Über die Differenz von Theorie und Praxis

Einar Kárason Roman "Sturmerprobt"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stormur ist die Hauptperson in Kárason Roman "Sturmerprobt". Sein Name ist Programm - er ist "Sturmerprobt". Es sind aber nicht die wirklichen Wetterwidrigkeiten, denen sich der Protagonist stellen muss, es sind die rauhen "Stürme des Lebens und der Wirklichkeit". Aber eigentlich sind es nur die Anforderungen des normalen Alltags. Diese verfolgen Stormur unerbittlich in Form von "Arbeit" und "Tätigkeiten", denen er sich allerdings ebenso unerbittlich widersetzt. Der Roman beschreibt die Geschichte dieses Widerstandes wortreich und eloquent aus der persönlichen Perspektive verschiedener Personen aus dem sozialen Umfeld Stormurs - und natürlich auch aus seinem eigenen Blickwinkel.

Stormur verfügt über die Fähigkeit, sich aus jeder Situation, in der Ansprüche an ihn gestellt werden, herauszureden. Ziel seiner Bemühungen ist die Vermeidung von Anstrengungen. "Anstrengungen" sind für ihn dabei eigentlich alles außer Herumsitzen und Bier trinken. Warum er bei seinen Bemühungen so erfolgreich ist, erklärt sich nicht unbedingt auf den ersten Blick. Zwar kann er gezielt Arbeit auf andere - seine Frau, Freunde et cetera - abwälzen, aber letztendlich wird er in seinem Handlungsspielraum immer mehr eingeengt. Die skandinavische Gesellschaft bietet ihm eine Vielzahl von Möglichkeiten, am "Tropf" des Sozialsystems zu überleben. Am meisten verwundert, wie Stormurs Selbstbild von seinem grenzenlosen Optimismus getragen wird. Niemals kommt ihm auch nur annähernd die Idee, er liege mit seinen Ansprüchen und seiner grenzenlosen Faulheit daneben.

So entsteht ein eigenartiger, von einer kraftvollen Sprache - und dies sei bei dieser Übersetzung besonders positiv hervorgehoben - getragener Erzählfluss, in dem sich die Protagonisten von Island nach Dänemark, über Amerika wieder nach Island bewegen. Immer auf der Fluch vor vergebenen Lebensmöglichkeiten, unbezahlten Krediten und verärgerten Mitmenschen - und trotzdem immer neue Möglichkeiten erhaltend. Dabei ist aber ebenso unausweichlich, dass eben diese Optionen treffsicher "vergeigt" werden. Stormur hat für die Chancen des Lebens ein ebensolches Gespür, wie er es für das Scheitern hat: "Er verhielt sich so, als wollten wir etwas sehr Wertvolles von ihm kaufen, etwas, das er am liebsten gar nicht hergeben wollte, etwas, um das viele sich bemühten und das er meistbietend verkaufen könnte, obwohl er in Wahrheit nichts anzubieten hatte außer seinem unbekannten und daher wertlosen Namen und seinem Gesicht, das ich persönlich äußerst unfotogen fand." Hört sich diese Charakteristik aus dem Munde eines Bekannten von Stormur vielleicht negativ an, schöpft der Erzähler - und mit ihm der Leser - doch immer wieder einen Funken Hoffnung aus der nächsten, sich dem Anti-Helden bietenden Chance. Aber auch diese wird dieser ebenso verpassen oder ziehen lassen, im Vertrauen auf sein eigenes, nicht vorhandenes Können. Und es ist gerade diese positive Perspektive der Hauptfigur, die den Leser fesselt. Kárason ist immer auf der Seite der Figuren, obwohl es eigentlich für diese keinen Ausweg gibt.

Am Ende des Romans sitzt Stormur in der Klemme. Alles Geld ist weg. Ein Kredit, den seine Frau auf sein Drängen erschlichen hat, komplett aufgebraucht. Seine Frau befindet sich in einer Privatinsolvenz und wird zu allem Überfluss auch noch als unzurechnungsfähig erklärt - alles aufgrund seiner "Initiative". Also kehrt er wieder nach Dänemark zurück, "hängt" sich in das Sozialsystem ein, nimmt Wohnung und Unterstützung erneut in Anspruch. Seine Problemlösungsstrategien basieren immer auf dem Engagement der Anderen. Daher auch sein "Fazit" zum Ende des Romans: "Und ich habe mit Susanne vom Sozialamt gesprochen, bald wird wieder alles in bester Ordnung sein..."

Kárason hat mit der Hand des routinierten Erzählers eine Person erschaffen, der der Leser seine Sympathie nicht verwehren kann. In Kontrast zum komplett "asozialen" Verhalten Stromurs lässt Kárason seinen Protagonisten rücksichtslos agieren - und trotzdem gelingt es der Figur sich sowohl beim Leser als auch bei seinen Mitstreitern im fiktionalen Leben durchzumogeln. Ein solider, erzählerisch starker, unterhaltsamer, manchmal sogar komischer Roman, der sich schon allein aufgrund seiner prägnanten Figuren sich aus der Masse hervorhebt.


Titelbild

Einar Kárason: Sturmerprobt. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Kristof Magnusson.
btb Verlag, München 2007.
334 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783442751587

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