Hierarchie der Sinne

Zur Haptik und Taktilität im Medium Film

Von Angela KrewaniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Angela Krewani

Haptik beschreibt die sinnlichen Kompetenzen des Menschen, Schmerz und Erfahrung von Bewegung eingeschlossen. Taktilität bezieht sich auf die von den Sinnen geleisteten Komponenten, also das Greifen, Fühlen, Tasten, Riechen, Schmecken und Hören. Verstehen wir Medien als apparative Hilfsmittel menschlicher Kommunikation, so beruhen viele Medien auf der haptischen Kompetenz körperlicher Erfahrung: die mündliche Äußerung bedarf der Stimme wie des Hörens, die Schrift der Sensibilität der Hand, die den Stift über das Papier gleiten lässt. Im Laufe der technischen Differenzierung von Medien konnten sich im 19. Jahrhundert Fotografie und Film als Leitmedien etablieren, deren haptische und taktile Anteile stark eingeschränkt waren, indem sie lediglich das Auge involvierten. Damit wurden andere Formen der taktilen Mediennutzung marginalisiert. Die historische Entwicklung des Mediums des Films dokumentiert diesen Prozess, der sich von einem die Sinne umfassenden Jahrmarktphänomen in seinen Anfängen zum ausschließlich visuellen Medium des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Formen der Takitilität des Films wurden und werden im Zuge dieser Entwicklung beständig in den Hintergrund gestellt und kulturell abgewertet.

Frühe Formen filmischer Taktilität waren spätestens in den 1930er-Jahren aus den Diskursen über Film verschwunden. Insbesondere Walter Benjamins Schriften über den Film belegen diesen Umstand. Im Essay über "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" sowie in seinem Text "Über einige Motive bei Baudelaire" transportiert er taktile Elemente des Films in dessen visuelle Struktur, indem er dem Auge taktile Eigenschaften zuschreibt und Taktilität demnach dem Zugriff der anderen Sinne entzieht. Benjamin zufolge wird das Kunstwerk nach dem Dadaismus zu "...ein(em) Geschoss. Es stieß dem Betrachter zu. Es gewann eine taktile Qualität. Damit hat es die Nachfrage nach dem Film begünstigt, dessen ablenkendes Element ebenfalls in erster Linie ein taktiles ist, nämlich auf dem Wechsel der Schauplätze und Einstellungen beruht, welche stoßweise auf den Betrachter eindringen."

Wie bereits angedeutet, verschweißt Benjamin mit diesen Bemerkungen visuelle und taktile Qualitäten und subsumiert sie unter die Dominanz des Visuellen. Mit dieser Bewertung stellt sich Benjamin in eine stabile Tradition der Abwertung des Taktilen, die zumindest bis Aristoteles deutlich zurückverfolgt werden kann und seitdem eine Konstante in der Bewertung der Sinne geworden ist. Für Aristoteles ist der Wunsch nach Taktilität als moralisch niedrig einzustufen, da "er nicht zu den menschlichen Wesen passe, sondern Tieren zuzuschreiben sei." Das Taktile rangiert für Aristoteles am Boden einer Hierarchie der Sinne, da es das Erotische befördere und sich aus diesem Grund der Kontrolle durch das Rationale entziehe.

Ausgehend von der Einschätzung Walter Benjamins lässt sich eine markante Tendenz zur Unterdrückung der haptischen Elemente des Films feststellen. Eine ähnliche Tendenz findet sich auch in weiteren zeitgenössischen Theorien des Films, so bei Jean Luc Baudry, dessen Dispositiv-Theorie den Körper des Betrachters faktisch durch Immobilisierung zum Verschwinden bringt. Da das Medium Film und vor allem die Anordnung seiner Sichtbarkeit im Kino jede Bewegung des Zuschauers unterdrückt, gelingt Benjamin die Unterordnung des Haptischen unter das Regime des Visuellen relativ problemlos. Damit stellt er den Film in die von Aristoteles eingeleitete Kontrolle apparativer Medien, die von jeglicher Form von Taktilität befreit werden müssen, um "Kunst" zu werden. Das Verschwinden der Haptik aus dem Film ist demnach die Voraussetzung für ihren Status als Kunstwerke. Berührung der Sinne darf in der Metapher nur noch als abwesende und abwesend gehaltene Spur des Mediums auftauchen.

