Campus aus der Froschperspektive

Manuel Hartung hat auch einen Uni-Roman geschrieben

Von Kay ZiegenbalgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Ziegenbalg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manuel Hartung, der jüngste Redakteur, den die ZEIT jemals einstellte, hat einen Roman geschrieben. Es ist "Der Uni-Roman" und ein Vergleich mit Dietrich Schwanitz' "Campus" erscheint anfangs unfair gegenüber dem jungen Debütanten. Doch am Ende stellt Hartung genau diesen Bezug her und will sich messen.

Fangen wir von vorn an: Der Aufhänger für Dietrich Schwanitz' "Campus" ist eine Affäre zwischen dem Kultursoziologen Hanno Hackelmann und einer Studentin, die Barbara Clauditz heißt. Über die Affäre wird sie zu "Babsi" und bleibt so in Hannos zwanghaften Gedankenketten mit B hängen. Der Roman steuert auf eine Katastrophe zu. Hannos Ehe droht zu scheitern und Babsi schwärzt ihn wegen ihrer angeblichen Vergewaltigung bei der Frauenbeauftragten der Universität an. Soweit, so abgedroschen.

Was diesen Roman nun lesenswert macht, ist das ganze Drumherum. Schwanitz karikiert die akademische Landschaft als trieb- und intrigengesteuerten Moloch, der eine Horde Neandertaler, äh Studenten versorgen und irgendwie zum Abschluss bringen muss. "Ich weiß nicht, ob ich da drauf abfahre, das ist alles so formal. So wenig inhaltlich. So irgendwie nichts Gefühlsmäßiges", kommentiert eine Studentin das Referatsthema. Das universitäre Leben gestaltet Schwanitz als Kindergarten, in dem Fremdwörter beherrscht werden. Gewürzt wird diese eigentlich abgrundtiefe Textwelt mit großspurigem Humor und einem belesenen Erzähler. Es ist ein gelassenes Vergnügen mit gerade soviel Augenzwinkern, dass die Brisanz der Handlung noch präsent bleibt.

Dass dieser Text "Campus" heißt, ist völlig gerechtfertigt durch seine Sprache, parodierte Jargons und die implizite Wissenschaftlichkeit der Dialoge. Der Brennpunkt dieses Komplexes ist der Student Martin Sommer, der das Examen schmeißt, seine Freundin verlässt und damit eine Lebenslüge hinter sich bringt. Er wird Journalist und kann sofort mit einer Story über die sexuelle Nötigung im soziologischen Institut punkten. Diesen Artikel nutzt Schwanitz als Anlass einer dramaturgischen Zusammenführung aller Figuren, denn das "Journal" lesen alle gleichzeitig. Es ist sehr interessant zu sehen, wie die Energie, die beim Verglühen des Examenskandidaten Sommer freigesetzt wird, als Seite-3-Stinkbombe in die Universität zurückkehrt.

Und Hartung? Hat sich viel vorgenommen und hat solch geschickten Boomerang-Konstrukten nicht viel entgegenzusetzen, außer der üblichen Adoleszenz-Logik. Etwas über zehn Jahre nach dem ersten beachteten Universitätsroman aus deutschen Landen heißt sein Buch: "Der Uni-Roman" - schlechthin? Die Perspektive eines Studienanfängers zu wählen, rechtfertigt den Titel ja schon in einem Punkt. Die unfertige Sicht geht einher mit der Rede von der Uni, der verkürzten. Ein Roman ist es auch. Das Genre darf alles, nur nicht scheitern. Bleibt noch ein Punkt. Ist das der Uni-Roman? Das ginge zu weit. Der Campus ist die Begehungsfläche, von der aus Schwanitz in die Biotope der Universität ausschwärmend erzählt. Hartungs Protagonist aber geht nicht von einem Raum, sondern der subjektiven Froschperspektive aus und erkundet so die universitäre Welt.

Spezifische Elemente seiner geschriebenen Welt, die Schwanitz bis in die Psychogramme der Figuren durchsetzt, ersetzt Hartung durch Allerweltsmuster, die das Stilistische des Textes aus ihm selbst heraus rechtfertigen sollen. Das heißt natürlich nur, dass diese Muster eben in allen Welten außerhalb der Universität auch auftreten können. Durchkonstruiert wurden die Konflikte des Protagonisten durchaus.

