Literatur als Waffe

Die (deutsche) Literatur im 20. Jahrhundert in einem Sammelband von Hans Jörg Schmidt und Petra Tallafuss wieder einmal als Opfer diverser Totalitarismen ausgegeben

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wieder ein Sammelband mit zwölf Aufsätzen zum Themenkomplex Literatur und Totalitarismus im Dritten Reich, der DDR, der BRD und in der Sowjetunion. Wieder ein spannungsgeladener Untertitel à la "Literarische Öffentlichkeit im Spannungsfeld totalitärer Meinungsbildung". Wieder eine oft gestellte Frage: "Wie reagierte die deutsche Literaturwelt auf die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, auf die stets präsente machtpolitische Okkupation des Geisteslebens?" Wieder eine internationale Tagung im Februar 2006, vorrangig von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern deutschsprachiger Provenienz, wieder ein Dankwort, das verkündet: "Es war das Anliegen der Organisatoren, im Rahmen der interdisziplinären Auseinandersetzung mit der umfassenden Okkupation der Lebens- und Geisteswelt in totalitären Systemen bzw. der Eruierung des Verhältnisses von Geist und Macht im Totalitarismus gleichzeitig einen Beitrag zur Vernetzung innerhalb des Kultur- und Wissenschaftsstandorts Dresden zu leisten."

Wieder ein Verweis auf die Desiderate der literaturwissenschaftlichen Erforschung im Feld des polyvalenten Beziehungsgeflechtes der "Komponenten Literatur und Totalitarismus". Wieder ein Einführungsaufsatz, der zu dem Ergebnis kommt, dass Literaten und Schriftsteller nur Menschen seien, die "weder als Gralshüter der Wahrheit, noch als Gewissen der Nation taugen".

Wieder ein Beitrag mit Blick auf die Exilforschung, der die These (re)formuliert, dass das politische Exil für die Schriftsteller "zu einem Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse wurde", und wieder ein Vergleich von Johannes R. Bechers "Der große Plan" mit Ernst Jüngers "Der Arbeiter" mit dem Ergebnis, beide politische Lager - die Linke wie die Rechte - hätten ein "Bewusstsein der Verfalls- und Übergangszeit" in den Zwischenkriegsjahren entwickelt, wieder drei Aufsätze, die sich mit "Kunst als Waffe" beschäftigen, die dazu diene, Menschen zu beeinflussen und zu mobilisieren, sei es im Theater, im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller oder in der "nationalsozialistischen deutschen Literatur". Wieder die Werkanalyse von Thomas Mann und Hermann Broch, wieder der Blick auf die inzwischen unzählige Male widerlegte Neuanfangsthese einer "Stunde Null" im Jahr 1945 mit der unterstellten Sehnsucht aller Deutschen nach einem "geistig-moralischen Führer", wieder der Vergleich mit dem anderen pseudo-totalitären System, der Sowjetunion, wieder der abstrakte Vergleich mit der Lage von Schriftstellern in der DDR (Edeltraud Eckert, Thomas Körner, Gabriele Stötzer), wieder die These von der zum Untergang bereiten DDR der 80er-Jahre, deren politisch inspirierte Feiern "Analogien zu inszenierten Feierlichkeiten der Nationalsozialisten" besäßen, wieder der Blick der nordamerikanischen Germanistik auf Christa Wolfs Erzählung "Störfall".

Wieder ein akribisch edierter und insgesamt sehr beachtlicher Tagungsband mit einem Buchdeckel, der einen direkten Bezug zum Buchinhalt vermissen lässt - M.C. Eschers 1955 entstandene Graphik "Rind" wurde vom Topos des unsichtbaren Mannes inspiriert. Wieder eine anspruchsvolle Umsetzung mit ausführlichem Personenverzeichnis und umfangreichen Literaturangaben.

Und: Wieder nicht das Standardwerk der Totalitarismusforschung zur "Deutschen Literatur im 20. Jahrhundert".


Titelbild

Hans Jörg Schmidt / Petra Tallafuss (Hg.): Totalitarismus und Literatur. Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007.
208 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783525369098

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch