Entbehrlich

Annette Berrs Thriller "Die Stille nach dem Mord" unterbietet literarische Minimalanforderungen

Von Sandra LindnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Lindner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Annette Berr schrieb bisher meistens über Sex. Nun also einen Krimi. Man öffnet das Buch und sieht zunächst: Eine Danksagung, eine Anmerkung zur verwendeten Rechtsschreibung - Personenverzeichnis, Widmung, Prolog. Diese Kummulation von redundantem Beiwerk scheint gleichsam ein Sinnbild für das zu sein, was der folgende Roman für uns bereithalten wird.

Der Thriller "Die Stille nach dem Mord" - ob sich Berr hier ein (inhaltlich nirgendwo festzumachendes) Schlöndorff-Zitat anmaßen wollte, bleibt ungeklärt - führt in die ländliche Einöde weit abseits vom urbanen Raum. Ein Schauplatz, wo das Wetter schlecht, die Landschaft karg und die Menschen spröde sind. Die vierköpfige Familie Schuldt wohnt hier und betreibt einen Bauernhof. Man redet wenig und arbeitet viel. Unter der starren Organisation der immergleichen Arbeitsabläufe schlummert eine innerfamiliäre Fehde. Sohn Ole hat dem Hof bereits den Rücken gekehrt. Als gelynchte Tiere auf dem Hof gefunden werden und eine Frau aus einer Ferienhaussiedlung in der Nachbarschaft verschwindet, bekommen die Schuldtes ungebetenen Besuch - und der schützende Alltagstrott gerät aus den Fugen.

Diese Ausgangssituation erinnert an die Stücke von Harold Pinter, wo eingespielte Konstellationen durch die Ankunft eines Störfaktors in Menschengestalt erschüttert werden. Jener Ankömmling ist bei Berr eine Touristin namens Jana. Sie ist die Geliebte der aus der Feriensiedlung verschwundenen Frau Friederike. Die Schuldtes gewähren ihr Obdach, während Jana Nachforschungen anstellt. Nach einer Vermisstenanzeige beginnen die offiziellen Ermittlungen. Friederikes Leichnam wird verstümmelt aufgefunden. Die Untersuchung des Mordes mäandert fortan entlang diverser Neben- und Parallelhandlungen, die uns in die Gefilde von Sodomie, Zoophilie, lesbischem Sex, Gewalt, Mord und Totschlag führen. Und am Ende klärt sich alles auf.

Dies könnte durchaus unterhaltsam sein. Fehlende Raffinesse in der sprachlichen Gestaltung stellt jedoch das omnipräsente Hauptmanko des Romans dar. Das Lesen fühlt sich an, als säße man im Theater und würde Laien agieren sehen, deren Ringen um eine authentische Darstellung dominanter ist als die Geschichte, die sie erzählen wollen. Die unbeholfene Erzählstimme lässt einen natürlichen Lesefluss, eine Minimalanforderung an einen Roman, in weite Ferne rücken. Berrs Stil klingt wahlweise nach Tagebucheintrag: "Nein, nicht Selbsthaß, dieses Wort ist zu groß, zu leidenschaftlich, zu obsessiv... Gern behält sie den Überblick. Die Kontrolle. Die Macht. - Nein, es ist kein Selbsthaß, es ist schlicht Unsicherheit. Angst. Lebensangst.", und nach Bedienungsanleitung: "Dann setzte sich der Tierarzt steif auf seinen Drehstuhl, klickte sich über das Icon ,Arbeitsplatz' in die Festplatte D, und dort zu einem Ordner... den Ordner markierte er blau, klickte auf die rechte Maustaste, und dort auf das Feld löschen... Schließlich klickte er auf Abbruch." Diese dilettantische Art von Ausbuchstabierung simpler Sachverhalte, und das Buch ist voll davon, verärgert. Es wirft die Frage auf, wie dieser Text in die Druckerei gelangt sein und worin die Leistung des Lektorats bestanden haben könnte.

Auch mit kruden Details lesbischer Liebe, Berrs Steckenpferd, kann die Autorin narrativ nicht punkten: "Ohne Vorwarnung jagte sie eine Menge harter Zähne in den straffgespannten Schultermuskel... ,zerfetz' mir die Schlagader, nimm mein viel zu schweres Blut'... sie... quälte das geschundene harte Loch... schnittig glitt sie... hinein in die sich nun doch heftig aufbäumende Frau". Eine Stallszene wiederum klingt, als hätte Berr einen Landwirt zur Praxis des Kuhmelkens befragt und das neugewonnene Wissen eins zu eins in den Roman eingearbeitet. Und auch die Gestaltung der Figuren leidet unter den begrenzten sprachlichen Mitteln. Der schwerfällige Patriarch Karsten Schuldt spricht, wenn er denn spricht, eine Sprache, die nicht zu seiner Figur passt: "Deine Vorstellungen sind so absurd, daß es peinlich ist... ehrlich gesagt... mal unter uns, ich glaube, wenn wir alle zusammenhalten würden, dann könnten wir es schaffen".

Die Autorin hat es nicht geschafft, ihrem Plot Dichte zu verleihen. Der einzige Handlungsstrang, der Potenzial birgt, ist das Aufeinandertreffen von Jana und Familie Schuldt. Die "Schuldfrage", die im Rahmen dieser Begegnung verhandelt werden könnte, bildet aber nur den Ausgangspunkt für einen weiteren Subplot, der irgendwo auf einer der 448 Seiten auf der Strecke bleibt. Die Kriminalromane von Hennig Mankell etwa hinterlassen ein nachhaltig verstörendes Gefühl, wenn es um Menschenhandel, sexuellen Missbrauch oder religiösen Wahn geht. Das bei Berr den Hintergrund bildende Thema Zoophilie, wahrscheinlich wegen seines glamourös-tabuüberschreitenden Beigeschmacks gewählt, ist als Sujet allerdings entbehrlich. So wie das ganze Buch.


Titelbild

Annette Berr: Die Stille nach dem Mord. Thriller.
Konkursbuchverlag, Tübingen 2007.
446 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783887693626

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