Habsburger Klatschgeschichten

Anna Ehrlich plaudert über austriakische Ausschweifungen der letzten zwei Jahrtausende

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer in Anna Ehrlichs Sittengeschichte Österreichs auf besonders schamlose und saftige Enthüllungen wartet, der wartet vergeblich. Wer allerdings wissen möchte, mit wem die Fürstengeschlechter jenseits der Alpen so fremd gingen, der wird mit einer sehr detaillierten Übersicht aller "Regentenpaarungen" verwöhnt. Ihre intime Reise in die historische Sittenlandschaft Österreichs führt sie jedoch zunächst in die Bordelle der römischen Eroberer, die am Rande der Heereslager entstanden. Auch wirft sie Licht in das dunkle Früh- und Hochmittelalter, das nicht nur die edle, sondern auch die ziemlich derbe Minne in den öffentlichen Badestuben kannte. Ihr Hauptaugenmerk allerdings gilt dem 15. bis 20. Jahrhundert, also dem Auf- und Abstieg der Habsburger Dynastie.

Für diesen Zeitraum weiß sie en detail zu berichten, welcher Fürst oder welche Fürstin wie attraktiv und wie liebeshungrig gewesen ist, wie viele Liebhaber und Liebhaberinnen am Hofe ein und aus gingen und wie viele Bastarde die unersättlichen Kaiser in die Welt gesetzt haben. Auch über die staatliche Unterdrückung und Duldung der Prostitution verliert die promovierte Juristin und Historikerin einige interessante, wen auch nicht allzu neue Worte. Je frommer der Fürst, desto strenger die Sitten. Je freizügiger der Kaiser, desto frivoler die erotischen Umgangsformen. So sieht bei ihr in etwa die Bilanz der jeweils vorherrschenden Sittencodices aus.

Gleichwohl deckt sie mit investigativem Charme die Doppelmoral des Kaiserhauses auf, deren adelige Sprösslinge sich selbst zu Zeiten der moralinsauren Maria Theresia den ein oder anderen Seitensprung gönnten oder später auch gleichgeschlechtliche Beziehungen pflegten. Wie etwa der jüngste Bruder Kaiser Franz Josephs, der Erzherzog Ludwig Viktor alias "Bubi" alias "Luziwuzi". Das sind alles wunderbare zu konsumierende Histörchen, die sich aber nie zu einem wirklich vollendeten Sittengemälde verdichten. Die auf dynastische Beziehungsdramen spezialisierte Autorin hangelt sich den Amouren des einen Fürsten zu denen des anderen, streut hier und da ein paar zeitgenössische Bekenntnisse und schlüpfrige Verse ein, berichtet von stadtbekannten Huren und deren Lebenswandel, von armseligen Absteigen und elitär-erotischen Etablissements.

Doch die sozial- wie mentalitätshistorischen Hintergründe der Prostitution werden meist nur am Rande oder in relativ kurzen Zwischenkapiteln abgehandelt. Ein genauer Blick hinter die Kulissen der käuflichen Liebe, wie sie ihn etwa für die erste Hälfte des 19. Jahrhundert gewagt hat ("Die Kehrseite des Biedermeier") bleibt Episode. Statt dessen verharren ihre Geschichten meist in einem wohltemperierten Plauderton, den man von historischen Stadtführungen kennt. Das soziale Elend der Dirnen und die Brutalität dieses Geschäfts verschwindet hinter den süffisant erzählten Liebeleien der höheren Gesellschaft. Die Abhängigkeiten und Notlagen der Freudenmädchen kommen zwar zur Sprache, werden aber in ihrer in ihrer Drastik nie richtig ausgemalt. Bei ihr weht vielmehr der morbide Charme des Fin de Siècle. Und genau in dieser Epoche endet bedauerlicherweise ihre Zeitreise, mit einem kurzen Exkurs zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des titelgebenden Romans "Josefine Mutzenbacher". Für die sozialhistorisch spannende Periode nach 1918 bis in die Gegenwart hat sie im "Epilog" nur ein paar dürre Sätze übrig.

Das ist inhaltlich als auch interpretatorisch zu wenig für eine "Österreichische Geschichte aus erotischer Sicht". Wer eine kulturhistorisch fundierte und anregende Darstellung zum Thema sucht, dem sei noch immer Eduard Fuchs' kurz vor dem Ersten Weltkrieg erschienene "Illustrierter Sittengeschichte" empfohlen. Hier wird man gewitzter und gescheiter aufgeklärt.


Titelbild

Anna Ehrlich: Auf den Spuren der Josefine Mutzenbacher. Eine Sittengeschichte von den Römern bis ins 20. Jahrhundert.
Amalthea Verlag, München 2005.
272 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3850025268
ISBN-13: 9783850025263

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