Von Piratinnen und Kapitänen

Marlon Brando hat einen Roman geschrieben, beinahe

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Roman von Marlon Brando? Wer da nicht zugreift als Leser (und Rezensent), der hat keine schönen Stunden im Kino und vor dem Fernseher verbracht. "Der letzte Tango von Paris", "Der Pate I", "Apocalypse Now" - allein die Filme seiner späten Karriere zeigen den Schauspieler Brando in seiner Extraklasse. Und dabei gehören seine frühen Filme, die seinen Ruhm begründet haben, noch nicht einmal zum normalen Filmpensum der Kinogeher, die sich nicht selbst als Cineasten bezeichnen, darunter "Endstation Sehnsucht" und "Meuterei auf der Bounty". Nun also ein Roman, der ihn zum Autor haben soll.

Ja, Brando ist der Autor dieses Romans, zumindest ist er einer der Autoren, die daran mitgewirkt haben - wenn das nicht nach Brechtmaßstäben modern ist! Im engeren Sinn ist der Roman in Zusammenarbeit mit dem Filmautor und Regisseur Donald Cammell entstanden. David Thomson, der auch das Nachwort zur nun von Mare vorgelegten deutschen Übersetzung geschrieben hat, hat das Fragment zum Buch gemacht und das letzte, im Entwurf überlieferten Kapitel drangestrickt. So ist "Madame Lai" - der Text, der hier Gegenstand der Lesebegierde sein soll - in der Tat ein Roman von Marlon Brando, und am Ende doch nicht - ganz. Aber darauf kommt es nicht an. Nehmen wir also Abschied vom Mythos des allein selig machenden Autors - um ihn auf diese Weise umso mehr zu feiern.

Denn der Roman ist es wert. Ja, "Madame Lai" ist auf den ersten Blick eine Schmonzette, das Buch hat einen kitschigen, das Filmplakat von "Sayonara" (1957) abbildenden Umschlag (den ich auf Anhieb gemocht habe), und auf den zweiten Blick ist das auch nicht anders: Ein in Schottland geborener amerikanischer Kapitän lässt sich im chinesischen Meer mit der Piratenkönigin ein, um mit ihr den Coup ihrer beider Leben zu landen und am Ende auch noch guten Sex zu haben (denn darauf läufts hinaus). Der Überfall auf das Silber transportierende Schiff gerät zwar zum gigantischen Reinfall, wären da nicht die Perlenhändler, die sich gleichfalls auf dem Schiff befinden und aus dem Fiasko noch einen Riesenakt machen. Aber der Captain - Anatole "Annie" Doultry sein Name - haut seine chinesische Kumpanin Madame Lai am Ende ganz gewaltig über's Ohr und setzt sich mit der Beute ab. Tropische Hitze, Rassenmix, maritime Szenerie, bitterschwarze Piratenromantik, Gewalt, Sex - alle notwendigen Zutaten einer wunderbaren Erzählung, die Spaß verspricht und auch hält, sind hier zu finden.

Die Geschichte, die zu diesem Buch führt, ist allerdings selbst wieder erzählenswert und gehört zu den gern gehörten Background-Stories, mit denen sich ein normaler Romanschreiber nur ausnahmsweise schmücken kann. Wenn man dem Nachwortschreiber David Thomson glauben darf, dann kannten sich die beiden eigentlichen Autoren, Brando und Cammell bereits seit den 1950er-Jahren. Aber erst in den 1970er-Jahren entwickelte sich die Bekanntschaft zur engen Freundschaft weiter, die zeitweilig nur dadurch getrübt wurde, dass Cammell eine nachbarliche, sehr jugendliche Freundin Brandos, die damals 14-jährige China Kong (dieser Name!), in eine Affäre verstrickte und vier Jahre später, 1978, auch heiratete. Die Verstimmung war freilich nicht von Dauer - schon 1979 schlug Brando, der wie immer voller Tatendrang und unvollendeter Projekte war, Cammell ein gemeinsames Projekt vor, das eben unter dem Titel "Madame Lai" und als Roman endlich auch auf deutsch vorliegt. Bereits im selben Jahr wurde eine erste Prosafassung von 165 Seiten Länge fertig gestellt. Das Ganze sollte die Basis für eine Verfilmung werden, aber Brando zögerte anscheinend, die Story anzubieten. Allerdings hatte Brando nichts dagegen, dass Cammell in den Jahren 1982/83 aus dem ersten Teil des Skripts einen Roman machte. Wenn der denn ein Bestseller werde, könne man mit dem Geld ja den eigentlich geplanten Film produzieren, zitiert Thomson Brando. Ein Einschätzung, die zumindest vom Verlag Pan geteilt wurde. Immerhin wurden für das Buch 100.000 Dollar als Vorschuss fällig, was auch zu Beginn der achtziger Jahre eine Menge Geld war. Brando aber, der das Manuskript durchsehen und mit weiterentwickeln sollte, verweigerte die weitere Zusammenarbeit. Cammell war verärgert. Das Buch blieb liegen, bis es dann von Thomson auf der Basis recht genauer Notizen und Vorgaben für das Schlusskapitel fertig gestellt wurde. Ein echter Buchbastard also, hervorgebracht von mindestens drei Autoren, von denen der eine ein berühmter Schauspieler, der zweite ein begabter Maler und Regisseur von Rang und der dritte vor allem ein Filmhistoriker ist.

Dass Brando die Lust verlor, an "Madame Lai" zu arbeiten, ist indes kein Sonderfall in der Biografie des großen Stars, sondern eher die Regel. Tatendrang und Ideenreichtum standen einem Mangel an Durchhaltevermögen gegenüber, der die gesamte Karriere Brandos kennzeichnet. Das dem Roman vorangestellte biografische Porträt, das Truman Capote ursprünglich 1957 für den "New Yorker" geschrieben hat, zeigt Brando denn auch in seiner ganzen Herrlichkeit. Fürwahr ein "Fürst in seinem Reich", wie der deutsche Titel heißt (allerdings hier in einer späteren Fassung einem Erzählband entnommen und auch kein Vorwort, sondern vor allem ein außergewöhnlich guter Text, den man nicht hätte tarnen brauchen). Wer denn an dem Gemeinschaftswerk der Herren Brando/Cammell/Thomson keinen Gefallen findet - sei es aus Mangel an Begeisterung für Piratenromantik oder maritime Schmonzetten - der kann sich wenigstens an dieser Perle amerikanischer Reportagekunst erfreuen. Zu hören gibt es das Buch mittlerweile auch bei Hoffmann & Campe - vermutlich aber ohne Capotes Text, was zu bedauern wäre.


Titelbild

Marlon Brando / Donald Cammell: Madame Lai. Vorwort von Truman Capote.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gregor Hens.
Mare Verlag, Hamburg 2007.
432 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783866480582

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