Das Theater und die Negation der Sinne

Allerdings ist die Ablehnung des Taktilen nicht nur dem Medium Film zu Eigen, sondern besitzt auch in der Geschichte des Theaters eine markante Tradition. Die Diskurse über das englische Renaissancetheater heben die Gefahren des Taktilen hervor, da hier durchaus noch die Möglichkeit der körperlichen Involvierung der Zuschauer gegeben war. Somit kritisierten die Theatergegner des elisabethanischen Theaters die Taktilität des Mediums, auf dessen vermeintliche Gefahren sie unablässig hinwiesen. So stellt ein Kritiker im Jahre 1579 das Medium unter Generalverdacht, da es in der Lage sei, sämtliche Sinne anzusprechen und zu verführen. Es "consortes of melodie to tickle the eare, costly apparel to flatter the sight, effeminate gesture to ravish the scene, and wanton speache to whette desire to inordinate lust. "

Hier wird deutlich, dass im Gegensatz zum Film das Medium Theater durchaus noch in der Lage war, haptische Erfahrungen zu erlauben. In diesem Sinne offenbart sich die Geschichte des Theaters und seiner Wahrnehmungsstrukturen als eine der zunehmenden Verdrängung des Haptischen und ist damit gleichzeitig als Distanzierung von Zuschauern und Bühnengeschehen zu konzipieren. Die Integration des Körpers und vor allem die Interaktion von Schauspielern und Zuschauern auf dem Theater konnte dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als experimentielle und avantgardistische Strategie gefeiert werden. Ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung liegt in der Korrelation des Haptischen mit sozialen Kategorien. Gemäß dem Bedürfnis nach sozialer Diversifikation war die elisabethanische Bühne derart konstruiert, dass sie nach drei beziehungsweise vier Seiten hin offen war und in den Zuschauerraum hineinragte, so dass sie in der Regel von Zuschauern umrundet war. Das ermöglichte den beständigen Kontakt zwischen den Schauspielern auf der Bühne und zumindest zu den nahe an der Bühne stehenden Zuschauern. Diesen Vorteil wussten William Shakespeare und seine Schauspieler zu nutzen, indem sie während ihrer Aufführungen auf den beständigen, oft haptisch ausgeprägten Kontakt zwischen Schauspieler und Publikum zu setzen wussten, indem sie die Aufführungen mit "asides", Anachronismen, Anspielungen und anderen Hinweisen auf die Präsenz eines Publikums bereicherten. Zudem existierte noch die direkte Ansprache des Zuschauers an das Publikum. Allerdings war die "direkte" oder noch von Spuren des Haptischen durchdrungene Form des Theaters den niedrigeren sozialen Schichten vorbehalten, welche sich in der Regel auf den Stehplätzen um die Bühne herum aufhielten. Den höheren Klassen wie auch dem Adel waren die Ränge der Theater vorbehalten.

Im Zuge seiner Entwicklung zum bürgerlichen Medium mit entsprechendem Kunstanspruch entwickelte die Bühnenarchitektur distanzierende Qualitäten: Die Guckkastenbühne war die vorherrschende Form in den höfischen Theatern und wurde später auch im bürgerlichen Theater zur Norm. Diese Entwicklung, die zur Verminderung des Haptischen im Theater beitrug, stellte gleichzeitig eine Hierarchie des kulturellen Kanons auf, innerhalb dessen Haptik ganz unten rangierte. Während das Theater allmählich den Status von "Kunst" erlangte, erfolgt spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Abwertung von performativen Darstellungen, die noch haptische Verbindungen zwischen Zuschauer und Darsteller zulassen. Der Jahrmarkt und seine Darstellungsformen bieten hierfür ein deutliches Beispiel.

