Feminismus und Eugenik

Ulrike Manz' historische Untersuchung über die Haltung der Ersten Frauenbewegung zur Eugenik schließt eine Forschungslücke

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Sigrid Rüger am 13. September 1968 auf der 23. Delegierten-Konferenz des SDS einige Tomaten in Richtung Podium schleuderte und damit den Beginn der Neuen Frauenbewegung einläutete, wussten sie und ihre feministischen Kampfgenossinnen kaum etwas von ihren sicherlich nicht weniger kämpferischen Großmüttern, die in den Jahren um und nach 1900 auf die Barrikaden gegangen waren. Wer die Feministinnen der Ersten Frauenbewegung waren, was sie wollten, ob und wie sie sich organisierten, ja dass es sie überhaupt gegeben hatte, all das war zur Zeit des berühmten Tomatenwurfes im Orkus des Vergessens versunken.

Genauer gesagt: Die nationalsozialistische Diktatur hatte nicht nur etliche Frauenrechtlerinnen ermordet und ihre Organisationen liquidiert oder gleichgeschaltet, sondern auch die meisten ihrer Archive sowie die Nachlässe zahlreicher ihrer Protagonistinnen vernichtet und somit die Wissensstränge gekappt. So mussten sich die Feministinnen der Neuen Frauenbewegung das Wissen um die eigene (Vor-)Geschichte erst wieder erarbeiten. Sie haben sich mit Elan und Ausdauer daran gemacht, diese Aufgabe zu bewältigen. Und sie haben dabei einiges geleistet. Inzwischen gibt es nicht nur den FrauenMediaTurm in Köln mit seinem umfangreichen archivalischen Beständen oder das Archiv der Deutschen Frauenbewegung in Kassel, sondern außerdem etliche Forschungsarbeiten zur ersten Frauenbewegung, ihren Flügeln, ihren Politiken, ihren Protagonistinnen - bis hin zur Behandlung sehr spezialisierter, enggefasster Forschungsfragen.

Eine der Autorinnen, die sich in jüngster Zeit ganz auf ein - wie es scheinen mag eher kleines, dabei aber durchaus nicht unwichtiges - Detail der Ersten Frauenbewegung konzentrieren, ist Ulrike Manz. Die Früchte ihrer Arbeit hat sie nun unter dem Titel "Bürgerliche Frauenbewegung und Eugenik in der Weimarer Republik" vorgelegt, der zugleich das Thema ihrer Forschungen bezeichnet.

Ausführlich und manchmal sogar ein wenig redundant legt die Autorin Fragestellung, Forschungsstand, Methode und Durchführung ihrer Arbeit dar. Da zur Haltungen der Radikalen in Fragen der Eugenik bereits mehrere Publikationen vorliegen, befasst sich Manz' Studie nicht gleichermaßen mit beiden Flügeln der in Abgrenzung zur sozialistischen bürgerlich genannten Frauenbewegung und deren durchaus differenten Haltungen zur Eugenik, sondern fokussiert ganz auf den gemäßigten Teil und untersucht, "in welchem Kontext" er "eugenische Vorstellungen mit (frauenpolitischen) Zielen der Gesellschaftsveränderung verknüpfte und in welchem Zusammenhang [er] eugenische Maßnahmen als Elemente der Unterwerfung betrachtete und diese ablehnte".

Die Beantwortung mehrerer Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: An welchen "thematischen Anknüpfungspunkten" überschneiden sich eugenische Überlegungen mit denjenigen der gemäßigten Frauenbewegung; wie lassen sich diese Überscheidungen gegebenenfalls systematisieren und in welchem Verhältnis stehen die Positionen der bürgerlich-gemäßigten Feministinnen während der Weimarer Republik zu der eugenischen Politik der Nazis?

Die Quellengrundlage der Forschungsarbeit bildet ganz überwiegend die Zeitschrift "Die Frau". Diese war zwar "kein direktes Publikationsorgan" des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), in dem sich die bürgerlich-gemäßigten Feministinnen organisierten, gilt aber als deren "wesentliches Presseorgan".

Zu drei zentralen Ergebnissen führt Manz ihr Quellenstudium: Erstens tauchen alle der während der Weimarer Republik virulenten "eugenischen Theoreme" auch in den Diskussionen der bürgerlich-gemäßigten Frauenbewegung auf; zweitens finden sich besondere "Häufungen im Bereich Kategorisierungen und Volksgemeinschaft". Dieses Volksgemeinschaft wurde dritten wie seinerzeit üblich als "eugenischen Potential" gefasst, das es zu verbessern gelte. Am wichtigsten ist allerdings eine vierte Erkenntnis: Zwar boten eugenische Theoreme der bürgerlich-gemäßigten Frauenbewegung die Möglichkeit, "ihre frauenpolitischen Zielsetzungen des Schutzes und der Stärkung von Frauen mit eugenischen Argumenten zu untermauern", doch "vertrat die bürgerlich-gemäßigte Frauenbewegung eugenische Anliegen immer als Bestandteil weitgehender Forderungen und engagierte sich nicht gezielt für die Durchsetzung ausschließlich eugenischer Maßnahmen". Auch ließ sich der "weitaus größte Anteil eugenischer Denkfiguren [...] nicht mit spezifischen frauenpolitischen Thematiken verbinde[n]".

Das Interesse an der Eugenik und die prinzipiell positive Haltung ihr gegenüber bilden denn auch keineswegs ein Spezifikum der bürgerlich-gemäßigten Frauenbewegung. Die seinerzeitigen Verflechtungen zwischen Feminismus und Eugenik sind Manz zufolge vielmehr im Wesentlichen eine Folge der feministischen Teilhabe an den wichtigsten politischen Debatten in der Weimarer Republik, zu deren zentralen Themen Fragen der Eugenik zählten. So bedeutet die Verwendung eugenischer Theoreme durch den gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung nicht, dass sie zwangsläufig zu einer Eugenik "im Sinne nationalsozialistischer Eugenik" führen musste. Doch immerhin sei "dieses Gedankengut als ein 'Potential' zu kennzeichnen, welches im Nationalsozialismus als eugenisches Potential aufgerufen werden konnte".

Obwohl Manz' Forschungsinteresse dem gemäßigten Flügel der Frauenbewegung gilt, verzichtet sie doch nicht darauf, auf einen wesentlichen Unterschied zwischen diesem und den Radikalen um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann hinzuweisen: Akzeptierten Helene Lange, Gertrude Bäumer und ihre Anhängerinnen "möglicher Eingriffe in das Reproduktionsverhalten der Individuen", sahen die Radikalen die "Grenze eugenischer Eingriffe dort erreicht, wo es um das Verfügungsrecht über den eigenen Körper ging".

Nun behandelt Manz zwar ein ausgesprochen ernstes Thema, abschließend sei aber doch darauf hingewiesen, dass ihr Buch auch schon mal Gelegenheit zum Schmunzeln bietet. Etwa, wenn sie schreibt, "dass die Mehrheit der Mitgliedervereine [des BDF] vorwiegend karikative Zwecke verfolgte". Das liest sich wie ein lustiger, die karitative Arbeit des BDF karikierender Verschreiber, der Manz versehentlich aus der Feder geflossen ist. Oder doch nicht? Immerhin berichtet sie kurz darauf auch von anderen "karikative[n] und berufliche[n] Verbände[n]".


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Ulrike Manz (Hg.): Bürgerliche Frauenbewegung und Eugenik in der Weimarer Republik.
Ulrike Helmer Verlag, Taunusstein im Taunus 2007.
275 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783897412293

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