Erinnern Sie sich an die Antike?

Über die "Erinnerungsorte der Antike" von Elke Stein-Hölkeskamp und Karl-Joachim Hölkeskamp

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Rahmen für die "Erinnerungsorte der Antike" ist durch die Publikationen von Hagen Schulze (Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001) abgesteckt. Natürlich basieren auch deren Erörterungen zu den Begriffen "Erinnerung" und "Nation" auf den Vorarbeiten von Pierre Noras "Les lieux de mémoire" (Paris 1984 ff.). Grundlegend unterscheidet sich der Band von Stein-Hölkeskamp und Hölkeskamp daher nicht in Bezug auf den Begriff der "Erinnerung". Dieser wird in Bezug auf die Antike modifiziert und in Ansätzen erweitert, um auch für einen nicht den Begriff der "Nation" zugrunde legenden Ansatz verfügbar zu sein. Die Herausgeber bemühen sich dabei um den Begriff einer "intentionalen Geschichte", der die im Vergleich zu Hagen Schulze und Nora vorhandenen Differenzen kompensiert.

Fast 800 Seiten Lektüre stehen dem Leser bevor, wenn er sich einen Gesamtüberblick zur Thematik verschaffen will. Und um es gleich vorab zu sagen: Die Lektüre ist lohnend und nutzbringend. Wenn man die Veröffentlichungen zum Thema "Erinnerung" verfolgt, könnte man fast von einer "Erinnerungskonjunktur" sprechen. Aus eben diesen Veröffentlichungen zum kulturellen Gedächtnis und zur Erinnerung stechen die "Erinnerungsorte der Antike" hervor. Dabei ist es vor allem die entspannte Distanz zum Gegenstand, die auf eine konstruierte Aktualität verzichtet und manchmal sogar vermeintlich unsystematisch an das Thema herangeht - damit aber einen multiperspektiven Blick des Lesers auf den Darstellungsgegenstand erlaubt.

Die in dem vorliegenden Band aufgegriffenen Stichworte, die den Beiträgen zugrunde liegen, fangen zum Beispiel beim "Imperium Romanum" an, beschäftigen sich mit dem "Capitol", dem "Colosseum", mit Klassikern der Literatur wie dem "Gallischen Krieg" von Caesar bis hin zu Autoren wie Titus Livius und Vergil. Dabei verfallen weder die Herausgeber noch die Autoren in einfache Erklärungsmuster: "Die Gleichung 'Kolonisierung' ist gleich 'Romanisierung' ist nie aufgegangen, was in der Forschung auch längst anerkannt ist." Hinzu kommt die genaue Abgrenzung der Untersuchungs- und Betrachtungsgegenstände: "Zunächst geht es um konkrete Orte und Plätze [...]. Zugleich sind materielle wie literarische und 'metaphorische' Monumente in den erwähnten interdisziplinär orientierten und kulturwissenschaftlich inspirierten Altertums- und Geschichtswissenschaften als besonders interessante konkrete Untersuchungsgegenstände (wieder) entdeckt worden, gerade weil sie schon in der antiken römischen Gesellschaft und ihren verschiedenen Gegenwarten die oben genannten Funktionen hatten [...]". Diese Definition berücksichtigt die Perspektive des nicht unbedingt detailliert mit der Antike vertrauten Lesers und wird sogar noch um einen weiteren, leserfreundlichen Aspekt erweitert: "Dieselben antiken 'Erinnerungsorte' sind es aber auch, die im modernen 'kulturellen Gedächtnis' wichtige konkrete Marksteine, Orientierungsmarken und 'Aufhänger' darstellen für das, was bei einem interessierten Publikum an Wissen noch präsent ist und was nicht zuletzt ein spürbares neues Interesse an der Antike nährt." Dies ist es denn letztendlich auch, was den Band zu einem kompetenten Lesebuch zu "Erinnerungsorten der Antike" macht und für eine breite Leserschaft den Transfer der wissenschaftlichen Inhalte auf eine verständliche Ebene leistet.

Die Themen sind in sieben Blöcke gegliedert, die jeweils wichtige Teilbereiche der römischen Kultur repräsentieren. Im ersten Teil "Roma caput mundi" wird der Romulus-Mythos (Kurt A. Raaflaub) behandelt, man folgt als Leser dem Weg vom Kalender zur Geschichtsschreibung (Uwe Walter), Livius wird mit seinem Werk (Werner Dahlheim) vorgestellt, dem Capitol ein Abschnitt (Fernande Hölscher) gewidmet und das Forum Romanum (Tonio Hölscher) ist zusammen mit der Baupolitik des Augustus (Frank Kolb) und der 'Aeneis' Vergils (Reinhold F. Glei) ein Thema. In ähnlich dichter Struktur stellen die nachfolgenden sechs Abschnitte unter den Überschriften "Bellum iustum - Krieg und Sieg", "Memoria - Geschichte der großen Geschlechter", der vierte Abschnitt unter dem "Monumente der Monarchie", "Legionslager - Colonie - Stadt", "Die Götter und der eine Gott" und als siebenter und letzter Abschnitt "Geschichte(n) von Aufstieg und Fall" die weiteren Themen vor. Dabei wird im letzten Abschnitt der Blick der Nachwelt auf die antike Kultur thematisiert und damit die Verbindung zur Gegenwart geleistet. Im Mittelpunkt steht die Wirkung von Edward Gibbons "History of Decline and Fall of the Roman Empire" (Wilfried Nippel) und Theodor Mommsens "Römischer Geschichte" (Stefan Rebenich). Die Folgen der Rezeption dieser Werke sind für unser Bild von der Antike wesentlich verantwortlich.

Die Einbeziehung entsprechender Funktionen des kulturellen Gedächtnisses für römische Geschichte in der nachantiken Zeit macht die vorgestellten "Erinnerungsorte" für die Kultur- und die Mentalitätsgeschichte interessant. Die Herausgeber stellen ein Panorama der römischen Kultur und der sie durchdringenden Begrifflichkeiten vor. Dabei verweisen sie durchgehend kompetent und auf einem hohen Niveau auf die aktuelle Forschungssituation, die nahezu überall die Darstellungen beeinflusst und aktuelle Informationen zu jedem Abschnitt garantiert. Zwar wird manches nur im Hinblick auf Rom perspektiviert - hier hätte man sich manchmal einen umfassenderen Blick gewünscht -, aber dies wäre dann wohl eine wesentlich umfangreichere "Geschichte der Erinnerungsorte der antiken Welt".

Die neuen und manchmal erfrischend anderen Sichtweisen auf die Antike ermöglichen es, die verschiedenen Intentionen, die in Geschichtsschreibung liegen, gegeneinander abzugleichen und so Vergangenheit differenzierter wahrzunehmen. Dass bei einigen wenigen Beiträgen die thematische Vorgabe der "Erinnerungsorte" nur marginalen und nebensächlichen Charakter hat, ist zwar unschön, stört aber den Gesamteindruck des Bandes keineswegs. Zusammenfassend ein gut lesbarer, informativer, übersichtlicher, gut ausgestatteter und gemachter und für den Leser unterhaltsamer und nutzbringender Band.


Titelbild

Elke Stein-Hölkeskamp / Karl Hölkeskamp (Hg.): Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt.
Verlag C.H.Beck, München 2006.
797 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 340654682X
ISBN-13: 9783406546822

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