Ähnlich wie das Theater erfuhr das Kino seine Nobilitierung zum "Kunstmedium", nachdem es nicht mehr als Jahrmarktsphänomen für die Arbeiterklasse angesehen wurde und stattdessen in eigenen Kinopalästen analog zu Oper und Theater seine kulturelle Akzeptanz erkämpfte. Insbesondere die architektonische Parallele zur Oper sollte die kulturelle Aufwertung des Mediums und dessen Angleichung an den Geschmack eines kulturorientierten Publikums der Mittelklasse leisten: Formen des Jahrmarktvergnügens und damit einhergehender Haptik waren jetzt für die filmische Rezeption verboten. So ist es kein Zufall, dass Walter Benjamin seine Bemerkungen zum Film verfasste, nachdem der Prozess der "Kultivierung" des Mediums abgeschlossen und zudem die Ausschaltung der Sinne mittels Kinoarchitekturen vollzogen war. Jetzt kann Benjamin den Effekt des Films als ausschließlich visuelle Strategie behaupten, und das Kino erlangt Kunststatus durch Vernichtung seiner haptischen Elemente.

Demgemäß schließen Benjamins Bemerkungen einen Prozess der hierarchischen Neuanordnung der Sinne ab. Der Film hat seine einstmals haptischen Qualitäten in die Dominanz des Visuellen überführt. Diese Überführung wird auch von weiteren Medientheoretikern konstatiert, wie sich aus den folgenden Ausführungen Bela Balaczs ablesen lässt. "Gewiss hat der Film eine neue Welt entdeckt, die vor unseren Augen bislang verdeckt gewesen ist. So die sichtbare Umwelt des Menschen und seine Beziehung zu ihr. Raum und Landschaft, das Gesicht der der Dinge [...] Aber der Film hat nicht nur Stofflich-Neues gebracht im Laufe seiner Entwicklung. Der hat etwas Entscheidendes getan. Er hat die fixierte Distanz des Zuschauers aufgehoben; jene Distanz, die bisher zum Wesen der sichtbaren Künste gehört hat. [...] Die Kamera nimmt mein Auge mit. Mitten ins Bild hinein. Ich sehe die Dinge aus dem Raum des Films. In bin umzingelt von den Gestalten des Films und verwickelt in seine Handlung, die ich von allen Seiten sehe."

Der Film abstrahiert von der sinnlichen Erfahrung, nimmt ihr die Schärfe und lässt diese dann in der Metapher des Visuellen wieder auftauchen. Hinzu kommt, dass das Kino dem Besucher nicht nur hinsichtlich seiner sinnlichen Erfahrungen, sondern auch in Bezug auf seine Mobilität deutlich einschränkt: Das Dispositiv des Kinos fixiert die Zuschauer bewegungslos in ihren Sitzen, während der Film selbst erst durch Bewegung entsteht.

Die medienhistorischen Vorläufer des Kinos

Der Blick auf die medialen Vorläufer des Kinos verdeutlicht, dass sich diese durch eine Kombination taktiler, mobiler und eben visueller Elemente auszeichnen, die sich noch nicht dem Regime des Visuellen gebeugt haben und eine Diversität haptischer Erfahrungen vermitteln.

Angefangen bei antiken Wandillustrationen bis über die barocken Kalvarienbergdarstellungen hin zu den Panoramen des 18. und 19. Jahrhunderts waren haptische und visuelle Elemente in die medialen Erfahrung integriert: Die Freskos der Villa dei Misteri können als eines der frühen Beispiele für eine illusionistische und immersive Medienpraxis angesehen werden. Ebenso die Kalvarienbergbeispiele, die räumlich-begehbare Installationen der Leiden Christi repräsentierten und dem Publik solcherart haptische und visuelle Informationen anboten. Dieter Daniels weist darauf hin, dass diese als sinnenfreudige Reaktion auf die ikonoklastischen, rationalen und sinnesfeindlichen Tendenzen des Protestantismus verstanden werden können.

Im Rahmen der medienhistorischen Vorläufer des Kinos spielt das Panorama eine herausragende Rolle, da der Bruch in der Hierarchie des Haptischen und des Mobilen noch nicht stattgefunden hat und es somit eine Vielzahl unterschiedlicher sensorischer Eindrücke zu vermitteln in der Lage ist. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Panoramen aus den Landschaftsdarstellungen zu großen, begehbaren Medien populärer Kulturinhalte. Besonders beliebt waren Reise- und Schlachtdarstellungen. Zudem wurde dem Panorama noch ein informativer Wert zugeschrieben, das es vorgeblich in der Lage war, aktuelle Erfahrungen durch mediale Inszenierung zu ersetzen, so wie es "Blackwood's Magazine" 1824 deutlich hervorhebt: "What cost a couple of hundred pounds and half a year half a century ago, now costs a shilling and a quarter of an hour. Throwing out of the old account the innumerable miseries of travel, the insolence of public functionaries, the roguery of innkeepers, the visitations of banditti, charged to the muzzle with sabre, pistol, [...] the indescribable désagréments of Italian cookery, and the insufferable annoyances of that epitome of abomination, an Italian bed. "

