derartige Überlegungen sind nur in der vorgestellt zurückgenommenen Dimension praktizierbar". Was will uns die Autorin mit dem letzten Halbsatz sagen?

Hat Wollstonecraft nach alldem nun also Glück oder Pech gehabt mit dem Buch ihrer Biografin Sulamith Sparre? Zweifellos Glück, insofern nunmehr überhaupt eine weitere deutschsprachige Biografie über sie vorliegt. Es ist, wie gesagt, erst die zweite, und das ist nicht mal eine pro Jahrhundert, für einen Menschen von Wollstonecrafts Bedeutung also immer noch beschämend wenig. Nicht unbedingt Glück gehabt hat sie allerdings damit, dass es ausgerechnet diese Biografie ist. Somit bleibt, ihr für die Zukunft doch etwas mehr Glück und bessere Biografien zu wünschen.


Titelbild

Sulamith Sparre: Denken hat ein Geschlecht. Mary Wollstonecraft (1759-1797). Menschenrechtlerin.
Edition AV, Lich 2006.
214 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-10: 393604970X
ISBN-13: 9783936049701

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