Herzerschütternd stummes Vieh

Gedrängte Bilder und die Melancholie einer devastierten Landschaft kennzeichnen die Texte des tschechischen Dichters Emil Juliš

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Deutschland war der tschechische Dichter Emil Juliš (1920-2006) bislang unbekannt. Lediglich in den letzten Jahren waren vereinzelt Gedichte in Sammelbänden oder Literaturzeitschriften erschienen.

Aber selbst in seiner Heimat hatte Emil Juliš zwischen 1970 und 1988 keine Gedichtbände veröffentlichen können, Juliš gehörte wie die meisten der besten Schriftsteller der CSSR in jener Zeit zu den verbotenen Autoren. Im Laufe seines Lebens hatte Juliš verschiedene Berufe ausgeübt. Neben manuellen Tätigkeiten war er jahrelang als Planer in der Wasserwirtschaft tätig.

Bereits in den 1950er-Jahren waren Gedichte von Emil Juliš in der CSSR im Samisdat, also handverbreitet, im Umlauf. Erst ab den 1960er-Jahren, als sich in der Tschechoslowakei eine gewisse ideologische Entspannung andeutete, waren offiziell Gedichtbände erschienen. Emil Juliš hatte es somit als Lyriker in seiner Heimat nicht einfach, was ihn nicht davon abhalten konnte, über die Jahrzehnte hinweg Gedichte zu schreiben. Lediglich in den kulturpolitisch ausgetrockneten 1970er-Jahren erweiterte Juliš das Repertoire seiner Ausdrucksmöglichkeiten, malte Bilder und fertigte bemerkenswerte Collagen an.

Auch seine Dichtung unterlag Phasen der Veränderungen und Entwicklung. Sensibel und kundig hat der Übersetzer Eduard Schreiber die vorliegende Sammlung in drei Schaffensphasen aufgeteilt. Die frühen Gedichte (1956-1965) sind durch ein impulsives Temperament gekennzeichnet. Mitte der 1960er-Jahre (1965-1970) fügen sich dialogische Elemente hinzu. Juliš experimentiert mit Formen und kommunikativen Versatzstücken.

Die Gedichte der letzten Jahrzehnte (1970-1995) hingegen verdichten sich in ihren Ausdrucksformen und werden zuweilen scheinbar privat. Es führt kein Weg daran vorbei, und der Dichter mahnt es an: "Auch an die Mauer des Todes denken, durch die / wird unser Schatten dringen müssen / _ _ _ _ _".

Bei aller formaler und inhaltlicher Entwicklung kennzeichnen zumeist apokalyptische Bilder und anthropomorphe Formen Juliš` Gedichte. Inspiriert sind diese Texte nicht zuletzt durch die devastierte nordböhmische Landschaft, in der Braunkohle im Tagebau abgebaut wurde.

Die Endzeitstimmung mancher Texte bilden dabei die Zerstörungen nicht nur dokumentarisch ab, sondern verleihen der geschundenen Landschaft eine einzigartige Stimme, die zugleich innerste Befindlichkeiten des Lesers ansprechen. Juliš beherrscht souverän das Spiel wechselnder Gestalten und erreicht mit der Vertauschung belebter und unbelebter Gegenstände ganz neue Wahrnehmungsmöglichkeiten. In dem Gedicht "Die Brücke" gibt es neben Menschen und Tieren auch hybride Mischungen wie etwa die "Schnellzugnatter", die unter der Brücke "durchhuscht".

Aber auch eine Brücke aus Stahl wird belebt, wenn Züge unter ihr durchfahren und zur Schlachtung bestimmtes Vieh transportieren, "herzerschütternd stummes Vieh mit Köpfen, / gesenkt zum Boden der Transporter, / das man ins nahe Schlachthaus fährt, / wie eine Harfe wird erzittern ihre Konstruktion / im mißtönenden Scharren wird sie für einen Lidschlag / ihrer Gefühle sich bewusst / wird sich beruhigen, dann wieder einschlafen, / sobald ein Liebespaar still drüber gehen wird, / sein Schatten wird das eiserne Gebälk besänftigend durchschreiten".

Emil Juliš hat als unmittelbarer Zeitzeuge die Zerstörung der nordböhmischen Stadt Brüx/Most miterlebt, die zu großen Teilen dem Braunkohleabbau zum Opfer gefallen war. Manche Gedichte atmen den Kohlestaub dieser Jahre und inszenieren eigentümliche Travestiegebilde. Riesige Bagger mutieren dann zu urweltlichen Echsen und fauchende Schlote gewaltiger Fabrikanlagen verkörpern die erschreckende Kulisse einer Bedrohung des Lebens.

Der vorliegende Band vereint erstmals in deutscher Sprache Texte aus dem Zeitraum zwischen 1956 und 1998. Zu verdanken ist diese verdienstvolle Unternehmung der Zusammenarbeit des Herausgebers und Übersetzers Eduard Schreiber mit dem Verleger der Corvinus Presse, Hendrik Liersch in Berlin und nicht zuletzt dem Dichter selbst, der bis zu seinem Tod im Dezember 2006 aktiv an der Übersetzung seiner Verse mitgewirkt hatte.

Es war Ludvík Kundera, der als gleichaltriger Schicksalsgefährte immer wieder auf die Arbeiten von Emil Juliš aufmerksam machte. Über Jahrzehnte hinweg waren sie befreundet. Und es war ebenfalls Kundera, der einmal die Dichtung von Emil als "ungeläufig" charakterisierte: "Von geläufiger Produktion unterscheiden sie sich durch eine spezifische Dichte und Fülle der Verse, in denen starkgedrängt die Bedeutungen stecken".

Der vorliegende, sorgfältig aufbereitete Band wird durch ein Nachwort von Ludvík Kundera abgeschlossen, welches mit dem treffenden Satz eingeleitet ist: "Der Dichter Emil Juliš hat einen großen Vorzug, der auch ein Nachteil ist: er gleicht niemandem".


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Emil Julis: Landschaft meines Gesangs. Ausgewählte Gedichte 1956-1996.
Corvinus Presse, Berlin 2007.
94 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783910172920

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