Schüsse gegen den Stillstand

Burkhard Spinnens Roman "Mehrkampf"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich habe zwanzig Jahre lang ertragen, dass die Welt stillsteht", beklagt der ehemalige Olympia-Teilnehmer Roland Farwick. Der einstige Zehnkampf-Weltrekordhalter hat bei den Olympischen Spielen 1984 den Weitsprung mit zwei ungültigen Versuchen völlig verpatzt. Der Traum vom olympischen Edelmetall war ausgeträumt. Wer muss da nicht sofort an Jürgen Hingsens olympischen Faux pas denken, als er vier Jahre später gleich dreimal beim 100-Meter-Lauf zu früh aus den Startblöcken kam und disqualifiziert wurde.

Ähnlich Hingsen hat sich auch Farwick später als PR-Berater bei Sportveranstaltungen durchs Leben geschlagen - finanziell ganz erfolgreich, aber es blieb eine wenig aufregende Tätigkeit. Farwicks Leben änderte sich abrupt, nachdem fünf Schüsse auf ihn abgegeben wurden.

Burkhard Spinnen, der schon vor 16 Jahren mit dem Aspekte-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet wurde und einige Jahre als Juror bei den Klagenfurter Literaturtagen tätig war, hat seinem großen Midlife-crisis-Panorama eine gehörige Portion an Zutaten aus der Vorratskammer des Kriminalromans beigemengt. Wer könnte ein Motiv haben, auf den einstigen Vorzeigesportler und unbescholtenen Bürger Farwick zu schießen? Dieser Aufgabe stellt sich der Kriminalkommissar Ludger Grambach, wie das Opfer ein Mann in mittleren Jahren. In der Schule war der Ermittler einst ein Überflieger, ihm standen sämtliche Türen offen, doch sein Lebensweg führte ihn "nur" zur Polizei. Wie Farwick, der nach dem Attentat plötzlich den Wunsch hegt, Vater zu werden, glaubt auch Grambach, im Leben etwas verpasst zu haben.

"Ich denke, ich muss mir jetzt etwas Neues erfinden. So wie damals du, nachdem ich übergetreten war", drückt Farwick seinen Veränderungswillen gegenüber dem grantelnden Schriftsteller Pardon aus. Burkhard Spinnens Figuren verbindet die Unzufriedenheit mit dem beruflich-sozialen Status quo. Es sind durchweg Klagen auf "hohem Niveau", mit denen sie sich selbst und ihre nächsten Angehörigen quälen.

Auf einige erzählerische Schlenker, in denen sich der 50-jährige Autor diversen Nebenfiguren und ausufernden Beschreibungen von Online-Portalen, Server-Ausfällen und Handy-Botschaften widmet, hätte man zugunsten einer strengeren Strukturierung gerne verzichtet. Es stellt sich ohnehin der Verdacht ein, dass Spinnen diese "Story" allzu schnell herunter geschrieben hat. Mit der dem Alltagsjargon angepassten Sprache mag zwar vor allem in den üppigen Dialogen die Authentizität steigen, doch Satzbrocken wie "Ich für mein Teil" stellen weder dem Autor Spinnen (promovierter Germanist) noch dem Lektorat ein gutes Zeugnis aus.

Und was war nun mit den Schüssen auf den ehemaligen Zehnkämpfer Farwick? Hat er alles selbst arrangiert? Und welche Rolle spielt das Gewehr unter Grambachs Bett? Spinnen setzt bei der Auflösung ganz auf die neuen Medien. Er lässt den intellektuell in seinem Beruf unterforderten Kommissar mittels eines U-Boot-Spiels auf einer Internet-Plattform anonym mit Farwick in Kontakt treten. Dieses sonderbare Vorgehen und andere unkonventionelle Ermittlungsmethoden Grambachs lassen auch den Schluss zu, dass der Ermittler und das Opfer in einen virtuellen Zweikampf geraten sind.

Burkhard Spinnen konnte sich nicht zwischen Krimi und Generationsstudie entscheiden. Herausgekommen ist ein hybrides literarisches Gebilde, das in seinen stärksten Passagen angenehm und humorvoll unterhält. Etwas wenig Substanz für einen ausgewachsenen Roman, und unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass sich der vielseitig begabte Burkhard Spinnen dem beklagenswerten Mittelmaß seiner Figuren angepasst hat.


Titelbild

Burkhard Spinnen: Mehrkampf. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
392 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783895610424

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