Die Musik, die Mode und das Dilemma mit der Figur

Kerstin Grethers "Zuckerbabys" als Hörspiel

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sonja ist eine junge Frau aus der Provinz, die mit Anfang 20 ins große, hippe, trendige Hamburg kommt, um dort das Leben junger moderner Menschen zu leben. Sie ist Mediendesignerin, zeichnet Comics, nimmt Gesangsunterricht, denn Sonja möchte einmal Sängerin werden. Schnell lernt sie die vermeintlich richtigen Szenetypen kennen, unter anderem die Mädelsband "Muse abuse", für die sie auch ein Logo, ein Cover, Plakate und ähnliches zeichnen darf. Und dann ist da noch Johnny, der in einer super angesagten Boutique tolle Klamotten verkauft und eben auch im Musikbusiness ist. Das Techtelmechtel hält nicht lange, Sonjas Selbstzweifel nehmen rapide zu und beängstigende Formen an: Sie isst immer weniger, trainiert wie blöde und vernachlässigt Sozialkontakte, ihren Job, ihre Leidenschaften. Und das alles nur, weil sie sich an den role-models der modernen Pop- und Glamourwelt orientiert, die da Christina Aguilera oder Jessica Schwarz heißen und die so sagenhafte Bohnenstangen sind, dass frau heute gar nicht anders zu können scheint, als ebenso sein zu wollen, ja zu müssen. Diagnose: Magersucht.

Kerstin Grether, Jahrgang 1975, ehemalige SPEX-Mitarbeiterin und eine der wichtigen weiblichen Stimmen im Popjournalismus, ist selbst magersüchtig gewesen, hat ein viel beachtetes Buch über Magersucht, Popmusik, junge Frauen und Großstadtleben geschrieben, das 2004 ganz folgerichtig im kleinen und sehr engagierten Ventil Verlag in Mainz erschienen ist (wo ja auch seit Jahren die monografiengleiche Pop- und Poptheoriezeitschrift "testcard" erscheint). Dass die Taschenbuchlizenz bei Suhrkamp herauskam, passt auch, denkt man nur einmal an die gender studies-Reihe und die Bücher von Thomas Meinecke (und früher Andreas Neumeister). Die Autorin kennt also wesentliche Bereiche dessen, was ihre Protagonistin Sonja erlebt und erleidet, aus eigener Erfahrung - und das ergibt, gepaart mit ihrer gleichzeitig präzisen und auch lakonischen, manchmal beinahe sarkastischen Sprache, ein Buch, das weit weg ist: sowohl von Szenegeplapper, als auch von betroffen machenden Erfahrungsberichten. Und zu guter Letzt distanziert sich die Autorin von der so genannten chick-lit, jener von Ildikó von Kürthy und anderen jungen (vielleicht zu dünnen) Frauen dominierten "Sex and the city"-Literatur, die die immer gleichen Themen in immer gleich langweiligen Büchern recyclet.

Dass ein Text, der Songtexte zitiert und diese für die Beschreibung der Stimmungen seiner Protagonisten auflistet, der zudem in einem Milieu von Kreativität in einer Metropole handelt - dass dieser Text über kurz oder lang auch als Hörbuch vorliegt, verwundert nicht (jetzt fehlt nur noch der Film, vielleicht mit Heike Makatsch). Die Hörspielfassung mit einer sehr gut aufgelegten Jana Pallaske als Sonja ist gelungen. Sie versteht es sehr gut, Sonjas Stimmungswechsel, ihre Zweifel und Ängste, aber auch ihre kurzzeitigen Euphorie- und Freudeeruptionen umzusetzen. Auch die anderen Akteure machen einen guten Job, so dass die Produktion bei aller Härte des Themas kurzweilig und sehr unterhaltsam ist und unerwartete Einblicke in Schicksale und Lebensentwürfe bietet. "Zuckerbabys" ist ein wichtiger Beitrag und Kommentar zum Leben junger Frauen im Allgemeinen und in den Zwängen der Medienwelt im Besonderen. Und dabei nicht larmoyant oder anbiedernd, sondern authentisch und eigenständig.


Titelbild

Kerstin Grether: Zuckerbabys. 3 CD.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
244 min, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783821854533

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch