"Gauner" und "Zigeuner"

Zwei neue Arbeiten über Jenische und Sinti und Roma

Von Wolfgang WippermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Wippermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Sinti und Roma "Zigeuner" nennt, will sie beleidigen. Und wer gar behauptet, "Zigeuner" stamme von "Zieh-Gauner", ist dumm - oder ein deutscher Professor. Denn ein solcher war es, der diese falsche Ableitung erfunden hat. Allerdings schon im 17. Jahrhundert. Damals gab es aber wirklich "Gauner": Banditen und Angehörige von Verbrecherbanden, zu denen sich die outcasts der vormodernen Gesellschaft gesellten: Bettler, Prostituierte, desertierte und entlassene Soldaten sowie alle möglichen Menschen, die nicht am Ort oder "im Lande" blieben und sich dort "redlich nährten", sondern "wie die Zigeuner" oder nach "Zigeunerart" herumzogen. Karl Marx sollte sie (im "Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte") "Lumpenproletarier" nennen. Dies war noch schlimmer als "Gauner" und "Zigeuner".

Einige dieser "Gauner" und "Lumpenproletarier" verstehen sich selber jedoch als Jenische und wollen mit dem Hinweis auf ihre eigene Sprache - das Rotwelsch - als Angehörige einer Ethnie angesehen werden. Dies wurde ihnen jedoch genau wie den Sinti und Roma versagt. Für die nationalsozialistischen "Asozialen"- und "Zigeunerforscher" waren beide Gruppen "rassisch minderwertig", weshalb der "Volkskörper" von ihnen "gereinigt" werden sollte. Tatsächlich sind Sinti und Roma sowie Jenische dem Rassenmord des nationalsozialistischen "Rassenstaates" (Michael Burleigh/Wolfgang Wippermann) zum Opfer gefallen. Doch dies hat die "Asozialen"- und "Zigeunerforscher" auch nach 1945 nicht davon abgehalten, ihre These von der biologisch bedingten "Asozialität" der Jenischen und der Sinti und Roma weiter zu verbreiten. Teilweise bis heute.

Daher ist es gut und richtig, dass dies und alles Gerede über diese geborenen "Gauner" und "Zigeuner" in den vorliegenden Dissertationen von Andrew D`Arcangelis und Ulrich Friedrich Opfermann widerlegt werden. Allerdings geschieht dies getrennt, unabhängig von einander und auf unterschiedlichem Wege.

Der gebürtige US-Amerikaner D`Arcangelis beschäftigt sich im ersten "sozio-linguistischen" Teil seiner voluminösen, aber etwas unübersichtlichen Hamburger Dissertation mit dem Rotwelsch der Jenischen sowie mit einigen anderen Argot-Sprachen. Darunter dem mexikanischen "Pachuco", irischen "Shelta" und spanischen "Mechero". Dabei weist er nach, dass es sich hier erstens um Sprachen handelt, die zweitens Gemeinsamkeiten aufweisen und die drittens der Identifikation der sie sprechenden Gruppen (beziehungsweise Ethnien) dienten.

Im zweiten "historischen" Teil seiner "Studie" behandelt D´Arcangelis die Verfolgung der Jenischen im NS-Staat, die, wie er richtig beobachtet, "Hand in Hand" mit der der Sinti und Roma ging, weil beide von den Nationalsozialisten zu den "unerwünschten Bevölkerungselementen" gezählt wurden. Die Darstellung der Verfolgung geschieht allerdings fast ausschließlich auf der Basis von gedruckten Quellen, und zwar vor allem der nationalsozialistischen "Asozialen"- und "Zigeunerforscher".

Opfermanns an der Universität Siegen vorgelegte Dissertation basiert dagegen, wie im Titel eigens vermerkt wird, auf "archivalischen Quellen" aus - wenn ich recht gezählt habe - 27 Archiven. Eine unerhörte und kaum zu überbietende Fleißarbeit. Zu loben ist aber auch die Interpretation dieser Quellen. Dies ist einfacher gesagt als getan. Stammen doch fast alle Berichte über die Sinti von Nicht-Sinti (im Romanes "gadsche" genannt), die den "Zigeunern" gegenüber äußerst feindselig eingestellt waren. Ihr "Fremdbild" war ein antiziganistisches "Feindbild". Dennoch lässt ihre akribische Interpretation Rückschlüsse auf das wirkliche Verhalten der Sinti zu, die keineswegs nur Opfer der Verfolgung waren, sondern aktiv und als Subjekte in den Geschichtsprozess eingegriffen haben. Dies keineswegs immer nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, mit der sie viel verband und mit der sie auch vieles gemeinsam hatte.