Das Problem an diesem Uni-Roman ist seine Sprache. Als nach 10 Seiten das erste Mädchen lächelt, heißt es schon: "Die Falte gibt dem Gesicht etwas Asymmetrisches, fast Schiefes." Später: "Hinter der großen Drehtür blinken rote LCD-Buchstaben auf schwarzem Grund und zeigen die kulinarische Variationsbreite der Mensamenüs an." Wie viele Fehlbezüge kann ein Satz beinhalten? Aber das gehört vielleicht alles zu dieser Figur Markus Rüttgers, der irgendetwas Entscheidendes fehlt - im Wortsinne: Ganz klassisch plagt ihn die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen; Freiheit zu beanspruchen. Er sieht das Richtige und versteht seine Umwelt durchaus. Aber nichts folgt.

Unter Prekariat versteht er Unterschicht. Sein Traumjob ist es, unter anderem, bei der UNO zu landen. Gegen Streber hat er aber was. Ebenso wie er etwas gegen alle hat, die sich unter seinem persönlichen Mittelmaß befinden. Hier fehlt jede Kontur, und die bringt dieses Semester auch nicht hervor. Den Konterpart nimmt Anna Schnitzler ein, die rein zufällig besonders gern Arthur Schnitzler liest und nach dem Motto lebt: "Manchmal ist die Flucht in die Vergangenheit die wahre Zukunftsgewandtheit." Entsprechend bedient sie sich gelegentlich der Formulierungen des 19. Jahrhunderts, was unserem Rüttgers sehr gefällt.

Alles Weitere ist schon jetzt klar. Retardierend wirkt, dass Anna vergeben ist. Sie steht für die Lethargie ihrer Generation und negiert diese, indem sie das Postulat von der mildernden Vergangenheit hochhält. Das hilft aber Markus nicht weiter. Wo kritische Töne fallen, verharrt er in Zustimmung und lässt sich berieseln. Sein Problem nach dem ersten Romandrittel: "Sie hat einen Freund, ich habe keine Freundin, und mein Mitbewohner hatte Frauenbesuch."

Die Welt wird untergehen! Gleichzeitig wird die Sprache zum Problem der Figuren. "Alle sind neu, viele sind allein, manche sind einsam, doch niemand, absolut niemand schickt sich an [...] miteinander zu reden." Wie gesagt: Erstes Semester. Der Protagonist und Ich-Erzähler ist damit in seiner Welt. Das Finale macht Hoffnung. Annas Vergangenheitsdiktum löst sich auf, als sie Markus eröffnet, es gäbe gar keinen Mann an ihrer Seite, sondern ihre Vergangenheit sei frei erfunden, um sich nach einer traumatischen Beziehung mit Abtreibung den Männern entziehen zu können. Daraus jedenfalls hätte ein guter psychologischer Roman werden können.

Zwischen "Campus" und "Uni-Roman" sind 1.500 Professuren in Deutschland verschwunden. Würden neue Professuren eingerichtet, müssten wegen der Kapazitätsverordnungen wiederum neue Studenten zugelassen werden. Sollte dies Hartungs Verlagerung des Genres hin zum Studi etwa als realistisch ausweisen können? Bei Schwanitz wird die Studentenschaft mehrfach als - zusammengefasst - stammelnder Haufen bezeichnet. Hartungs Studenten sind schon mit allem überfordert, was vor dem Gestammel im Seminar kommen kann.

Das erste Semester bringt Markuss dann doch ganz gut über die Runden. Nach ihm wird Frau Barbara Clauditz ins Prüfungszimmer gerufen - ein Seitenhieb, der eine Nummer zu groß ist. Mit diesem Roman hat sich ein begabter junger Journalist seinen Studienaufenthalt in den USA finanziert. Geübt hat er schon im UniSPIEGEL, wo seine Kolumne namens "Bonn-Log" aus dem studentischen Leben berichtete. Doch dann, so das Nachwort, habe ihm die "ausschweifende Einbildungskraft eines hungrigen Poeten" (Ja: Lenz!) zu diesem Roman verholfen. Dichtung ist nicht gleich Poesie.


Titelbild

Manuel J. Hartung: Der Uni-Roman.
Piper Verlag, München 2007.
222 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783492249225

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