"So viel Hitler war nie" - Inge Stephans und Alexandra Tackes Sammelband "NachBilder des Holocaust" fächert neuere Formen filmischen und literarischen Erinnerns auf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Filme wie "Der Untergang" (2004) und "Speer und Er" (2005) stellen "Verschleierungsstrategien" dar, "die durch Identifizierungsmechanismen dem deutschen Publikum Entschuldungs- und Entlastungsangebote machen", urteilen die Herausgeberinnen Inge Stephan und Alexandra Tacke in ihrem Sammelband "NachBilder des Holocaust", der in der Reihe "Literatur - Kultur - Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte" im Böhlau Verlag erschienen ist.

"So viel Hitler war nie", zitieren sie dazu eine Feststellung des Historikers Norbert Frei und sind mit ihm einer Meinung, dass damit "längst nicht alles in Ordnung" sei mit den neueren deutschen Formen des Holocaust-Erinnerns. Irritierend ist allerdings, dass die Herausgeberinnen am Ende ihres kritischen und reflektierten Vorworts bereits weitere Sammelbände zu "NachBildern" der RAF und der Wende 1989/90 ankündigen, als handele es sich um historische Ereignisse in der deutschen Geschichte, die sich der Shoah im literatur-, kultur- und geschichtswissenschaftlichen Diskurs ohne weiteres an die Seite stellen ließen. Nur weil die Studierenden der Universität an entsprechenden Lehrveranstaltungen der Herausgeberinnen "große[s] Interesse" gezeigt und mit "teilweise sehr emotionalen Äußerungen" auch zum Thema der RAF und des Mauerfalls auffielen, wie Stephan und Tacke frappiert berichten, heißt das noch lange nicht, dass es eine besonders gute Idee ist, gleich eine ganze "NachBilder"-Publikations-Serie zu planen, die Verbindungslinien zwischen verschiedensten deutschen "Traumata" impliziert. Die gibt es zwar, aber mit der skizzierten Konzeption der Fortsetzungen könnten auch Vergleiche beziehungsweise deutsche Täter-Opfer-Umkehrungen nahegelegt werden, die Verharmlosungen des Holocausts Tür und Tor öffnen - auch wenn dies gerade nicht die Absicht der Herausgeberinnen ist.

Möglicherweise ist ihnen gar nicht bewusst geworden, dass sie mit derartigen, nebenbei geäußerten Gedankenlosigkeiten selbst jener problematischen "Historisierung" der Shoah Vorschub leisten könnten, die viele der Beiträge ihres Bands kritisieren: "Holocaust, RAF und Wende sind und bleiben insofern nach wie vor die drei größten traumatischen Ereignisse, die als 'Nachbilder' nicht nur von deutschen, sondern auch von internationalen Autoren, Künstlern und Regisseuren emphatisch heraufbeschworen, satirisch zersetzt oder ironisch gebrochen werden", postulieren die Autorinnen in der Einleitung.

Die Publikation enthält neben einer Vielzahl von Untersuchungen, die sich etwa der erhitzten Feuilleton-Debatte um Günter Grass' Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" (2006) oder Elfriede Jelineks Shoah-Texten "Das über Lager" (1989) und "Die Kinder der Toten" (1995) widmen, auch eine Reihe von Beiträgen zu "Bilderpolitiken und Medien".

Neben Sabine Hakes kritischer Analyse des Hypes um Bernd Eichingers Hitler-Machwerk "Der Untergang" und Judith Keilbachs Kommentierung des ARD-Dokudramas "Speer und Er" findet außerdem die filmische Erkundung von Shoah-Erinnerungsorten Beachtung, wenn Manuel Köppen Claude Lanzmanns "Sobibor" (2001) und Romuald Karmakars "Land der Vernichtung" (2004) vergleicht.

J.S.


Titelbild

Inge Stephan / Alexandra Tacke (Hg.): NachBilder des Holocaust.
Böhlau Verlag, Köln 2007.
303 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412225063

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