Fachliche Zuverlässigkeit
Die Buchreihe "Europäische Komponistinnen" vom Mittelalter bis zur Gegenwart
Von Corinna Herr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseExistiert mit den Seiten von "MUGI - Musik und Gender im Internet" seit einiger Zeit eine der ersten Anlaufstellen für die Suche nach Informationen über Komponistinnen, wird nun mit einer Buchreihe über "Europäische Komponistinnen" auch auf dem Buchmarkt eine wichtige Lücke in der musik- und kulturwissenschaftlichen Frauen- und Genderforschung geschlossen. Nach früheren, durch Fehler und Ungenauigkeiten zum Teil durchaus als problematisch anzusehenden Komponistinnenlexika werden in dieser auf 24 Bände angelegten Reihe, aus der bisher sechs Bände erschienen beziehungsweise im Druck sind, pro Band je eine Komponistin in einer Auswahl vom Mittelalter bis zur Gegenwart im kulturhistorischen Kontext ausführlich und wissenschaftlich zuverlässig behandelt. Erwartet werden unter anderem noch Bände über Augusta Holmès, Pauline Viardot, Ethel Smyth, Louise Farrenc und Lili Boulanger.
Gerade in der Frühen Neuzeit waren komponierende Frauen noch eine größere Selbstverständlichkeit als im 19. Jahrhundert, was die Bände über Wilhelmine von Bayreuth (1709-1758) und Maria Theresia Paradis (1759-1824) - als Vertreterin eher des späten 18. denn des frühen 19. Jahrhunderts - sowie im folgenden Bände unter anderem über Elizabeth Jacquet de la Guerre zeigen (werden). Nicht nur die komponierende Schwester Friedrichs des Großen, Wilhelmine, die eine 'musikalische Grundausbildung', wie sie allen adligen Frauen zuteil wurde, weit hinter sich ließ, sondern auch professionelle Musikerinnen, wie de la Guerre oder Francesca Caccini waren nicht ungewöhnlich. Wilhelmine von Bayreuth hatte allerdings wohl mit "zentralen Traumata" zu kämpfen, die die Autorin der Biografie, Ruth Müller-Lindenberg, als "verunsicherte Weiblichkeit und das Verstricktsein in familiär-monarchische Interessen" definiert. Hier ist auch offenbar ein wichtiges Telos der Darstellung zu suchen, durch das sich die Autorin als Teil einer älteren Frauenforschung identifiziert, die eher 'Leidensgeschichte' schreiben möchte. Wichtig und interessant sind aber die Analysen des weithin unbekannten Werks der adligen Komponistin, so beispielsweise ihres höfischen dramma per musica "Argenore" (1740).
Während die blinde Musikerin und Komponistin Paradis trotz ihrer Behinderung in nahezu allen musikalischen Gattungen brillierte, hat sie auch ihr eigenes Schicksal thematisiert und wohl öffentlichkeitswirksam eingesetzt, so beispielsweise durch die Vertonung des Textes von Konrad Pfeffel "Ich war ein armes Würmchen: Lied auf die Geschichte der Blindheit des Fräuleins Paradis", das 1785 im Wienerischen Musenalmanach gedruckt wurde.
Auch und besonders im 19. Jahrhundert bieten sich für komponierenden Frauen deutliche öffentlich-gesellschaftliche - wie auch private - Widerstände, wie die Bände über Hensel und Schumann zeigen, wenn gerade die Figur Clara Schumann auch zeigt, wie wirkungsvoll eine Selbst-Inszenierung, gerade als 'Hüterin' des Erbes des großen Robert Schumann, sein konnte. Auch die 'Heroengeschichte' in Wissenschaft und Kulturgeschichtsschreibung im 19. und einem Teil des 20. Jahrhunderts hat nicht Fanny Hensel, sondern ihren Bruder, Felix Mendelssohn-Bartholdy und nicht Clara, sondern Robert Schumann, nicht die Paradis oder 'Nannerl', sondern ihren Bruder Wolfgang Amadeus Mozart in unseren Blick gerückt. Dieser Blick wird - auch durch die Reihe "Europäische Komponistinnen" nun deutlich erweitert. Für die fachliche Zuverlässigkeit der Bände bürgen auch die renommierten Herausgeberinnen Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld. Nicht zuletzt die gute Lesbarkeit ist ein wichtiges Kriterium der Reihe, die sie somit auch für ein an kulturwissenschaftlichen Fragestellungen interessiertes Nicht-Fachpublikum attraktiv macht.