Falsche Ehrenhaftigkeit statt Verantwortung

Oliver von Wrochem beleuchtet am Beispiel Erich von Mansteins, wie der "Vernichtungskrieg" in der "Geschichtspolitik" der Bundesrepublik zum Verschwinden gebracht werden sollte

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Januar 1967 erhielt das Bundeskanzleramt in Bonn einen Beschwerdebrief, in dem schweres Geschütz gegen den nach der gleichnamigen Novelle von Günter Grass gedrehten Film "Katz und Maus" aufgefahren wurde: In diesem Film werde das Ritterkreuz als ein Symbol "soldatischer Ehre" verächtlich gemacht, "soldatische Tugenden" wie Befehlsgehorsam würden abgewertet. Das Bundeskanzleramt reagierte kühl und verwies auf die Freiheit der Kunst in der Demokratie. Hinter der Beschwerde, vorgetragen durch einen Mittelsmann, stand Erich von Manstein, "Hitlers Stratege", wie der Ex-Generalfeldmarschall von seinen Verehrern ehrfurchtsvoll genannt wurde.

Diese Episode berichtet Oliver von Wrochem in seiner aufschlussreichen Abhandlung über Erich von Lewinski, "genannt von Manstein" (1887-1973). Die Episode kennzeichnet auch ein Fazit: Sie "verdeutlicht Mansteins fehlendes Demokratieverständnis und sein ungebrochenes Verhältnis zur ,soldatischen Ehre'. Sie bezeugt zugleich jedoch die Grenzen seines politischen Einflusses."

Manstein gilt als einer der herausragenden Vertreter eines "beispielhaften militärischen Typus" in Deutschland, der seine Prägung noch in der kaiserlichen Reichswehr erhielt, der Weimarer Republik mit innerer Ablehnung begegnete, in Hitlers Wehrmacht mit ihrem verbrecherischen Kriegspersonal eine Hauptfigur darstellte und schließlich in der Nachkriegsbundesrepublik als ,unbelasteter' Experte bis zum militärischen Berater der Bundesregierung aufsteigen konnte. Von Interesse ist dabei das Wechselverhältnis zwischen diesem Typus und der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Von diesem Verhältnis aus lassen Rückschlüsse zum Verständnis der schwierigen Geschichte des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik ziehen.

Eben darauf zielt von Wrochems Buch, das deshalb keine herkömmliche Biografie Mansteins ist. Entsprechend zügig informiert von Wrochem zunächst über Mansteins Militärkarriere, die vom preußischen Offizier bis zum Generalfeldmarschall in Hitlers Armee führte. Insbesondere Mansteins "Weg durch den Vernichtungskrieg" als Befehlshaber der 11. Armee auf der Krim und Kommandant der Heeresgruppe Don (Süd), zu der auch die in Stalingrad geschlagene 6. Armee gehörte, interessiert den Autor. Mansteins Verwicklungen in den verbrecherischen Vernichtungskrieg gegen die sowjetischen Kommissare, die Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung und hier vor allem die jüdische Bevölkerung werden deutlich. Im Mittelpunkt steht dabei der "Manstein-Befehl", eine legitimierende Rationalisierung der Judenermordungen, die mit Wissen und Unterstützung der Wehrmachtsstellen von der Einsatzgruppe D im Bereich der 11. Armee systematisch durchgeführt wurden.