Neben seiner medialen Funktion bot das Panorama eine Vielzahl visueller und sensorischer Erfahrungen. Oliver Grau vermerkt den polysensorischen Zugriff auf die dargestellten Inhalte, oft begleitet von (diegetischen) Geräuschen wie auch künstlichen Winden und Gerüchen, die Nase und Haut involvierten. Das 1885 konstruierte "Panorama deutscher Kolonien" sollte durch Kunstnebel, Licht- und Geräuscheffekte tropische Atmosphäre simulieren.

Das Panorama war auf die Massen ausgerichtet - und die Massen ließen sich von ihm gerne faszinieren. Ursprünglich als Vergnügen für die Oberschicht geplant, wurden schnell auch die unteren Schichten integriert. Dieser Prozess fand zwischen 1840-1870 statt. Als Konsequenz dieser Entwicklungen wurden in den Panoramen nach Eintrittsgeldern differenzierte Eingänge geschaffen. Die Zugangsmöglichkeiten und -Zeiten wurden ebenfalls dementsprechend in die Preisgestaltung einbezogen. Damit konnte das Panorama auch für ein bürgerliches Publikum haptische Vielfalt anbieten. Dieses Angebot sollte sich nach der Einführung des Films ändern, denn haptische Erfahrungen wurden nach der Etablierung des Films nur noch als Jahrmarktsvergnügen angeboten und kulturell diskreditiert. Das Medium Film selbst thematisierte die Dominanz des Visuellen, so zum Beispiel Dziga Vertov in seinen Montagen von Auge und Kamera.

Im Gegensatz zur kulturell etablierten Position des Panoramas begann der Film als Jahrmarkts- oder Bierhallenvergnügen für die unteren Klassen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte er sich als Medium mit künstlerischem Anspruch durchsetzen, nachdem die Studios zu Opernhäusern und Theatern zu Beginn des 20. Jahrhunderts prächtige Filmpaläste erbauten. Demnach fallen architektonische Repräsentation künstlerischer Qualitäten, die Adressierung eines gebildeten, bürgerlichen Publikums und die von Walter Benjamin attestierte Kontrolle des Haptischen durch das Auge zusammen. Benjamins Argumente unterstützen die Entwicklung des Films zur Kunstform. Seitdem sind haptische Qualitäten mehr oder weniger aus dem Film verschwunden und Medien, die diese zusammen mit visuellen Erfahrungen vermitteln, meist aus dem Kanon mittelständischer Präsentation verbannt in die recht dubiosen Räume öffentlichen Medienkonsums der Spielhallen oder Freizeitparks.

Interessanterweise änderte sich im Film die Dominanz des Visuellen, als er von dem kulturell "minderwertigerem" Medium Fernsehen bedrängt wurde. Weite Teile der filmischen Präsentation allem der 50er Jahre experimentierten mit einer Erweiterung sinnlicher Erfahrung und führten damit die sinnlichen Qualitäten der Bierhallen und Vergnügungsparks wieder in das Filmerleben ein. Neue Kinoformate wie Cineorama bezogen das Publikum in die filmischen Raum ein. Das 3D-Kino schuf einen virtuellen Raum, der um den Zuschauer herum konstruierte wurde. In seinem Versuch der Rückgewinnung der Zuschauer setzte der Film plötzlich wieder auf nicht mehr in der Medienhabitualisierung verortete taktile Elemente. Im Zuge seiner Wiederaufwertung wird deutlich, dass das Kino auch auf die verlorenen Effekte des Panoramas setzte. Je stärker das Kino sich auf das Haptische bezog, desto näher kam es den im Vergnügungspark anvisierten Erfahrungen, die die folgenden Beispiele belegen.

Der historische Rückgriff auf Vorformen des Kinos offenbart eine von Thomas Edison entwickelte Form des Kinos, das Kinetoscope. Im Gegensatz zur Leinwand bietet sie durch den Blick in einen Kasten eine private Form des Filmkonsums dar. Aus ökonomischen Gründen wurde das Kinetoscope jedoch nicht weiterentwickelt. Im Gegensatz zur heute etablierten Vorführungstechnik bestand in ihm eine große haptische Nähe zwischen Körper des Zuschauers und visueller Apparatur.

