Die Realität sieht anders aus

Jasper Ffordes Liebeserklärung an die Literatur

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ach, was wäre das für ein Fest; wie würden sie alle feiern. Trauerkloßgesichter würden sich in infektiöses Strahlen verwandeln, und selbst größte Popkulturkritiker wenn nicht jubeln, dann doch wenigstens anerkennend nicken. Das Feuilleton wäre das erste Buch jeder Zeitung und "Lesen" wieder eine alltägliche Tätigkeit und kein Schimpfwort, geschweige denn eine Bezeichnung für einen die Literatur prostituierender Bücherbasar von zweifelhafter Art und Weise.

Jaja, der gute alte Konjunktiv. Wenn das Wörtchen wenn nicht wär'. Aber die Realität sieht anders aus. Für obige Szenarien ist die Lektüre von Jasper Ffordes neuem Roman "Es ist was faul" unabdingbare Voraussetzung. Es ist der vierte Roman mit seiner Heldin Thursday Next, die im alternativen England der späten 1980er-Jahre immer wieder die Welt, vor allem aber die Literatur rettet. Sie arbeitet bei SpecOps, einer Abteilung der Polizei, die sich um den Schutz literarischer Werke kümmert. Das heißt zum Beispiel zu verhindern, dass Originalmanuskripte gestohlen und verändert werden: Das nämlich hat in Ffordes Fiktionen zur Folge, dass sich automatisch alle anderen Bücher desselben Werkes verändern. Außerdem leitet die Protagonsitin die Jurisfiktion, eine Organisation innerhalb der Buchwelt, die etwa für Urlaub von Figuren oder die Verfolgung von entflohenen Charakteren sorgt. In "Es ist was faul" jagt Thursday den der Buchwelt entflohenen Yorrick Kaine, der sich zum Diktator Englands aufschwingen will, was der unter anderem mit einer Anti-Dänemark-Kampagne durchzusetzen versucht. Thursday muss wie immer sehr vorsichtig sein - dieses Mal jedoch etwas mehr, denn Hamlet ist bei ihr zu Besuch.

Angesichts der Tatsache, dass es sich bei Jasper Ffordes Büchern - vor "Es ist was faul" sind bereits "Der Fall Jane Eyre", "In einem anderen Buch" und "Im Brunnen der Manuskripte" erschienen - um Science Fiction handelt, wäre der oben beschriebene Sturm des Jubels zugegebenerweise vielleicht doch nicht ganz so enthusiastisch. Aber indem die Welt von Thursday Next im wahrsten Sinne des Wortes so literaturdominiert ist, hebt Jasper Fforde die Literatur auf viel höhere Throne als jeder zeitgenössische Autor es vermochte. Er erklärt der Literatur in jedem seiner Romane schlicht seine tief empfundene Liebe.

Nicht nur, dass die reale Welt von Thursday Next literarisiert ist, sprich: dass dort sehr viel mehr Menschen an der Literatur interessiert sind als in der Realität von frustrierten Feuilletonchefs und schlechten Literaturfernsehsendungen. Das In-Die Bücher-Springen wird vor dem Hintergrund dieser andersartigen Welt zu viel mehr als einem bloßen Science-Fiction-Element. Lesen bedeutet für Jasper Fforde in die Bücher einzutauchen, sich der Handlung und ihren Figuren, sich den Wendungen ersterer und den Entwicklungen letzterer ohne Vorbehalt hinzugeben. Die Realität sieht anders aus? Na, Glückwunsch. Eben das bedeutet es, zu lesen. Sich für die Dauer der Lektüre einer anderen Realität anzuvertrauen. Und das ist was? Richtig: Ein Fest.


Titelbild

Jasper Fforde: Es ist was faul.
dtv Verlag, München 2006.
430 Seiten, 6,95 EUR.
ISBN-10: 3423245689
ISBN-13: 9783423245685

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