Lob des Missgeschiks

Das neue ADC-Buch ist erschienen

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir alle erinnern uns an die roten Kringel im Diktatheft, die zum Schluss zusammengezählt wurden. Die falsch geschriebenen Wörter und ausgelassenen Kommata ergaben die Note, den untrüglichen Nachweis unseres Könnens - oder Fehlens. Das alles sollte uns zeigen: Fehler zu machen scheint etwas Schreckliches zu sein, etwas, das nicht sein darf. Etwas, das aber leider doch passiert.

Das neue ADC-Buch, die unumstrittene "Bibel" der Werbe-Kreativen, will mit der Diskreditierung des Fehlerhaften aufräumen und erprobt die entgegengesetzte Sichtweise. Auf den Seiten des Buchs verstecken sich viele (beabsichtigte) Fehler. Mal ist ein Stück einer Seite herausgerissen, mal eine Seite verkehrt herum eingeheftet, mal sind Haare und Staub auf die Vorlage geraten und auf der so genannten "Schmutzseite" mitgedruckt.

Doch ein indigniertes Naserümpfen wäre hier ebenso verfehlt wie die postwendende Rücksendung des "fehlerhaften" Exemplars an den Verlag. Fehler zu machen ist menschlich, Fehler zuzugeben und aus Fehlern zu lernen ist Grundvoraussetzung für Weiterentwicklung. Fehler sind eine Chance, dazuzulernen. Die Evolution basiert auf Fehlern. Fehler machen einzigartig. Dem Lauf der Dinge schadet ein gelegentliches Straucheln und Schwächeln nicht - im Gegenteil. Im Scheitern und Misslingen, in den Unstimmigkeiten und Patzern schlummert eine große Kraft.

Wie viele Fehler gemacht werden mussten, um die im ADC-Buch versammelten kreativen Höchstleistungen in Werbung, Verkaufsförderung und Design zu erbringen, kann man nur vermuten. Wer kreative Prozesse aus der Innenansicht kennt, der weiß, dass der coole Fernsehspot, die lässige Anzeige oder der schmissige Slogan nicht möglich wären ohne die Abraumhalde des Verworfenen, des Aussortierten und der Vorläuferformen, kurz: die Papierkörbe der Erfolgreichen und Schubladen der Erfolglosen.

Das neue ADC-Buch führt uns (neben vielem anderen) den zunehmenden Einfluss der neuen Medien in der Kommunikation vor Augen. Auch hier geht es nicht ohne Rekurs auf das Brüchige und Unperfekte, das in der Guerilla-Werbung die werblichen Absichten verschleiern hilft und die Botschaften der professionellen Einwickler und Umgarner als vermeintlich Authentisches darstellt.

So versucht zum Beispiel T-Online (mit "Musicload") durch geschickt inszenierte eBay-Auktionen auf seine Angebote aufmerksam zu machen. Zu ersteigern waren neben einem Zebra-CD-Ständer ("sieht [...] scheiße aus") eine "Blockflöte des Grauens". Hinter dem scheinbar privaten Angebot und der aufgrund ihrer Skurrilität stark frequentierten Seite streckt die Telekom ihre Fangarme nach potenziellen Kunden aus.

Anderes Beispiel, ähnliches Prinzip: Das Bibliografische Institut Brockhaus nutzt Rechtschreibfehler wie "Fahrad" um Falschschreiber auf die Website des Dudens zu lotsen. Wem bei der Eingabe des Wortes das zweite "r" abhanden kommt, erblickt eine Anzeige (Google Adwords), die die Google-Korrektur imitiert: "Meinten Sie: Fahrrad. Fahrrad falsch geschrieben? Duden - die dt. Rechtschreibung."


Titelbild

Art Directord Club für Deutschland (Hg.): ADC-Buch 2007. Fehlerfrei.
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2007.
640 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-13: 9783874397247

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