Diesem ersten Kapitel folgen drei weitere, die jeweils eine bestimmte Phase der Nachkriegsauseinandersetzungen mit der Wehrmacht und ihrer Beteiligung an den Verbrechen aufarbeiten. Bereits während der Nürnberger Prozesse trachtete die in Nürnberg versammelte Wehrmachtselite unter Mansteins Führung erfolgreich danach, die Wehrmacht als Ganzes nicht als "verbrecherische Organisation" stigmatisiert zu sehen. Nachdem dies gelungen war, ließ sich eine Strategie zur Bewertung der Geschehnisse ausarbeiten: hier die "ehrenhaften" Einheiten der Wehrmacht, die in "soldatischer Pflichterfüllung" einen tapferen "Abwehrkampf" gegen "Bolschewismus" und "Asiatentum" führten, dort die namenlosen "kriminellen Mörder", deren "weltanschaulich motivierte" Taten bedauerlicherweise "in deutschem Namen" begangen wurden. Zu bewähren hatte sich die Strategie, die Wehrmacht und Krieg "als vom NS-Regime getrennte Wirklichkeiten" im Nachkriegsbewusstsein zu verankern suchte, in den noch von den Alliierten begonnenen Kriegsverbrecherprozessen. So auch im "Manstein-Prozess", der 1949 in Hamburg vor einem britischen Militärgericht stattfand. In neun der 17 Anklagepunkten wurde Manstein schuldig gesprochen und zu 18 Jahren Haft verurteilt. Trotzdem war das Urteil für das Mansteinlager keine vollständige Niederlage. In Deutschland heizte das Urteil die Stimmung gegen die als ungerecht empfundene "Siegerjustiz" auf. Wichtiger aber im Sinne der Strategie war, so analysierte der seit den Nürnberger Verfahren als prominenter Verteidiger der Nazielite bekannt gewordene Rechtsanwalt Hans Laternser, "dass das Gericht eine klare Trennlinie zwischen den Taten des SD und Manstein gezogen habe".

Schon 1953 wurde Manstein aus der Haft entlassen. Nun begann die Rehabilitation der Wehrmachtselite, die der Autor im "Kontext von Kriegsverbrecherdebatte und Wiederbewaffnung" schildert. Wieder war Manstein einer der Wortführer. Er trat dabei aber selten selbst direkt in das Licht der Öffentlichkeit. Zumeist ließ er seine Botschaften von Helfershelfern aus einem komplexen soldatischen Netzwerk, dem das letzte Kapitel des Buchs gewidmet ist, verkünden. Die Zeiten waren günstig für die Botschaften der inzwischen weitgehend nun auch formal entnazifizierten Wehrmachtsprominenz. In Zeiten des Kalten Krieges und der Wiederbewaffnung war der vermeintliche Sachverstand der Ex-Wehrmachtler gefragt. Zudem kam entscheidender Zuspruch für die ,guten' Kämpfer der Wehrmacht auch aus England. Um den britischen Militärhistoriker Basil Henry Liddel Hart (1895-1970) hatte sich eine politisch einflussreiche Öffentlichkeit gebildet, die sich von England aus für viele der Nazi-Militärs einsetzte - vor allem für Manstein. Die englische Parteinahme, so zeigt von Wrochem, hatte wesentlichen Einfluss auf die Rehabilitation der Wehrmachtselite in Deutschland und ihre öffentliche Wahrnehmung als ,neutrale' Militärexperten, deren soldatische Tugenden von kriminellen (weltanschaulichen) Elementen missbraucht wurden: Internationale der Edelmilitärs!

Von Wrochems Buch ist ein weiterer Beitrag zu der seit einigen Jahren betriebenen Erforschung der Grundlagen, die das historisch-politische Selbstverständnis der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft bestimmte. Ist einerseits festzustellen, dass Teile der ehemaligen Nazielite bedeutsamen (meinungs-)politischen Einfluss entwickeln konnten, so bleibt andererseits auch festzustellen: Die antidemokratischen Einstellungen von Leuten wie von Manstein konnten keinen entscheidenden Eindruck hinterlassen. Letztlich erwiesen sich die demokratisch-zivilgesellschaftlichen Strukturen als stärker. Sie verkrafteten auch die zurückgebliebenen, selbsmitleidig ihre Renten verzehrenden unbelehrbaren Greise.


Kein Bild

Oliver von Wrochem: Erich von Manstein. Vernichtungskrieg und Gesichtspolitik.
Schöningh Verlag, Paderborn 2006.
432 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3506729772

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch