Alt und ein bisschen weise
Ironisch-nachdenkliche Einblicke in die römische Gesellschaft und Szenen einer Ehe in Luigi Malerbas neuem Roman "Römische Gespenster"
Von Bernhard Walcher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMit den Romanen des 1927 in Berceto bei Parma geborenen Luigi Malerba verhält es sich ein wenig wie mit den Filmen von Woody Allen: sie erscheinen in schöner Regelmäßigkeit alle zwei bis drei Jahre, man freut sich darauf und ist nach der Lektüre zwar manchmal enttäuscht, aber dennoch irgendwie positiv von ihnen eingenommen, weil auch noch die schlechteren Werke jenen unverwechselbaren Stil erkennen lassen, der sich durch parlandohafte Leichtigkeit gerade in der Darstellung von im Grunde zutiefst deprimierenden Beziehungen, Situationen oder überhaupt Lebenskrisen auszeichnet. Mit über achtzig Jahren - hier enden freilich die Parallelen zu Woody Allen - demonstriert Malerba nach seinem letzten, durch die angestrengte und überambitionierte Prosa mitunter sehr ermüdenden Roman "Der geheime Zirkel von Granada" (2003), mit seinem nun auch in einer flüssigen und den lockeren Ton des Originals treffenden Übersetzung von Iris Schnebel-Kaschnitz auf deutsch vorliegenden neuen Roman, dass er noch lange nicht auf's Altenteil gehört.
Einen Namen hat sich der Mitbegründer der "Gruppo 63" - einer 1963 in Palermo gegründeten Vereinigung neoavantgardistischer Literaten und Kritiker, die nach neuen, gegen die traditionelle Literatur der 1950er-Jahre gerichteten Ausdrucksmöglichkeiten suchten und denen unter anderen auch Umberto Eco und Roberto di Marco angehörten - mit seinen frühen Werken wie "Die Schlange" (1969) oder dem philosophisch-satirischen Roman "Die nachdenklichen Hühner" (1984) auch in Deutschland gemacht, die ihm indessen aber nie zu jener Popularität verholfen haben, wie sie Autoren wie Italo Calvino oder gar Umberto Eco bei deutschen Lesern genießen.
Das Erbe jener neoavantgardistischen Bewegung in der italienischen Literatur schimmert vor allem in der Erzähltechnik von "Fantasmi Romani" - so der Originaltitel - durch, womit Malerba gleichzeitig auch an seinen im Jahr 2000 auf deutsch erschienenen Roman "Elianes Glanz" anknüpft. Abwechselnd berichten die Eheleute Clarissa und Giano in der Ich-Perspektive von ihren Liebschaften, dass sie einander auf die Schliche kommen, aber dieses Spiel mitmachen, weil sie gar nicht voneinander lassen können: "Unsere Rettung ist die Lüge - eine einfache Bewahrung unserer Ehe."
Nun ist die Präsentation einer Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven, die sich gewissermaßen ergänzen, nicht ungewöhnlich, zumal sie gerade in der modernen italienischen Literatur eine lange Tradition hat. Seinen intellektuellen Reiz gewinnt der Roman hauptsächlich durch die Offenlegung des Erzählvorgangs und die Verschränkung verschiedener Erzählebenen und -instanzen. Denn Giano, der im bürgerlichen Leben ein erfolgreicher Professor für Stadtarchitektur ist, schreibt im Roman einen Roman, den Clarissa entdeckt und von dessen Handlung und Figuren sie wiederum berichtet, wobei schnell klar ist, dass die vier Hauptfiguren in Gianos Roman unter falschen Namen gewissermaßen die Situation der beiden mit ihren Geliebten nachspielen. Mitnichten aber gerät Malerbas Roman aufgrund dieser Erzählstruktur zu einer Einführung in die Literaturtheorie - wobei mit Nachdruck erwähnt werden muss, dass der Text sich geradezu als Musterbeispiel für all jene empfiehlt, die schon immer den empirischen Autor mit dem Erzähler und all die damit verbundenen Unterbegriffe der Erzähltheorie verwechselten -, sondern Malerba versteht es, diese formale Hohlform mit einem unangestrengten und dimensionsreichen Netz von Symbolen und Motiven, sowie ausgesprochen unterhaltsamen Beobachtungen zur wohlhabenden römischen Mittelschicht auszufüllen.
Den Roman von Luigi Malerba, den wir als Leser unter dem Titel "Römische Gespenster" zu lesen meinen, lesen wir in Wirklichkeit nur vermittelt über die Berichte Clarissas und Giano, die uns den Fortgang des Geschehens jeweils näherbringen, zumindest wird genau mit jener (scheinbaren) Identität der beiden Geschichten gespielt. Mit dem Titel jenes Romans im Roman, dessen Entdeckung durch Clarissa Giano geradezu provoziert, verbinden sich Grundmotive, die sich durch den gesamten Text ziehen. Hinter dem Kürzel "U.D." auf dem Deckblatt des Papierstapels vermutet Clarissa zunächst ein von ihrem Mann betreutes städtebauliches Projekt, "Urbanistische Dekonstruktion", in dem Giano seinen Phantasien einer sternförmigen Planstadt freien Lauf gelassen haben könnte.
In Wirklichkeit aber beschreibt Giano die Dekonstruktion einer Liebesarchitektur, deren Fundamente wahrscheinlich nicht einmal durch die außerehelichen Liebschaften ins Wanken geraten sind, sondern mehr noch durch die Gewohnheit eines satten und sorgenlosen Lebens, das nicht zufällig nur noch in einer luxuriösen Wohnung in der römischen Altstadt mit Blick auf die Kuppel von Sant'Andrea della Valle ihren einzigen gemeinsamen Schauplatz findet.
Ansonsten nämlich irrlichtert Clarissa tagsüber durch die Stadt, immer besorgt um ihre Absätze und dass sie womöglich in den Fugen des römischen Pflasters stecken bleiben könnten - jedem, der einmal in Rom gewesen ist, wird diese Frage beim Anblick einer schicken Römerin bestimmt schon durch den Kopf gegangen sein. Aber Clarissas Spaziergänge durch die Gassen des alten Rom vermessen nicht nur die römische Topografie, sondern auch das Wegenetz ihrer eigenen Ehe: die langen, verschlungenen Straßen zueinander hin und jene kurzen, kerzengeraden voneinander fort. Es gehört zu den großen Stärken Malerbas, dass er solche Riesenmetaphern immer noch um einen Einfall weiterspinnt. So auch hier. Die Bürgersteige, die Clarissa auf kurzem Wege von ihrem Ehemann weg- und zu ihrem Liebhaber Zandel - einem Kollegen ihres Mannes - auf kürzestem Wege hinführen, sind ausgerechnet dessen Spezialgebiet: "Kurz und gut, Zandel wurde ein internationaler Fachmann für Bürgersteige, und es schien, als wäre der letzte Gegenstand seines Ehrgeizes New York. Die Bürgersteige als letztes Mittel der verirrten Menschheit. Laufen, spazierengehen. Die Bürgersteige als Metapher, eine Metapher, auf der Zandel nebst seinem mit tausenden und abertausenden Euroscheinen vollgestopften Portemonnaie triumphal einherschritt."
Mit einer gewissen Ironie und Heiterkeit, deren Wurzeln offensichtlich in der Altersweisheit des Autors zu suchen sind, werden für den Leser auf unterhaltsame Weise die Untiefen einer Ehe ausgelotet, ohne dass Malerba hier irgendwie in den Verdacht geraten könnte, als Vertreter der von Elke Heidenreich so engagiert verteufelten "Altmännerliteratur" gesehen zu werden.
Unwillkürlich besinnt man sich am Ende auf jenen berühmten, auch im Roman erwähnten Aphorismus von Karl Kraus, nach dem die Psychoanalyse jene Geisteskrankheit sei, für deren Therapie sie sich halte - vielleicht, so mag man Malerbas Roman mit einem Augenzwinkern verstehen, ist auch die so vielbeschworene und staatlich geschützte Ehe (nur) eine Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.