Neues für Theorie-Neulinge
Sabina Beckers "Literatur- und Kulturwissenschaften. Ihre Theorien und Methoden" als Erste Hilfe im Dschungel des Methodenpluralismus
Von Misia Sophia Doms
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNicht alle zusammenfassenden Darstellungen literaturwissenschaftlicher Theorien und Methoden, die in den letzten Jahren als Orientierungshilfe für Studierende auf den Markt gebracht wurden, sind gleichermaßen zur ersten, möglicherweise im Selbststudium stattfindenden Einarbeitung in dieses Gebiet zu empfehlen. Besonders jüngere Semester und Studieneinsteiger profitieren letztlich nur von Publikationen, in denen ihnen ein möglichst breiter, gleichzeitig aber auch klug auf das Wesentliche beschränkter Überblick über die verschiedenen wissenschaftlichen Zugänge zu literarischen Texten geboten wird.
Gerade für den Erstkontakt mit den vielfältigen literaturwissenschaftlichen Verfahrensweisen erscheint Sabina Beckers neue Einführung bestens geeignet. Während sich manches Lehrbuch zur Literaturtheorie in seiner Detailfülle eher zum vertiefenden Studium einzelner Abschnitte anbietet, lädt Beckers Band schon durch die Strategie, sich auf die Leittheoreme der jeweiligen Ansätze zu konzentrieren, zur systematisch-vollständigen Lektüre ein. Für den theorieunerfahrenen Studienneuling besonders hilfreich ist auch die intensive Vernetzung der insgesamt 19 Kapitel. Becker zeichnet nicht nur historische Zusammenhänge, Rezeptionsbeziehungen und Abgrenzungsbewegungen zwischen den einzelnen Theorien nach, sondern sie weist auch abseits solcher direkten Abhängigkeitsverhältnisse Parallelen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Verfahrensweisen im Umgang mit literarischen Texten auf. Dies führt zum einen dazu, dass der auf diesem Gebiet Unerfahrene die Vielfalt der literaturwissenschaftlichen Arbeitsweisen gedanklich leichter systematisieren kann und die unhintergehbaren Grundfragen und -probleme jeder literaturwissenschaftlichen Textarbeit begreifen lernt. Zum anderen trägt die Vernetzung der einzelnen Kapitel dazu bei, dass durch ihre wechselweise Gegenüberstellung auch die zentralen Prinzipien der konkreten Einzeltheorien jeweils noch einmal rekapituliert werden und so länger im Gedächtnis haften bleiben. Das Memorieren der verschiedenen Zugangsweisen wird dem Studierenden außerdem dadurch erleichtert, dass ihre Grundgedanken auch innerhalb der einzelnen Kapitel mehrfach in unterschiedlichen Formulierungen und Präsentationsformen (etwa durch Zitate aus den einschlägigen Texten, praktische Beispiele, verknappte Zusammenfassungen und so weiter) konzentriert wiedergegeben werden. Über den didaktisch wohldurchdachten Wechsel der Darstellungsweise erhält der Leser die Chance, noch nicht Verstandenes nachzuvollziehen und bisher völlig fremde Gedankengänge allmählich einzuüben. Letzteres soll keineswegs bedeuten, dass Becker zu einer unkritisch-affirmativen Haltung gegenüber den einzelnen Ansätzen anleiten wollte. Im Gegenteil: Immer wieder führt sie neben den Verdiensten auch wesentliche Schwächen beziehungsweise von der scientific community mehrfach erhobene Vorwürfe gegen die einzelnen Theorien an, führt also dem Leser neben den (innovativen) Möglichkeiten auch die Grenzen der jeweiligen Konzepte vor Augen - ein Verfahren, das gut dazu geeignet ist, die Kritikfähigkeit der Studierenden zu fördern.
In erster Linie stellt Becker in ihrer Einführung jene literaturtheoretischen Entwürfe dar, die in der Germanistik des 19. bis 21. Jahrhunderts einflussreich waren beziehungsweise sind. Dabei geht es ihr nicht um die in dieser Zeit entwickelten (ästhetischen) Theorien über Literatur, sondern um die im wissenschaftlichen Umgang mit der Literatur einflussreichen Ansätze. Becker folgt in ihrer Darstellung der verschiedenen Konzepte der Chronologie ihrer Entstehung. Beginnend mit der Hermeneutik, führt sie den Überblick bis zu jenen kulturwissenschaftlichen Theorien fort, die in den letzten Jahren die (germanistische) Literaturwissenschaft zunehmend prägen (etwa Kultur- und Literatursemiotik, New Historicism). Wenn der Titel ihrer Einführung Literatur- und Kulturwissenschaften scheinbar gleichberechtigt nebeneinander stellt, so soll damit wohl vor allem auf den Sachverhalt hingewiesen werden, dass den kulturwissenschaftlichen Methoden und Theorien gleich fünf Kapitel gewidmet sind und dass auch die früheren literaturtheoretischen Strömungen immer wieder in ihrer Wegbereiterrolle für die heutigen kulturwissenschaftlichen Ansätze wahrgenommen werden. Auch betrachtet Becker die Letzteren als jene Konzepte, die im germanistisch-literaturtheoretischen Diskurs der Gegenwart am einflussreichsten sind. Trotzdem liegt der Fokus von Beckers Arbeit eindeutig auf der Darstellung literatur-, nicht allgemein kulturwissenschaftlicher Theorien. Es geht ihr also nicht darum, einem Aufgehen der Literaturwissenschaft in einer allgemeinen Kulturwissenschaft das Wort zu reden.
Dass Beckers Band schon für das Selbststudium des Studienanfängers empfehlenswert ist, bedeutet keineswegs, dass er nur im Grundstudium oder bei geringen Vorkenntnissen gewinnbringend gelesen werden könnte. Auch noch der Examenskandidat, der einen letzten allgemeinen Überblick über die neueren Theorien sucht, kann auf Beckers Arbeit zurückgreifen. Und schließlich lässt sich die Einführung, dank der übersichtlichen Kapitelgliederung, aber auch dank des gründlichen Sach- und Personenregisters, sehr gut auch studienbegleitend als gezieltes Nachschlagewerk zu einzelnen Methoden, Stichworten oder Theoretikern nutzen.
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