Ein verwirrendes Konglomerat verschiedener Theorien

Die Geschichte des Körpers im Mittelalter von Jacques Le Goff und Nicolas Truong

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Gegensatz zu so vielen Werken Jaques Le Goffs, die dem Leser auf gleichermaßen fundierte und leicht verständliche Weise verschiedene Aspekte des mittelalterlichen Lebens nahe bringen, sorgt das zusammen mit dem Journalisten Nicolas Truong veröffentlichte Buch "Die Geschichte des Körpers im Mittelalter" für unfreiwillige Verwirrung.

Zum einen wird im Vorwort behauptet, dass der Körper des Menschen zu den größten Forschungslücken der Geschichtsschreibung gehört, um dann prompt überzugehen zu einer Aufzählung all der Forscher, die bereits wesentliche Ansätze zu diesem Thema geliefert haben. Und da finden sich dann illustre Namen wie Jules Michelet, Marcel Mauss, Norbert Elias, Max Horkheimer/Theodor W. Adorno und Michel Foucault. Dass sich gerade in den letzten Jahren der Körper als wissenschaftlicher Gegenstand zunehmender Beliebtheit erfreut, wird kaum erwähnt.

Zum anderen werden die ganzen Widersprüche und Unterschiede in der Wahrnehmung des Körpers aufgezählt: mal wird der Körper verachtet, mal wird er als göttliche Schöpfung verehrt; mal wird Keuschheit und Treue über alles gesetzt, mal wird die Sexualität in hohem Maße gefeiert und taucht ausgerechnet in den Randzeichnungen klösterlicher Handschriften auf; mal werden Kranke ausgegrenzt, mal als Heilige, denen eine Prüfung auferlegt wurde, verehrt.

Die Autoren schaffen es dabei kaum, zu erklären, welche Erscheinungen in welcher Phase des so sehr heterogenen Mittelalters auftraten und mit welchen gesellschaftlichen Phänomen sie zusammen hingen. Auch auf regionale Unterschiede wird kaum eingegangen. Dem Leser drängt sich der Eindruck einer willkürlichen Aufzählung auf, ohne dass er seinen Blick auf die in der Tat interessanten und weniger bekannten Details lenken könnte.

Denn in der Tat ist Le Goffs Perspektive immer dann erhellend, wenn er aus der Gegenwart heraus die Vergangenheit analysiert, so wie er es in dem Buch "Die Geburt Europas aus dem Mittelalter" vorgeführt hat. Natürlich führt im vorliegenden Werk im Kapitel über Krankheiten kein Weg an der Darstellung der Pest vorbei. Doch wenn der Autor beschreibt, wie mongolische Belagerer Pestleichen über die Stadtmauer Kaffas warfen, um die genuesischen Kolonisten zu besiegen - und in diesem Zusammenhang der moderne Begriff biologischer Kriegsführung Verwendung findet, blitzt die Brillanz alter Werke Le Goffs wieder auf.

Die in diesem Sinne interessanteste Aussage macht Le Goff bereits in der Einleitung: "Heutzutage ist der Körper Tummelplatz der modernen Metamorphose: Von der Genetik bis zu den bakteriologischen Waffen, von der Behandlung und Bekämpfung der modernen Seuchen bis zu den neuen Herrschaftsformen bei der Arbeit, vom Moderummel zu den neuen Ernährungsformen, vom Schlankheitswahn bis zur Fettleibigkeit, von der sexuellen Befreiung zur modernen Entfremdung - der Umweg über die Geschichte des Mittelalters kann dazu dienen, unsere Zeit etwas besser zu verstehen". Ein schöner Anspruch, den das vorliegende Buch leider nicht ganz zu erfüllen vermag.


Titelbild

Jacques Le Goff / Nicolas Truong: Die Geschichte des Körpers im Mittelalter.
Übersetzt aus dem Französischen von Renate Warttmann.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007.
224 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783608940800

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