Dies ist das zweite wesentliche Ergebnis der Arbeit, das diejenigen erstaunen wird, die sich die Sinti immer noch als ständig herumziehende "Zigeuner" vorstellen. Tatsächlich ist überraschend vielen Sinti der Aufstieg und die Aufnahme in die Mehrheitsgesellschaft gelungen. Vor allem als Soldaten und Offiziere beziehungsweise Söldnerführer, die von ihren neuen Berufs- und Standesgenossen absolut akzeptiert wurden. Galten sie doch nun als "gewesene" oder "pardonierte Zigeuner", weil sie ihren "Zigeuner-Habit" abgelegt hätten und zu ordentlichen "Christenmenschen" geworden seien. Die "zigeunerische" Identität wurde also noch ausschließlich mit sozialen und keineswegs ethnischen oder gar biologischen Kriterien bestimmt. Jedenfalls war dies im 17. und 18. Jahrhundert so, auf die sich Opfermanns Studie beschränkt.

Allerdings ist Opfermann weit davon entfernt, hier eine goldene Sinti-Zeit wahrzunehmen oder zu konstruieren. Er weist auch detailliert und quellennah nach, dass gleichzeitig andere "Zigeuner" nicht "pardoniert", sondern grausamen Verfolgungen ausgesetzt wurden. Denjenigen, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts einigen Räuberbanden angeschlossen hatten, wurde kein Pardon gegeben. Neben "Rezeption" gab es also auch immer "Repression".

Überdies war die Zeit einer wenigstens partiellen "Rezeption" mit dem "Ende der privatwirtschaftlichen Söldnerheere" vorbei. Mit und durch die Einführung der stehenden Heere, deren Soldaten nicht angeworben, sondern eingezogen und deren Offiziere aus dem Adel stammten und stammen mussten, verloren auch die "gewesenen Zigeuner" ihre Position als Angehörige des geachteten und noch mehr gefürchteten Kriegerstandes. Zusammen mit den übrigen Sinti nahmen sie am "Verarmungs- und Verelendungsprozess der unter- und außerständischen Schichten der Mehrheitsbevölkerung teil". Wurden also wieder "Zigeuner", die sich zugleich auf ihre Familienverbände zurückzogen, in denen weiterhin Romanes gesprochen und die Roma-Kultur gepflegt wurde.

Letzteres ist besonders wichtig: Der ohne Zweifel nicht nur bei den Juden, sondern auch bei den Sinti zu beobachtende Akkulturationsprozess hat bei den Sinti niemals zur Aufgabe ihrer kulturellen und ethnischen Identität geführt. Darin unterschieden sie sich wiederum von den Jenischen, mit denen sie in sozialer Hinsicht aber Ähnlichkeiten aufwiesen. Die Jenischen wiederum scheinen sich mit Hinweis auf ihre Sprache - das Rotwelsch - ebenfalls als Ethnie zu verstehen. "Gauner" und "Zieh-Gauner" waren beide Gruppen nur in den Augen der ihnen feindlich gegenüber stehenden Mehrheitsgesellschaft, die noch dazu die Unterschiede zwischen Jenischen und Sinti nicht sahen und nicht sehen wollten. Hier gibt es nach wie vor einen Nachholbedarf an Wissen und Verständnisbereitschaft für beide Gruppen.


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Andrew D´Arcangelis: Die Jenischen - verfolgt im NS-Staat 1934-1944. Eine sozio-linguistische und historische Studie.
Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2006.
594 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 3830020155
ISBN-13: 9783830020158

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Ulrich Friedrich Opfermann: "Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet". Sinti im 17. und 18. Jahrhundert.
Metropol Verlag, Berlin 2007.
464 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783938690413

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