Eine amour fou und ein assoziatives Meisterwerk

Arnold Stadler unterhält prächtig mit seinem neuen Roman "Komm, gehen wir"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Komm, gehen wir. Und sie gingen." Derart knapp beginnt die Liebesgeschichte zwischen Rosemarie, Roland und Jim. Es ist August 1978, das Jahr, in dem es drei Päpste gab. Rosemarie und Roland sind nach Capri gefahren, im Herbst wollen sie heiraten. Sie liegen am Strand, da kommt Jim auf sie zu, ein Amerikaner aus Florida, der in Italien seine Vorfahren sucht. Eine Nacht hat er schon im Freien geschlafen, jetzt fragt er die beiden nach Wasser. Sie albern ein wenig herum, und dann heißt es: "Komm, wir gehen." Und sie gingen.

Viele Umwege geht diese Dreiecksgeschichte, viele Umwege macht der Erzähler: "Eigentlich waren sie nur zum Braunwerden hierhergekommen. Deswegen waren sie hier. Und das Meer sehen wollten sie. Und nichts tun. Und sonst gar nichts." Aber dann wurde alles anders, alles unnormal, alles eigensinnig.

Mit Jim erleben die beiden Studenten eine amour fou, eine wilde Liebe und ein wildes Leben. Gemeinsam fahren sie durch Italien, sehen den weißen Rauch auf dem Petersplatz, als Johannes Paul I. gewählt wird. Jim trifft in Florenz einen Professor, der ihn in eine Pension mitnimmt. Dann muss Roland zum Semesteranfang nach Freiburg zurück, und Jim und Rosemarie kommen später gemeinsam nach. An dem Tag, als der neue Papst stirbt, merkt Rosemarie, dass sie schwanger ist. Eine lange Zeit bleiben die drei zusammen, einmal fährt Roland mit Jim zusammen auf eine Hochzeit in Rolands Heimatdorf bei Meßkirch.

"Komm, gehen wir", der neue Roman von Arnold Stadler, ist ein eigenartiges, eigensinniges, aber auch leichtes, spielerisches und dennoch tiefsinniges Buch. Alles wird erzählt, jede Einzelheit wird bedacht. Stadler spielt mit seinen Personen und mit der Sprache. Er lässt sich von den Assoziationen hinreißen, von einem Sprach- und Gedankenfluss, der immer in Gefahr ist, über die Ufer zu treten und doch immer gebändigt wird. Immer wieder schweift der Erzähler ab, berichtet von den skurrilen Biografien seiner Helden und ihrer Bekannten, von den Besäufnissen und der Onanie in den Schwarzwalddörfern. Alles kleidet er in seine ironischen, liebevollen Stadler-Sätze. Selbst die Sackgassen der Erzählung sind ihm angenehm, mit Lust stürzt er sich in sie hinein und sagt dann einfach, dass auch diese oder jene Person jetzt "einfach aus der Geschichte verschwindet".

Augenzwinkernd und mit einer Verbeugung vor den epischen Ironikern wie Thomas Manns und seinem "Felix Krull" entwirft er eine typische Stadler-Welt zwischen Provinzposse und Weltliteratur. Und die Liebe? Die ist kompliziert, wie immer. Und so erzählt Stadler auch von uns, von den normalen Menschen, die ab und zu ja auch etwas Unnormales erleben. Vielleicht etwas so Unnormales wie die Liebe. Oder wie diesen Roman, der ein stattliches Meisterwerk ist - das Beste, was Stadler bisher geschrieben hat.


Titelbild

Arnold Stadler: Komm, gehen wir. Eine Liebesgeschichte. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
360 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783100751270

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