Auch Kinohelden müssen mal

Philipp Alexander Tschirbs' Buch über "Das Klo im Kino"

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer "Trainspotting" gesehen hat, vergisst sie nicht: Die denkwürdige Kloszene, in der Mark Renton (Ewan McGregor) in die "schlimmste Toilette Schottlands" abtaucht, um dort seine verlorenen Drogen wieder herauszufischen. Doch den meisten Kinogängern kommt es so vor, als ob - von wenigen Ausnahmen wie etwa "Pulp Fiction" abgesehen - die Helden und Heldinnen auf der Kinoleinwand eigentlich nie "müssen". Weit gefehlt, wie nun Philipp Alexander Tschirbs in seinem Buch "Das Klo im Kino" darlegt.

Der Absolvent der Film- und Fernsehwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum hat sich als erster wissenschaftlich mit der Frage des Klos im Kino beschäftigt. Seine Ergebnisse liegen nun auf knapp 300 Seiten als dritter Band der Reihe Filmwissenschaft im Berliner Lit Verlag vor.

Auslöser für die ungewöhnliche Arbeit war nach Angaben des Autors das "Scheißbuch" des Soziologen Werner Pieper, in dem dieser die gängige Meinung vertritt, über das Klo im Kino gäbe es nicht viel zu berichten. Und da Tschirbs sogleich der eklige Tauchgang in "Trainspotting" als spontaner Gegenbeweis einfiel, machte er sich daran, selbst in die Recherche in Sachen Klo abzutauchen. Angespornt durch rund 25 Fundstücke allein in Filmproduktionen der 1990er-Jahre, weitete er seine Recherche immer mehr aus - und wurde schließlich bei 4.300 Standbildern in 530 Filmen fündig.

Dabei ist das "stille Örtchen" keineswegs Nebenschauplatz im Filmgeschehen. Vielmehr, so Tschirbs' Ergebnis, wird das WC ganz bewusst für Szenen mit Tabubrüchen eingesetzt, die Schlüsselbedeutung für die Handlung des Films haben. Dies trifft insbesondere auf den Filmklassiker "Psycho" zu, der laut Tschirbs die "Geburtsstunde des Kinoklos" verkörpert. Während die Toilette zuvor als filmisches Tabu galt, und nur wenige wagten, die diesbezügliche (Selbst-) Zensur zu durchbrechen, stellte Alfred Hitchcock 1960 in "Psycho" ganz bewusst das WC in den Mittelpunkt der Schlüsselszene. Nicht der Duschsequenz gebührt demnach das Augenmerk der Filmwissenschaftler und Cineasten, sondern dem Klo in ebendiesem Bad: Direkt auf dem Fußboden neben dem Stand-WC landet die tote Marion Crane (Janet Leigh), während in dessen Schüssel die Beweise für ihre illegalen Machenschaften und den Mord an ihr obenauf schwimmen.

Und nicht nur Marion Crane (Janet Leigh) wird durch das Klo kompromittiert: Auch in anderen Filmen seines umfangreichen Œuvres setzt Reinlichkeitsfanatiker Hitchcock die Nähe der Figuren zur Toilette, ja schon allein zur Tür dorthin ein, um sie negativ zu charakterisieren, wie Tschirbs entschlüsselt.

Doch nicht nur bei Altmeister Hitchcock sind Klos wichtige narrative Stilmittel: Toiletten werden im Film immer dann eingesetzt, wenn es darum geht, bei Zuschauer den Eindruck zu vermitteln, hier finde eine geheime Aktion statt. Neben dem Besuch des Ortes zu seinem eigentlichen Zweck, werden dort Drogen konsumiert, gewalttätige Auseinandersetzungen geführt oder auch sexuelle Abenteuer gesucht. Auch das Klo als Versteck und Fluchtweg zieht sich wie ein roter Faden durch zahlreiche Horror- und Kriminalfilme. Von Zeichentrick über Liebesfilm bis hin zur Komödie, auf den Einsatz der Toilette verzichtet kein filmisches Genre unserer Tage. - Damit läuft die mediale Entwicklung des Klos interessanter Weise konträr zur tatsächlichen Kulturgeschichte: Denn hier war zwar der relativ schamlose Gebrauch der Straße als Abort bis ins 19. Jahrhundert hinein an der Tagesordnung, wurde dann jedoch vom Plumpsklo im Hof und schließlich dem abschließbaren Raum im Haus abgelöst und gipfelt in der Beschallung japanischer Unternehmenstoiletten, die "peinliche" Geräusche überdeckt. Im Kino jedoch, so weist Tschirps nach, verläuft das Verhältnis zum Klo genau umgekehrt, und der Ort intimer Verrichtung rückte mehr und mehr in den Blick der Kamera. Diese verstärkte Darstellung des Klos im Kino (oder selbst des tatsächlichen Defäkierens wie in Wim Wenders "Im Lauf der Zeit" von 1976) entspringt dabei keineswegs einem cineastischen Seitenstrang von Experimentalfilmen, sondern geradewegs den Produktionen großer Meister wie Pier Paolo Pasolini, Bernardo Bertolucci oder Stanley Kubrick.

Um so wichtiger, dass Tschirbs das "stille Örtchen" endlich aus seiner Schattenexistenz herausgeholt und einer ebenso wissenschaftlich fundierten wie unterhaltsamen Untersuchung unterzogen hat, die Filmwissenschaftler wie Kinogänger gleichermaßen erfreut.


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Philipp Alexander Tschirbs: Das Klo im Kino.
LIT Verlag, Münster 2006.
292 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3825801004

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