Wundersame Geschichten und Bilder

Heinz Janischs Geschichten für Kinder mit verschiedenen Illustratoren

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Lügengeschichten des Baron von Münchhausen sind Klassiker nicht nur der Kinderliteratur. Von Heinz Janisch neu erzählt und von Aljoscha Blau sehr schön illustriert hat sie der Aufbau-Verlag in seiner sorgfältig und nahezu edel gearbeiteten Kinderbuch-Reihe wieder aufgelegt.

Die Episoden selbst sind bekannt. Die Bilder von Blau geben deren jeweils zentrale Szene wieder. Manch ein Hintergrund sieht aus wie von einem klassischen Bild der Moderne (so bei "Das Pferd auf dem Kirchdach" und "Die Wette mit dem Sultan"), einige sind hübsch enigmatisch und wie mit einem Überzug aus dunkler Wasserfarbe eingedunkelt (so bei "Die wundersame Rettung aus dem Sumpf", "Ein Sack voll Sonnenlicht"). Überlebensgroß gemalte einheimische Süßwasserfische verleihen dem "Ritt auf dem Seepferd" eine unheimliche Märchenhaftigkeit. Figuren und Gegenstände sind feingliedrig gemalt und durch sorgfältige Schattierungen plastisch gemacht. Weil die neben den Bildern stehenden Geschichten in einer hohen schlanken Schrift gesetzt sind, ergibt sich ein passendes Gesamtbild. Trotz der Fantastik der Geschichten sind die Bilder ruhig, für Kinder ansprechend, aber ohne Infantilität. Ein ebenso still wie heiter lächelnder Münchhausen schlägt sich wacker durch alle Beschwerlichkeiten.

Etwas merkwürdig hingegen ist die Geschichte, die in "Zeppelin" erzählt wird. Eines Tages schwebt ein Zeppelin über eine Herde Schafe samt Schäfer im Gebirge. Eines der Schafe ist von dem Flugschiff und der Vorstellung, auch fliegen zu können, so begeistert, dass es sich fortan "Zeppelin" nennen lässt und - erfolglos - zu fliegen versucht. Die Ausflüge in der Luft finden nur in seinen Träumen statt. Das Schaf wird alt und deprimiert und wird von seinen Mit-Schafen milde verspottet. Eines Tages kehrt der Zeppelin zurück, landet, lässt eine Treppe herab - und das Schaf Zeppelin geht an Bord und fliegt davon.

Merkwürdig ist die Geschichte selbst, merkwürdig ist aber auch die ansprechende angenehme Beiläufigkeit, mit der sie erzählt und vor allem wie sie aufgelöst wird: das Schaf kann gehen und sich seinen Traum erfüllen. Die anderen Schafe staunen, der nette Hirte, der sein Schaf selbstverständlich und wortlos ziehen lässt, sagt nur "Alle Achtung" und winkt hinterher. Die annähernd realistischen, kräftig bunten Illustrationen in Buntstift von Heide Stöllinger füllen die Seiten komplett, der wenige Text ist klug platziert.

Auch in "Schatten" passiert nicht viel. Doch dies soll nicht bemängelt werden. Heinz Janisch zeichnet sich durch das Talent aus, Kinderbücher verfassen zu können, die ohne Handlung, Geschichte im eigentlichen Sinn auskommen. An einem heißen, trägen Sommertag läuft ein kleiner Junge durch die Stadt. Es geht nicht um das, was er tut, sondern um das, was er sieht: die Schatten haben ein Eigenleben entwickelt. Was sie tun, ist etwas anderes als das, was ,ihre Menschen' tun; manchmal, so kann man vermuten, formen sie ein Bild dessen, was ,ihre Menschen' gerne tun oder sein würden. Kinder müssen diesen Unterschied erst einmal bemerken und können ihn dann mit einem möglichen Sinn füllen. Die sehr schönen Bilder von Artem (alias Artem Kostyukevich) sind dick und kräftig gestaltet, so dass sie teilweise plastisch wirken, in Farben, die zu einem vor Hitze flirrenden, leicht magischen Sommertag passen.

"Wenn ich nachts nicht schlafen kann" erzählt gar keine Geschichte. Ein sympathisch aussehendes Mädchen (oder ein Junge - sex und gender sind hier angenehm egal) teilt dem Leser mit, was es tut, wenn es nicht schlafen kann: es zählt vierunddreißig Riesen. Auf den folgenden Seiten sieht man diese Riesen, die unterschiedliches tun. Die Menge der pro Doppelseite dargestellten Riesen ergibt einen leichten Spannungsbogen: sie wächst von zwei auf sechs an und fällt dann wieder ab. Passend zum Ziel des Buchs, das Schlafengehen, wird die Bildaktivität wieder abgesenkt. Noch einmal sagt das Mädchen, was es tut, wenn es nicht schlafen kann und der letzte Vers des gereimten Textes lautet "Gute Nacht!". Ein intelligent konzipiertes Gute-Nacht-Buch also.

In "Ein Haus am Meer" ist eine Schnecke unterwegs zum Meer. Sie weiß, dass sie sehr lange brauchen wird, nämlich drei Jahre, aber das macht ihr nichts aus. Unterwegs trifft sie einen Riesen, der sich Strümpfe stricken muss, damit er beim Gehen nicht so einen Lärm macht. Er nimmt die Schnecke mit, und weil er so große Schritte macht, sind beide im Handumdrehen da. Die Schnecke ist glücklich am Strand und der Riese ist zufrieden, weil die Schnecke ihm ein Ziel gewiesen hat.

Nicht genug preisen kann man Helga Bansch für die Illustrationen. In beiden Büchern fügt sie gekonnt alle möglichen Materialien und Stile zusammen. Besonders auffällig und für Kinderbücher ungewohnt ist die Collagetechnik. Teile der Schrift bestehen aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben. Die fünf Gebirgsrücken, auf denen sich fünf Riesen lümmeln, sind übereinander gelegte, schroff gerissene und geschnittene unterschiedliche Papierarten: Tonpapier, Karopapier, Notizpapier. Im Hintergrund sieht man dünne Kaffee- oder Teeflecken. Der Boden, auf dem Schnecke und Riese sich bewegen, ist passender Weise aus Teilen von Landkarten, manchmal belassen, manchmal übermalt, zusammengesetzt. Der Riese ist ungefähr anatomisch realistisch in Bleistift gezeichnet, die übrigen Figuren in kräftigen Farben gemalt. Die einzelnen Figuren wie die einzelnen Bildbestandteile (Personen, Häuser, Hintergrund) sind einzeln produziert worden und wurden dann zu einem Gesamtbild zusammengeschoben. Dadurch ist die übliche Bildkomposition teilweise aufgehoben, Perspektiven und Proportionen ,stimmen' nicht mehr. Wem das zu verwirrend klingt, der kann beruhigt werden, dass erste Selbstversuche gezeigt haben, dass all dies Kinder nicht abschreckt.


Titelbild

Heinz Janisch / Helga Bansch: Ein Haus am Meer.
Jungbrunnen Verlag, Wien 2006.
32 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 370265772X
ISBN-13: 9783702657727

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Heinz Janisch / Aljoscha Blau: Der Ritt auf dem Seepferd. Alte und durch wundersame Zufälle neu entdeckte Schriften über die unglaublichen Abenteuer des Carl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
32 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783351040741

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Titelbild

Heinz Janisch / Artem: Schatten.
Bajazzo Verlag, Zürich 2007.
32 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783907588802

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Heinz Janisch / Helga Bansch: Wenn ich nachts nicht schlafen kann.
Jungbrunnen Verlag, Wien 2007.
32 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783702657826

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Heinz Janisch / Heide Stöllinger: Zeppelin.
Bajazzo Verlag, Zürich 2007.
32 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783907588826

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