Eine in gewisser Weise avanciertere Weiterentwicklung der Kinematoscope-Technik bedeutet der 1962 von Morton J. Heilig entwickelte Sensorama-Simulator. Wie bereits im Namen anklingt, zielt diese Maschine auf die visuelle, haptische und olfaktorische Erfahrung des Kinos ab. Er stellte, ähnlich wie das Kinetoscope, einen Kasten dar, in den der Zuschauer seinen Blick versenken konnte. Entgegen des 18%igen Ausfüllens des Blickwinkels in Cinemascope und den 25%igen in Cineorama nimmt der Sensorama-Simulator 100% des Blicks ein. Hinzu kommt das haptische Element durch Steuerstäbe, die Bewegung vermitteln sowie das olfkatorische durch die entsprechende Verbreitung von Gerüchen. Morton Heilig preist seine Maschine als umfassendes Sinnenerlebnis im Jahr 1965 im Essay "Cinema of the Future" an: "Machen Sie die Augen auf, hören Sie, riechen und schmecken Sie, fühlen Sie die Welt in ihren herrlichen Farben, ihrer räumlichen Tiefe, den Tönen, Gerüchen und Oberflächen - das ist das Kino der Zukunft."

Dagegen in den Filmtheatern etabliert war das Cinerama Format, bestehend aus drei Kameras, die ihre Bilder auf eine um 180 Grad gekrümmte Leinwand projizierten. Ende der 1960er-Jahre existierten weltweit mehr als 100 Kinos dieser Art. Obwohl diese Art des Kinos keine "eigentliche" haptile Erfahrung bot, wurde diese jedoch durch die Aufführungspraxis zumindest anvisiert. Die gekrümmte Leinwand verringert die Distanz zwischen Zuschauer und Leinwand und simuliert durch ihre Anordnung die "Greifbarkeit" des Geschehens, welche von den Werbeplakaten für das 3D-Erlebnis markant hervorgehoben war. In diesem Fall ist es nicht der Inhalt des Films, auf den abgehoben wird, sondern der Umstand, dass es dem Zuschauer ermöglicht ist, mit der Hand in das Filmgeschehen einzugreifen und es sich sinnlich erfahrbar zu machen. Die technisch avancierte dispositive Anordnung des Mediums versucht demnach, Visualität durch weitere sinnliche Erfahrungen zu ergänzen. Zudem wird - wie in der Abbildung ersichtlich - im Sinne einer Schnittstelle auf die Verbindung von Mensch und Medium gesetzt.

Im Rahmen der filmischen Projektionstechnik hat sich der Sensorama Simulator nicht durchgesetzt, kann aber als Vorläufer der überdimensionierten Spielkonsolen in den Spielhallen und der vielfältigen individuellen Spielekonsolen angesehen werden. Auch dort werden Kombinationsformen visuellen und haptischen Medienkonsums in kulturell abgewertete Randbereiche verdrängt. Hierzu zählt vor allem die Spielhallenkultur wie der inzwischen große Markt der "gameboys", Gamekonsolen und Computerspiele. Ein interessantes Beispiel bietet der "Flipper"-Automat, der auf seinem Bildschirm auf das Format Cineorama verweist, sozusagen als Reminiszenz an eine Kunstform, die haptische Erfahrung für sich reklamierte.

Medienhistorisch hat sich hier eine vom Kino verschiedene visuelle Tradition ausgebildet, die sich in kulturellen Räumen abgespielt hat, die keinerlei Kunstverdacht ausgeliefert sind. Diese Entwicklung allerdings hat sich in den letzten Jahren durch die rapide Entwicklung digitaler Medien umgekehrt. Neue Medienapparaturen wie die bereits erwähnten Gameboys und Spielekonsolen verbinden unter Rückgriff auf filmisches Erzählen haptische und visuelle Traditionen. Der Film selbst bemüht sich um die Rückführung haptischer Elemente ins filmische Erleben, und der weite Bereich der Medienkunst verbindet filmisches Erzählen in immersiven und interaktiven Präsentationen.