Machtbewusste Spieler im Kunstbetrieb

Eine etwas andere "Gebrauchsanweisung für Moderne Kunst" von Christian Saehrendt und Steen T. Kittl

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das kann ich auch!" Diesen Satz hört man häufig, wenn ein Normalbürger, der keine Ahnung von Kunst hat, vor einem Bild steht, das er nicht versteht. Ein schwarzes Quadrat beispielsweise. Farbfeldmalerei. Abstrakte Kunst: "Das kann ich auch!" Aber er kann es eben nicht. Es ist ein Vorurteil, dass man all das könnte. Es ist aber auch eine passende Verurteilung all des Unsinnigen, das manchmal in der Kunst und noch viel mehr in der Kunstszene passiert. Denn das könnte man wirklich auch: sich selbst stilisieren, wie Jonathan Meese oder Thitz, und in kurzer Zeit Millionen verdienen. Ideen haben und sie als Kunst ausgeben, während sie doch nur Ideen sind.

Aber eine "Gebrauchsanweisung für Moderne Kunst" ist das Buch dennoch nur zum Teil und ganz anderes geworden, das Christian Saehrendt und Steen T. Kittl geschrieben haben. Am ehesten ist es eine 220 Seiten lange Glosse rund um den Kunstbetrieb, die Galeristen, Sammler und Künstler, die sich mit der modernen Kunst beschäftigen. Eine wunderbar ironische, oft sehr polemische, häufig absolut treffende und manchmal etwas über das Ziel hinaus- und danebenschießende Abrechnung mit einem Betrieb, der ein schönes, hermetisch geschlossenes Hochdrucksystem ist, ein Betrieb voller Seltsamkeiten, Falschblüten und Dampfplauderer.

"Die meisten Leute verstehen nichts von Kunst. Wichtig ist, ihnen nichts zu erklären." Das sagen nicht die Autoren, sondern der Skandalkünstler Santiago Sierra. Und so ist es dann auch. Denn die meisten spielen mit in diesem System, die Kunst nicht zu erklären, sondern sie möglichst im Vagen zu lassen, sich als Kenner auszugeben, um anerkannt zu bleiben und mitspielen zu dürfen.

Natürlich erzählen Saehrendt und Kittl auch die Geschichten von den Putzfrauen, die Beuys' Badewanne säuberten, und dem Designer Andy Warhol, dem der Zoll nicht abnehmen wollte, dass seine "Brillo Boxes" Kunst waren. Für ihn waren es Kartons für Topfkratzer, die ordentlich verzollt werden müssen. Im Buch heißt es weiter: "Im Gegensatz zu Otto Normal-Betrachter ist er [der Kunstexperte, d. A.] nur geübter darin, seine Ratlosigkeit hinter Wortkapriolen zu verbergen und anderen ihre Unwissenheit um die Ohren zu hauen."

Immerhin beweisen die beiden Autoren vor allem in den ersten Kapiteln sehr viel Verständnis für die moderne Kunst und erklären viele Künstler einfühlsam und prägnant. Über die "Kunst, die provoziert", schreiben sie, dass sich die Provokation natürlich längst leergelaufen hat, wenn sie in Galerien stattfindet: "Ein Theaterstück erzielt bekanntlich ganz andere Effekte, wenn es in einer vollen U-Bahn gespielt wird, anstatt vor gelangweilten Theaterabonnenten, für die So-tun-als-ob verabredete Grundlage der Veranstaltung ist." Sie schreiben über die Provokation der abstrakten Malerei von Agnes Martin, Ad Reinhard, Jo Baer, über die inszenierte Fotografie, die Videokunst und die Körperkunst: "Die Beispiele zeigen, wie schwierig es ist, Kunst dem Geschmack nach zu beurteilen. Denn schließlich traten die Künstler mit ihren Happenings nicht auf, um dem Publkum zu gefallen."

Danach geht es in dem Buch aber wirklich um den Betrieb. Und da rechnen sie kräftig ab. Kein Skandal wird ausgelassen. Dass ein Sammler aus Las Vegas sein Picassobild zufällig mit dem Ellbogen aufschlitzte, dass ein Japaner seinen Van Gogh bei seinem Tod mit verbrennen lassen wollte: Nichts wird vergessen.

Instruktiv und dabei noch sehr viel polemischer ist dieser Teil, wenn es um die Sammler und die Galeristen geht. Jedes Klischee der Selbstdarstellerkunstszene wird genüsslich beleuchtet, aufgeblasen und aufgespießt, dass es mit einem Knall zerspringt. Jeder, der auch nur drei Mal in eine Galerie gegangen ist, wird die Szenerie wieder erkennen: "Unruhig schweifen die Blicke der hungrigen Künstler und Händler im Raum umher, auf der Suche nach einem Gesprächspartner, der nützlicher sein könnte als der, mit dem man gerade Belanglosigkeiten austauscht."

Bei einer Kunstverkaufsaktion "rangelten (die Sammler) wie weiland die Hausfrauen an den Wühltischen, wenn im Karstadt-Neukölln der Sommerschlussverkauf begann". Auch die Reichen des Jetsets bleiben vom Spott nicht verschont, wie Francesca von Habsburg, die "irgendwann gelangweilt war und eine neue spirituelle Berufung suchte. Immer nur Schampus, Shopping und Spritztouren auf Hochseeyachten - das hält niemand lange aus. Erst pilgerte sie zum Dalai Lama, dann fand sie endlich Erleuchtung in der zeitgenössischen Kunst."

Beleuchtet wird auch die Praxis, den Wert der Kunstwerke gezielt zu steigern, indem man sie durch Kunstmuseen schickt, die dann in einem Katalog das Werk erklären und es damit adeln. Später kann, wie Flick oder Saatchi das machen, das Werk für teuer Geld wieder verkauft werden. So wird ein Sammler zum Investor, zum Spekulanten. Und: "Wie die Großsammler sind auch die Spitzengalerien mit ihren weltweiten Verbindungen und Partnerunternehmen machtbewusste Spieler im Kunstbetrieb."

Die beiden Autoren decken jeden Winkel des Betriebs ab, denken über "Kunstbanausen oder Kulturschwuchteln" nach, listen "Worthülsen der Kunstkritiker" auf, reden über die "zähe Soße des Zeitgeschmacks", reflektieren aber auch, ob "Kunst für die Augen oder für den Verstand" sei und über den "Tabubruch als Geschäftsroutine". Und auch wenn sie durch ihren polemischen Ton oft ein wenig über ihr Ziel hinausschießen, so haben doch, leider, allzu oft Recht. Der Betrieb und der Markt - die ja beide mit der Kunst an sich nur herzlich wenig zu tun haben - sind ein Filz, ein Dschungel mit mannigfachen seltsamen Blüten und vielen Abhängigkeiten, die der Kunst nicht besonders gut tun.

Entstanden ist insgesamt ein sehr polemischer, desillusionierender Führer durch die moderne Kunst, vor allem aber durch den zeitgenössischen Kunstbetrieb. Pflichtlektüre!


Titelbild

Christian Saehrendt / Steen T. Kittl: Das kann ich auch. Gebrauchsanweisung für Moderne Kunst.
DuMont Buchverlag, Köln 2007.
248 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783832177591

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